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Krise im Blätterwald

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Innerhalb von knapp eineinhalb Jahren wurden in der Schweiz vier Chefredakteure bedeutender Tageszeitungen gefeuert. Und das unter den fadenscheinigsten Motiven

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Innerhalb von knapp eineinhalb Jahren wurden in der Schweiz vier Chefredakteure bedeutender Tageszeitungen gefeuert. Und das unter den fadenscheinigsten Motiven

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Bei den „Luzerner Neuesten Nachrichten", die dem größten Schweizer Pressehaus, dem Rin-gier-Konzern, gehören, mußte der Chefredakteur im Herbst 1980 seinen Sitz räumen, weil offenbar Aufwand und Ertrag bei der journalistisch hervorragend gemachten Zeitung und ihrem großen Redaktions- und Mitarbeiterstab nicht mehr übereinstimmten und die Zeitung mit ihrem Bestreben nach vertiefter Information „an den Lesern vorbei" produziert wurde.

In der Ostschweiz wurde einem Chefredakteur fristlos gekündigt, weil er in seinem freien Mitarbeiterstab kritische Journalisten beschäftigte und sich vor sie stellte, als sie in einer üblen Denunzie-rungs-Kampagne „abgeschossen" wurden.

Kurz vor Ostern wurden nun zwei neue Opfer auf die Schlachtbank geführt. Beim viertgrößten Schweizer Blatt, der „Berner Zeitung", mußte der Chefredakteur einem Marketing-Fachmann aus der Uhrenbranche weichen, und beim Luzerner „Vaterland" wurde, nach einem mehr als fragwürdigen Versteckspiel der Verantwortlichen, die dreiköpfige Chef-

redaktion (ein Sitz war allerdings vakant) aufgelöst und als neuer Mann der bisherige Boß der TV-Aktualitätensendung „Tagesschau" gewählt.

Vor allem der letzte Fall hat großes Aufsehen erregt. Denn das „Vaterland" ist das offizielle Organ der Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (CVP) und steht der katholischen Kirche sehr nahe.

Offiziell wird dem bisherigen Vorsitzenden der Chefredaktion Führungsschwäche vorgeworfen,

weil es in der Redaktion „Flügelkämpfe" gegeben habe und es nicht gelungen sei, die Journalisten zu einer verschworenen Einheit zusammenzuschweißen. Mit denselben an sich logischen Problemen hatten allerdings bereits seine Vorgänger zu kämpfen.

Eher ins Gewicht gefallen sein dürfte bei den Verantwortlichen, daß es schwerfällt, angesichts der Konkurrenz bei der überalterten Leserschaft die Abonnentenzahl

von knapp 60.000 zu halten und die vorwiegend fremdfinanzierte Investition der neuen Technik von 16 Millionen Franken zu verkraften.

Jetzt will man die Hoffnung offenbar auf einen „neuen Besen" setzen, der allerdings auf seinem bisherigen Job ebenfalls akut mit Führungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte.

Wie gerade er mit den unterschiedlichen Erwartungen der traditionellen Stammleserschaft, die eindeutig überaltert ist, und einer aufgeschlosseneren Generation als potentielle Neuabonnenten besser zu Rande kommen wird, ist doch sehr ungewiß. Vor allem im kirchlichen Bereich ist die Toleranzbreite für viele enorm gering geworden.

Eine zwar kleine, aber sehr militante Gruppe, für die alles Nach-konziliäre und alles was danach die Synode der Schweizer Katholiken beschloß, viel zu progressiv ist, übt einen ständigen, zermürbenden Druck aus und vergiftet das Klima gegenüber der Zeitung und innerhalb des Blattes.

Im politischen Bereich versucht die Zeitung die Spannbreite der Volkspartei, als dessen Organ sie

auftritt, abzudecken. Aber auch hier kommt es zu ständigen Konflikten zwischen den Flügeln von links und rechts und auch hier ist die Toleranz eindeutig kleiner geworden.

Befremdet hat vor allem das Vorgehen der Verantwortlichen gegen die Chefredaktion des als christlich etikettierten Luzerner Blattes. Unter möglichster Geheimhaltung gaben sie eine Expertise über die Zeitung in Auftrag und betreuten damit ausgerechnet jenen Mann, der nun neuer Chefredakteur wird. Die jetzige Chefredaktion aber wurde nur mit Teilaussagen aus dem Bericht konfrontiert und konnte ihn nicht in extenso einsehen.

Die Redakteure, denen immer wieder versichert wurde, es gehe nicht um eine Untersuchung gegen die Chefredaktion, sondern um eine Durchleuchtung des ganzen Betriebes, wußten nicht, welche ihrer Aussagen in welchem Zusammenhang gebraucht wurden. Auch wurde ihnen gegenüber mehrmals betont, es gelte nicht, den Sessel des bisherigen Chefs frei zu expertisieren.

Genau das aber ist schließlich eingetreten, auch wenn heute noch die Kausalwirkung des Berichtes abgestritten wird. In der dürren Verlagsmitteilung wurden die Abonnenten über den Wechsel aufgeklärt.

In der,.Neuen Zürcher Zeitung" meinte der Präsident der „Arbeitsgemeinschaft der katholischen Presse" zum Fall „Vaterland" treffend, „die Resignation jener Publizisten, die bei einer katholischen Zeitung tätig sind, dürfte sich verstärken. Und Resignation ist ein schlechter Begleiter für den Glauben in eine bessere Presse-Zukunft."

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