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Krieg darf nicht sein!

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Im Atomzeitalter ist die Wahrung des Friedens zu einem wesentlichen Imperativ geworden. In vergangenen Zeitaltern war das Mittel des Krieges für Staatsmänner eine echte Alternative. Im Atomzeitalter mag dies vielleicht noch immer eine letzte Alternative sein, aber kein vernünftiger

Staatsmann, weder in Washington noch in Moskau, nirgends auf der Welt, kann es in Erwägung ziehen, den Krieg als Mittel zur Beilegung von Konflikten oder als Mittel zur Verfolgung seiner Interessen einzusetzen.

Wir leben aber auch in einem Zeitalter, in dem der Mensch die größte Blüte der Freiheit erlebt hat, die größten Möglichkeiten, sich selbst, seine Lebensweise und die Lebensweise seiner Mitmenschen zu verbessern.

Und ebenso wissen wir, daß die Nachkriegszeit gekennzeichnet war durch den Konflikt zwischen dem Totalitarismus einerseits, der die Freiheit des einzelnen dem Diktat einer mächtigen Regierungsmaschinerie unterwirft, und der Demokratie andererseits, die von der Prämisse ausgeht, daß die Freiheit des einzelnen übergeordnet ist, daß die Freiheiten und die Rechte des einzelnen jedem eingeboren sind und durch den Staat nur beschränkt werden dürfen, damit das Leben in der Gemeinschaft gesichert wird.

Es ist ein grundlegendes Prinzip unseres Regierungssystems, daß jede Beschneidung von Freiheiten nur mit der Zustimmung der Regierten stattfinden darf.

Es wäre natürlich zu simpel, die Ereignisse in dieser Welt nur im Rahmen dieses Konfliktes zwischen dem Totalitarismus und der Demokratie zu sehen. Es gibt viele andere Konflikte, viele andere Bedrohungen für die Freiheit, es gibt Hunger und Krankheit, es gibt den ungleichen Zugang zu den Schätzen dieser Erde, es gibt die unterschiedlichen Bildungsniveaus, es gibt Unfälle in der Geschichte, Ungerechtigkeiten in und auch zwischen Ländern.

Trotzdem hat die Nachkriegszeit seit schon fast 40 Jahren in Europa gezeigt, daß die Auswirkung dieses grundsätzlichen Konfliktes zwischen den widersprüchlichen Ansichten über Wert und Rolle des menschlichen Wesens stark ausgeprägt waren.

Unsere Worte, unsere Politik, unsere Handlungen sollten es immer ganz klar machen, daß Amerika davon überzeugt ist, daß ein Atomkrieg, in dem viele oder wenige Atomwaffen eingesetzt werden, eine nie dagewesene Tragödie für die Menschheit wäre. Es ist falsch, dies nicht zuzugeben.

Weder das amerikanische Volk noch unsere Verbündeten noch die Sowjetunion — und ich möchte hinzufügen: noch sonst irgend jemand — sollte bezweifeln, wie sehr wir mit Abscheu erfüllt sind vor dem Atomkrieg, in welcher Form immer er geführt werden mag. Unsere Aufgabe jedoch als eine Nation darf nicht vom Standpunkt der moralischen Neutralität betrachtet werden.

Die Allianz der westlichen Länder, die sich in den letzten 35 Jahren entwickelt hat, ist eine einzigartige internationale Konstruktion. Nie zuvor in der Geschichte hat es eine Allianz pluralistischer, demokratischer Länder gegeben.

Der dominierende Zweck dieser Allianz besteht darin, den militärischen Konflikt zu verhindern und nicht darin, gegen den Gegner zu kämpfen. Die Allianz hätte ihren Zweck verfehlt, wenn der 5. Artikel, in dem es darum geht, wann die Alliierten einander zur Hilfe kommen, je angewendet werden müßte.

Auch in dieser Hinsicht ist diese Allianz einzigartig. Denn sie bemüht sich vor allem darum, diesen Schlüsselartikel nie zur Anwendung bringen zu müssen. Die Politik der Allianz beruht daher auf dem Konzept der Abschrek- kung — seit 35 Jahren.

Das Problem besteht heute darin, daß, wenn man versucht, einen Atomkrieg zu verhindern, suchen muß, jede Art von Krieg zu verhindern. Aus diesem Grund haben soviele von uns bezweifelt, ob jene recht haben, die im vergangenen Jahr eine Politik der Ablehnung des Ersteinsatzes von Kernwaffen verfolgten oder für ein Einfrieren der Kernwaffen sich aussprachen.

Unsere Sorge besteht darin, daß alles, was den Beginn eines konventionellen Krieges weniger riskant erscheinen lassen könnte, den Krieg provozieren kann. Wir können das Atomzeitalter nicht rückgängig machen. Ganz gleich, was wir praktisch tun, um die Zahl der Kernwaffen zu beschränken, wir können einfach das Wissen darüber, wie man diese Waffen baut, nicht mehr eliminieren. Dieses Wissen ist auf der ganzen Welt sehr weit verbreitet.

Die NATO ist nun aktiv bestrebt, ihre militärischen Vorkehrungen anzupassen und eine Reduktion, wenn auch keine völlige Ausschaltung, ihrer Abhängigkeit von Kernwaffen in der Politik der Abschreckung herbeizuführen.

Die Suche nach Frieden, die Su- che nach Freiheit, die Suche nach Frieden in Freiheit ist eine Suche, die nicht enden wird. In der vorhersehbaren Zukunft wird diese Suche nach Frieden ein militärisches Gleichgewicht voraussetzen — vielleicht ein Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau als bisher, aber zweifellos ein militärisches Gleichgewicht.

Der Autor, gebürtiger Berliner, 1952 ins US State Department, 1969 ins Nixonsche Weiße Haus berufen, unter Carter ins Außenamt zurückgekehrt, ist seit 1977 Gastprofessor für Politikwissenschaften und sprach im Mai 1983 (OCV-Gesprächsforum) in Wien.

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