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Kreu\im Wahlkampf

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,,Jch spreche nicht für die Kirche und die Kirche spricht nicht für mich." Zu diesem Wort gehörte viel Mut an jenem 12. September 1960, als John F. Kennedy es aussprach. Zwei Monate später war er als erster katholischer Präsident der USA gewählt.

Ein Vierteljahrhundert später sieht es so aus, als würden die Uhren in den USA noch einmal hinter John F. Kennedy zurückgedreht.

Es ist für Europäer nicht leicht, zu verstehen, was das im Zusatzartikel 1 zur US-Bundesverfassung verankerte Verbot einer Staatsreligion praktisch bedeutet. Subventionen für kirchliche Schulen, Zahlung der Religionslehrer durch den Staat, staatliche Zwangseintreibung von Kirchenbeiträgen: Das alles ist in den USA undenkbar.

Dafür ist bei uns wieder undenkbar, daß Staatsflaggen die Kirchenaltäre säumen und Parlamentssitzungen oder Festbankette mit Gebeten eröffnet werden. In vorsichtiger Verallgemeinerung darf man vielleicht sagen: Religion allgemein spielt im öffentlichen Leben der USA eine stärkere Rolle als in Europa — eine bestimmte Kirche tritt in den USA weniger in Erscheinung als bei uns.

So konnte Jimmy Carter auch als Präsident Prediger der Südbaptisten bleiben: Niemand verdächtigte ihn, alle Amerikaner zu Südbaptisten machen zu wollen.

Anders war das bis Kennedy bei Katholiken. Sie wurden vielfach verdächtigt, als Politiker nicht nur von Verfassung srichtern und Wählern, sondern auch von ihren Priestern im Beichtstuhl zur Rechenschaft verhalten zu werden. Kennedy durchhieb den gordischen Knoten mit dem eingangs zitierten Gelöbnis. Die Bischöfe stimmten ihm damals zu und die Wähler glaubten ihm.

Hat man das alles vergessen? Präsident Reagan hat in ziemlich durchsichtiger Weise den Kampf gegen Abtreibung auf seine Wahlkampf-Fahnen geschrieben. Als katholische Politiker der Demokraten wie Senator Edward Kennedy und der New Yorker Gouverneur Mario Cuomo sich weigerten, gewisse Forderungen ihrer Kirche zu einem Gesetzesanliegen zu machen, ernteten sie harte Bischofskritik.

Jetzt ist plötzlich die böse Frage wieder auf dem Tisch: Diktiert der Vatikan katholischen Politikern, was Gesetz sein soll — heute das Abtrei-bungs-, morgen vielleicht das Verhütungs- oder das Scheidungsverbot?

Ein beklagenswerter Rückfall in einen überwunden geglaubten Streit.

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