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Krise am Fuß der Karawanken?

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Alle haben Fehler gemacht: die „slowenischen Organisationen“ in Kärnten ebenso wie der stockkonservative „Kärntner Heimatdienst“, die Regierungen in Laibach und in Klagenfurt, in Triest und Udine, in Belgrad, Wien und Rom. Fehler unterschiedlichen Grades und unterschiedlicher Art. Manche davon nahezu unbewußt. Viele im guten Glauben an eine gerechte Sache. Doch die Summe aller dieser Fehler geistert nun als Krise im Dreieck Laibach- Udine-Klagenfurt, in jenem Raume also, dessen amtliche und politische Repräsentanz noch bis vor kurzem stolz von einem „Klein-Europa“ sprach. Und es sind keine neuen Geister, die uns da schrecken; es sind die alten Gespenster der Vergangenheit!

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Alle haben Fehler gemacht: die „slowenischen Organisationen“ in Kärnten ebenso wie der stockkonservative „Kärntner Heimatdienst“, die Regierungen in Laibach und in Klagenfurt, in Triest und Udine, in Belgrad, Wien und Rom. Fehler unterschiedlichen Grades und unterschiedlicher Art. Manche davon nahezu unbewußt. Viele im guten Glauben an eine gerechte Sache. Doch die Summe aller dieser Fehler geistert nun als Krise im Dreieck Laibach- Udine-Klagenfurt, in jenem Raume also, dessen amtliche und politische Repräsentanz noch bis vor kurzem stolz von einem „Klein-Europa“ sprach. Und es sind keine neuen Geister, die uns da schrecken; es sind die alten Gespenster der Vergangenheit!

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Guido Zematto, selbst ein echter Sohn dieses Raumes mit familiären Wurzeln im Slowenischen, Friaulani- schen und österreichischen, nannte das Gespenst beim richtigen Namen. Er nannte es den „Nationalismus, der die destruktivste Idee ist, welche das 19. Jahrhundert hervorbrachte“.

Damit sagte er nicht, daß nationale Regungen an sich verächtlich, nationale Rechte unerheblich, ein gewisses autonomes Eigenleben von Völkern und Nationen etwas Schlimmes wäre. Er charakterisierte aber eine ohne Zweifel zerstörerische Politik, die aus Naturgegebenheiten Utopien und Ideologien zieht, durch welche es zu Explosionen kommt, die schließlich auch die letzten Reste gemeinsamen Überbaues zertrümmern.

Die Geschichte des Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert gibt Guido Zematto recht. Leider, muß man hinzufügen. Und leider, muß man fortfahren, wird aus der Geschichte gewöhnlich nichts gelernt. Was sich nun im südlichen Dreiländereck zusammenbraut, ist im Grunde nur eines der Ergebnisse dieses miserablen Lernerfolges. Die schlechten Schüler aber sitzen auf allen Bänken und haben einander nichts vorzuwerfen.

Für jeden Kenner der Verhältnisse war es klar, welche Belastung die großen Feiern zur 50. Wiederkehr der Volksabstimmung in Kärnten am 10. Oktober 1970 für das Verhältnis Laibach—Klagenfurt einerseits und mehr noch für die in Kärnten lebenden Volksgruppen bedeuten werden. Selbst der Argloseste mußte die Nervosität erkennen, die sich im Lande selbst und auch in Laibach ausbreitete, noch lange bevor der Festtag angebrochen war.

Diese Nervosität wurde noch genährt und verstärkt durch das unübersehbare Spannungsverhältnis innerhalb des an einem kritischen Punkt angelangten Vielvölkerstaates Jugoslawien.

Betriebsniederlassungen

Die Signale, von denen die Rede ist, waren deutlich genug. Zahlreiche österreichische Urlauber, die während des Sommers regelmäßig die Adriaküste bevölkern, führten Klage, daß sie oft schroff, ja, ungewohnt feindselig behandelt worden sind. Sprachenkundige bemerkten eine zunehmend unfreundlichere Schreibweise insbesondere der slowenischen Presse. Auch in Kärnten selbst stellten sich Zeichen der Versteifung der Verhältnisse ein.

