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Kriegsgerede um eine Wüste und unbrauchbaren Salpeter
Der Chefkommandant des bolivianischen Heeres, General Raul Alvarez, warnte vor der Gefahr eines Krieges zwischen Chile und Perü. Er erklärte: „Wir können uns keine Illusionen über den Respekt vor unserer Neutralität und Souveränität machen, wenn andere Kräfte im Dunkeln wirken.“ Hinter diesen alarmierenden Andeutungen, die man nicht als Wichtigtuerei eines politischen Generals abtun kann, stehen zwei Tatsachen: das Wettrüsten zwischen Chile und Perü, wobei die großen Tank- und Flugzeuglieferungen aus Moskau nach Lima allerdings weltpolitische Befürchtungen recht- fertigen, und das Scheitern der Verhandlungen über Boliviens „Weg zum Möer“, den es durch den „Salpeterkrieg“ vor 100 Jahren verloren hat.
Aber auch die andere Ursache der Unruhe, das Wettrüsten, wird durch historische Erinnerungen zugleich erklärt und belastet. Zwar spielt das „militärische Gleichgewicht“ eine große Rolle für alle traditionellen Gegenspieler in Lateinamerika. Aber gerade für das Verhältnis zwischen Peru und Chile fällt es ins Gewicht, daß dieses Gleichgewicht einen entscheidenden Einfluß auf den Verlauf des Salpeterkrieges ausgeübt hat. Perüs anfängliche Übermacht beruhte auf dem Besitz eines einzigen, für die damalige Zeit supermodernen Panzerschiffs namens „Huascar“. Nach neunmonatigen dramatischen Kämpfen nahm es Chile, gewann damit die Seeherrschaft, konnte sein Heer in Perü landen und die Hauptstadt Lima erobern. Diese Ereignisse sind merkwürdigerweise in der Vorstellungsweit der heutigen lateinamerikanischen Jugend sehr lebendig geblieben.
Inzwischen hat sich die wirtschaftli che Bedeutung der Salpeterwüste gewandelt; 1883 wollten die damaligen Großmächte (USA, Frankreich, England und Italien), die an der peruanischen Salpeterindustrie kapitalmäßig beteiligt waren, gegen den Frieden zwischen Perü und Chile Vorgehen, weil er das chilenische Monopol begründete. Bismarck verhinderte jedoch eine kollektive Intervention. Die Fortsetzung der Konfrontation in unserem Jahrhundert wirkt paradox, weil die Erfindung des künstlichen Stickstoffs den chilenischen Salpeter in ähnlicher Weise entwertet hat wie es durch die Entwicklung des künstlichen Kautschuks mit dem Amazonas-Gummi geschehen ist. Der Salpeter spielt für die wirtschaftliche Situation der Pazifikstaaten keine Rolle mehr. Daß große Petroleumvorkommen vor der Küste liegen sollen, ist völlig unbewiesen. Politische Spannungen können aus solchen Vermutungen kaum entstehen. Aber sie sind das Erbe der in gefährlichem Maße lebendig gebliebenen Vergangenheit. In einer Epoche der Entkolonialisierung werden die Positionen des 20. Jahrhunderts überprüft. Die anderen amerikanischen Staaten erkennen sin, daß Bolivien durch die einstige Amputation zum Binnenstaat gemacht und damit ungerecht diskriminiert wurde. Obwohl der bolivianische General die Kriegsgefahr voreilig heraufbeschworen hat, läßt sich nicht bestreiten, daß der bolivianische Restitutionsanspruch chronische Unruhe schafft. Man erwartet jetzt, daß Brasilien oder Argentinien, die an der Stabilität im Süden Lateinamerikas ein vitales Interesse haben, vermittelnd eingreifen.
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