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Kreuzweg nach Polen

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Wunder geschehen selten zweimal. Mit diesem einfachen Satz läßt sich die Erwartungshaltung vor dem zweiten Besuch von Johannes Paul II. in seinem Heimatland Polen umschreiben, der am Donnerstag, 16. Juni, beginnen wird.

Der erste Polen-Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche, der aus dem Osten kam, war vor vier Jahren ein einzigartiger Triumph: für Johannes Paul selbst, für die polnische Kirche; auch für die Gläubigen im Land an der Weichsel, die — zutiefst lateinisch-mitteleuropäisch — für ihre Rom-Treue spirituell „belohnt“ wurden und ein lang verdrängtes Selbstwertgefühl damals machtvoll nach außen kehren konnten.

Heute, vier Jahre später, hat sich die Ausgangslage grundlegend verändert. War die Visite vor vier Jahren sozusagen auf einen „wunderbaren“ Erfolg hin programmiert, scheinen 1983 Frustration und Enttäuschung vorgegeben zu sein. Das hat viele objektive Gründe.

Zuallererst: Die Protagonisten dieses Ereignisses haben sich verändert. 1979 war dieser polnische Staat mit einer Führung ausgestattet, die schon politischen Verwesungsgeruch ausströmte. Heute hat zwar die Staatsmacht nicht ein Mehr an Zustimmung vom Volk, wohl aber setzt sie exzessiver und erbarmungsloser die ihr zur Verfügung stehenden Repressions-Instrumentarien ein.

Im Vergleich zum Parteichef Gierek des Jahres 1979 ist der General Jaruzelski von heute ein Kraftmeier. Giereks Tage waren gezählt, zu Jaruzelski gibt es momentan keine Alternative — und wenn, eine noch härtere und dogmatischere. Das muß der Papst ins Kalkül ziehen.

Auch der Papst hat sich in diesen vier Jahren verändert. Die Last des Amtes hat ihn geprägt, das Attentat gesundheitlich geschwächt, seine Reisen — beson ders jene nach Zentralamerika — scheinen an äußerer Wirksamkeit eingebüßt zu haben. Die politische Machtlosigkeit des Nachfolgers Petri, anfänglich durch seine Triumphzüge, den Medieneffekt und manch konkretes Ergebnis übertüncht, wird immer deutlicher.

Wenn man Informanten aus der Umgebung des Papstes Glauben schenken will, so ist sich Johannes Paul II. dessen bewußt, daß er im Konkret-Politischen mit seiner zweiten Polenreise wenig ändern, wenig zum Positiven bewirken kann.

Er fährt wie ein Priester an das Krankenbett der polnischen Nation, um ihr Mut zuzusprechen, mit ihr zu beten. Aber er ist kein politischer Doktor, der ein medikamentöses Heilmittel, eine Wunderspritze, die krankheitsvertreibende Kur verordnen kann.

Auch die polnische Kirche hat sich in den letzten vier Jahren verändert. Die überragende Gestalt des eisernen Kardinal-Primas und „Interrex“ Stefan Wys- zynski lebt zwar in der Erinnerung und ist präsent in einem Denkmal in Lublin. Sein Nachfolger Josef Glemp ist — wie polnische Kritiker meinen — in seinem Amt nur um die Kardinalsmitra gewachsen. An ihm ermißt man, wie groß Wyszynski war.

Glemps Kurs der Verständigung und Vergebung hat weder die gesamte Hierarchie noch den gesamten Klerus noch das gesamte Volk hinter sich.

Polens Kirche ist an diesem Vorabend des Papstbesuches zwar nicht gespalten und zerrissen, aber sie ist auch kein monolithischer Block. Das arbeitet dem Regime in die Hände, das nach altem kommunistischem Rezept teilen und spalten will, um herrschen zu können.

Auch das polnische Volk ist nicht dasselbe wie vor vier Jahren. Es erlebte die berauschende Ahnung von Freiheit und Selbstbestimmung in der Epoche der „Solidarität“ (was freilich auch die Gefahr des Ausuferns in Anarchie in sich barg). Es durchleidet seit dem 13. Dezember 1981 ein höllisches Fegefeuer der nationalen Demütigung.

Resignation, Verbitterung und Hoffnungslosigkeit wuchern krebsartig, besonders unter der Jugend. Die „Pädagogik des Schlagens“ mit dem Polizeiknüppel (so Primas Glemp in seiner Fronleichnamspredigt) hat den Konsenswillen ersetzt.

Politisch und wirtschaftlich ist der Horizont für die Menschen im Land an der Weichsel für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte von bleierner Düsterkeit.

All diese Veränderungen der politischen und geistigen Landschaft Polens, auch der Hauptprotagonisten, lassen eine Voraussage berechtigt erscheinen: Dieser zweite Papstbesuch in Polen wird kein Triumphzug, eher ein Kreuzweg. Er wird ernster und risikoreicher als der erste.

Vom geistigen und spirituellen Blickwinkel her betrachtet, ist sowohl die Ausgangslage wie auch das mögliche Resultat der „Pasto- ralreise“ nach Polen andersartig und offener: Der Papst in Polen wird ein lebendiges Zeichen dafür sein, daß Kirche, Glauben und Katholizismus untrennbar in die polnische Nation eingewurzelt sind und alle Fährnisse und Härten der Zeitläufe daran nichts ändern können. Er wird jenes „Prinzip Hoffnung“ in den Herzen und Hirnen der Menschen stärken, ohne das man nicht zu leben vermag.

Ist das letztlich nicht mehr als tagespolitische Erfolge? Und wäre die geistige und geistliche Belebung der Hoffnung nicht doch ein Wunder, das Polen — allen Erfahrungen zum Trotz —1983 ein zweites Mal geschehen könnte?

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