Schon lange zog sich der Streit um eine Firmenniederlassung im Siedlungsgebiet der slowenischen Minderheit hin; die slowenische Firma „Gorenje“ bemühte sich um eine Zweigniederlassung in Südkärnten. Fürsprecher („Eine willkommene Belebung des wirtschaftlich schwächsten Landesteiles“) und Gegner („Politische Durchdringung, wirtschaftlich getarnt“) fanden sich in allen Parteien. Anstößig wurde empfunden, daß die slowenische Mutterfirma die anteilsmäßige Mehrheit in der Tochtergesellschaft beanspruchte, was etwa ausländische Firmen, die in Slowenien investieren wollen, absolut untersagt ist.

Fast parallel mit diesem Fall erhitzten sich die Gemüter an einer >rA.ll- Slowenischen“ Kundgebung nahe von Bleiburg, zu der nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Organisationen der Minderheit erschienen waren, sondern auch Abordnungen aus Laibach, Marburg und Cilli. Zur gleichen Zeit enthüllten die Mitglieder des „Kärntner Heimatdienstes" in Bleiburg ein Mahnmal für mehr als 200 im Jahre 1945 von Titos Partisanen Verschleppte. Auch in Graz wurde, unter feierlicher Assistenz der politischen Repräsentanz, ein Gedenkstein gesetzt, der an die 1918 verlorenen südlichsten Landesteile erinnert. Quasi als Antwort begann man sich in Laibach auch um das Schicksal der winzigen slowenischen Minderheit in der Steiermark zu sorgen und schließlich auch um die burgenländischen Kroaten, die ja eigentlich in die Zuständigkeit Agrams fallen und wiederholt deutlich gemacht haben, daß sie in derlei „Volkstumskämpfe“ nicht verwickelt zu werden wünschen.

Rund um den 10. Oktober kam es dann zu einer Kette von Komplikationen und Provokationen. Die eingeladenen slowenischen Organisationen lehnten ihre Teilnahme ab, da „das Programm bereits vor der Einladung beschlossen worden“ sei. Nachher klagten sie — mit Recht! — daß kein einziger Redner, vom Bundespräsidenten über den Bundeskanzler bis zum Landeshauptmann, auch der slowenischen Mitbürger ausdrücklich gedacht hatte. In der Tat, wäre es wirklich unmöglich gewesen, auch nur einen Satz in der zweiten Landessprache zu sprechen?

Dafür machte sich der Kärntner Heimatdienst mit Parolen bemerkbar, die nicht nur in Laibach als „antislowenische Hetze“ registriert wurden („Furche“, Nr. 2/1970).

Der österreichische Botschafter in Belgrad wurde zum Außenminister gerufen, in Wien sprach der Botschafter Belgrads vor. Der „Konflikt“ war auf die nächsthöhere Ebene gehievt worden.

Unerfüllter Staatsvertrag

Eine nach Wien reisende Delegation, in der sich Vertreter der Kärntner christlichen Slowenen und der tito- istischen zusammenfanden, urgierte bei Bundeskanzler und Außenminister, was schon die Laibacher Presse seit Wochen urgierte: die „volle Erfüllung des Artikels 7 des Staatsver- trages“, dem bekanntlich auch Jugoslawien beigetreten ist. Was darunter zu verstehen ist, findet sich in einem in vielen Jahren allmählich aufgefüllten Forderungspaket.

Die Kärntner Slowenen (darin jetzt wohl auch stellvertretend für die steirischen) begehren vor allem:

Volle Zweisprachigkeit der Ämter und Gerichte im ehemaligen Abstimmungsgebiet der Zone A und B (das heißt einschließlich des Bezirkes Klagenfurt-Land und damit wohl bald auch in Klagenfurt selbst).

Zweisprachige topographische Aufschriften in diesem Gebiet.

Die Garantie, daß es dabei bleibt, daß in allen Volksschulen im zweisprachigen Gebiet voller Unterricht auch in slowenischer Sprache erteilt wird, wenn auch nur ein einziges slowenisches Kind in einer Klasse sitzt. Davon sind gegenwärtig rund 100 Schulen betroffen.

Den beschleunigten Bau eines slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt, der bereits im Gange ist.

Die Errichtung einer eigenen, slowenischen Landwirtschaftsschiule in Südkämten, was die Bundesregierung soeben zusagte.

Die „entsprechende Teilnahme“ der Kärntner Slowenen an der Landesverwaltung, insbesondere den Ausbau eines eigenen Schul- und Kul- turreferates.

Die Garantie, daß es zu keinem „Minrierheitenfeststellungsgesetz“ kommen werde.

Dieser letzte Punkt übertrifft alle anderen an Tragweite. Seit Jahren fordern Heimatdienst, FPÖ und viele ÖVP-Politiker ein Minderheitenfeststeilungsgesetz. Durch dieses, das im wesentlichen einer amtlichen Volkszählung besonderen Charakters gleichkommt, soll „eindeutig festgestellt werden, wie viele Kärntner sich zum slowenischen Volkstum bekennen und wo diese wohnen“. Erst dann, meint man, könne über Beibehaltung der zwei Schulsprachen, Einführung oder Erweiterung der Doppelsprachigkeit von Ämtern und Gerichten und von zweisprachigen Ortstafeln und Aufschriften gesprochen werden.

Das klingt nicht unlogisch. Aber schon die ÖVP-Alleinregierung und die von der ÖVP geführten Koalitionsregierungen haben sich diesem Wunsche stets unter einem Schwall nichtssagender Worte entzogen. Die Regierung Kreisky hingegen erklärte nun ausdrücklich, so ein Verfahren nicht zulassen zu wollen.

Warum die Slowenen dagegen sind, scheint klar: sie müssen befürchten, daß unter dem Einfluß von allerhand Volkstums-, Partei- und Staatspolitik die Minderheitenfeststellung zu einer neuen „Volksabstimmung“ wird, wobei zahlreiche Slowenen, vor allem aber die relativ große Gruppe der Windischen, sich nicht als solche zu erkennen geben, da sie das Verfahren für einen vorbereitenden Entscheid über die künftige Zugehörigkeit zu Slowenien oder Österreich halten könnten.

Und gerade die Windischen, von denen man annimmt, daß sie es waren, die sich schon 1920 für den Verbleib beim österreichischen Kärnten entschieden und damit den Ausschlag für die 59prozentige Mehrheit gegeben haben, lassen darüber auch niemanden in Zweifel. So müssen also die slowenischen Organisationen, ob christlich oder titoistisch- sozialistisch, befürchten, daß die amtliche Minderheitenfeststellung eine viel kleinere Zahl ihrer Volksgruppe aufweist als diese tatsächlich umfaßt. Schwanken die Auffassungen darüber von gegenwärtig zirka 30.000 ohne die Windischen, die der „Kärntner Heimatdienst“ als „dem deutschen Kulturraum Verbundene“ sieht, bis zirka 90.000, wovon die slowenischen Organisationen sprechen, wobei sie unumwunden zugeben, daß längst nicht alle davon auch „bewußte Slowenen“ sind, so würde die neue Minderheitenfeststellung auch keine Ordnung in den Zahlenwirrwarr bringen. Dafür aber, sorgt man sich neuerdings in Wien, müßte das mutmaßliche Ergebnis eine offizielle slowenische Kampagne inspirieren, die von einer „Germani- sierungswelle nach der anderen“ spräche und den natürlichen Assimilationsprozeß nicht geschlossen siedelnder Minderheiten verteufeln würde.

Versagen im Land

Die Kärntner Landesregierung und der Kärntner Landtag haben seit Jahren zwar glänzende Beziehungen zwischen Laibach und Klagenfurt gepflogen, sehr viel zum Kulturaustausch und zum Wirtschaftsverkehr beigetragen, aber in Kärnten selbst fast ebenso viel an „aktiver Minderheitenpolitik“ versäumt. Tatsächlich hinkt der Landesteil, in welchem auch die Slowenen siedeln, wirtschaftlich nach. Tatsächlich wurde wenig unternommen, um dem anachronistischen Streit über Amtsund Gerichtssprachen oder Ortsaufschriften den Wind aus den Segeln zu nehmen, auch wenn man dadurch einige eigensinnige Minderheitenvertreter oder Heimatdienstfunktio- näre erzürnt haben würde. Und der im Landtag bestellte Minderheitenausschuß ist seit Jahren zu keiner Sitzung zusammengetreten. Hingegen hat die „Aufteilung“ der slowenischen Minderheit in einen größeren Teil (organisiert im politisch linksstehenden und regelmäßig bei Gemeinderats-, Landtags- und Nationalratswahlen die SPÖ bevorzugenden „Zentralverbąnd slowenischer Organisationen“) und in einen etwas kleineren (der sich als „Volksrat christlicher Slowenen“ organisierte und die ÖVP unterstützt), beklemmend unelastische landespolitische Verhältnisse geschaffen. Die Landtagsfraktion der SPÖ verhalf einem Kärntner Slowenen zu einem Sitz im Klagenfurter Landhaus, die ÖVP kooptierte den Obmann der christlichen Slowenen zwar in ihre Landtagsfraktion, da er aber kein Abgeordneter ist, fehlt der Geste der Effekt. Nunmehr, das eben macht die Landespolitiker so unsicher und schwerfällig, könnte sich im Lichte des neuen Wahlgesetzes erstmals eine eigene slowenische Fraktion bilden, falls die enge Zusammenarbeit der beiden slowenischen Organisationen weiterhin erfolgreich verläuft. Da dann für diese der Vorrang der Parteipolitik wegfiele, könnte ein solcher oder gar mehrere solcher Minderheitenvertreter zu einer viel schärferen Akzentuierung des „Volkstumskampfes“ beitragen. Sehr zum Schaden Kärntens.

Nicht ohne diplomatisches Geschick argumentieren die Kärntner Slowenen — dazu von Laibach nachhaltig ermuntert —, daß Österreich jetzt billig sein müsse, was ihm im Falle der Südtiroler rechtens war. Und schon nehmen sie an jenem Paket, daß nun in Rom liegt, Maß und Muster und adressieren es an Wien. Verlegen und verängstigt starren die Parteien Kärntens auf diese Veränderungen des landespolitischen Panoramas. Zu lange haben sie mit halbem Herzen halbe Maßnahmen getroffen, zu sehr fühlen sie sich in allen ihren Entschlüssen just von den rührigsten Agitatoren der extremsten volkstumspolitischen Flügeln behindert. Eine andere Alternative als die, entweder die Stimmen „nationaler“ oder „slowenischer“ Gruppen zu verlieren, wenn sie sich für dies oder jenes klar entscheiden, scheinen sie nicht zu kennen. Daß Minderheitenfragen aber selbst durch übermäßig geschicktes Lavieren nicht gelöst werden, wenn die Minderheit jenseits der Grenzen entschiedene Anwaltschaft findet, ist eine unabweisbare Lehre, die sich ja auch im Falle Südtirols bewährte. Doch auch dort hätten sich zwei Staaten eine lange Reihe schmachvoller Differenzen nicht bereiten und der Volksgruppe, um die es ging, viel Leid, Demütigungen und Existenzsorgen ersparen können, hätten sie sich ein paar Jahre früher dazu durchgerungen, was sie schließlich doch und Gott sei Dank noch nicht zu spät getan haben.

Nur Schweigen?

Und das ist es, was man sich für die Bewältigung der Krise im Dreiländereck wünscht: Vernunft auf allen Seiten. Denn ganz besonders hier handelt es sich um einen von den drei großen Volksgruppen Europas besiedelten Raum, in welchem die Vermischung und Verzahnung so weit gediehen ist, daß man da nichts ohne Gefahr für das Überleben der einzelnen Teile auseinanderreißen kann.

„Großslowenische Träume“, die nun wieder manche haben, „italienischer Irredentismus“, der sich wieder bemerkbar macht und die Rede von den „deutschen Brüdern im bedrohten Land“, die auch wieder umgeht, müssen, wir haben es ja erlebt, zu einer „Endlösung“ führen, die niemals eine Lösung sein kann, sondern nur Kampf, Blut, Zerstörung und zuletzt ein ungeheures Vakuum, geistig und materiell.

Diese panisch schreckende Aussicht ist es, welche die gegenwärtige Krise im Verhältnis der drei Völker so ungemein gefährlich macht. Man kann ihr nicht begegnen, indem man schweigt. Nur durch „aktive Vernunft“ wird man ihr rechtzeitig beikommen, nicht durch volkstumspolitische, historische oder anderweitige Beckmessereien und ein Instrumentarium von Kniffen und Künsten, unter welchem jene stets so schrecklich zu leiden haben, um ,deren Bestes“ es angeblich geht. Der Mehrheit kommt es zu, nachsichtig zu sein, der Minderheit, einsichtig. Das gilt noch mehr für die Repräsentanz der Beteiligten als für die Repräsentierten, noch mehr für die Politiker als für die Völker. Wer immer aber will, daß aus diesem unwürdigen Tauziehen nur einer als der Sieger hervorgehe, wird den Ruhm für sich in Anspruch nehmen dürfen, der Vernichter eines kleinen, aber seiner Natur weithin leuchtenden Modellfalles, wie man die „destruktivste Idee des 19. Jahrhunderts“ im 20. Jahrhundert überwindet, gewesen zu sein.

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