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Krise, made in Germany

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Zur gleichen Zeit, da erstmals seit acht Monaten in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der Arbeitslosen wieder etwas zurückging und einen schwachen Lichtschimmer am düsteren Wirtschaftshorizont signalisierte, zog in Form von bevorstehenden Massenentlassungen beim Volkswagenwerk eine düstere Wolke auf. Denn diese Entlassungen bei der ehemaligen Nummer Eins der deutschen Wirtschaft, über die Mitte und Ende April endgültig entschieden wird, sind nicht weniger als die größte Entlassungswelle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Das rund 135.000 Mitarbeiter zählende VW-Werk will sich um etwa 25.000 Mitarbeiter gesundschrumpfen. Damit beginnt eine spezielle Strukturkrise der bundesdeutschen Wirtschaft zusätzlich zu den allgemeinen Schwierigkeiten wegen der weltweiten Rezession nahezu katastrophale Ausmaße anzunehmen.

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Zur gleichen Zeit, da erstmals seit acht Monaten in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der Arbeitslosen wieder etwas zurückging und einen schwachen Lichtschimmer am düsteren Wirtschaftshorizont signalisierte, zog in Form von bevorstehenden Massenentlassungen beim Volkswagenwerk eine düstere Wolke auf. Denn diese Entlassungen bei der ehemaligen Nummer Eins der deutschen Wirtschaft, über die Mitte und Ende April endgültig entschieden wird, sind nicht weniger als die größte Entlassungswelle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Das rund 135.000 Mitarbeiter zählende VW-Werk will sich um etwa 25.000 Mitarbeiter gesundschrumpfen. Damit beginnt eine spezielle Strukturkrise der bundesdeutschen Wirtschaft zusätzlich zu den allgemeinen Schwierigkeiten wegen der weltweiten Rezession nahezu katastrophale Ausmaße anzunehmen.

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Die Krise bei VW kündigte sich schon an, als die Ölkrise noch nicht für das allgemeine Desaster der Automobilindustrie gesorgt hatte. Das viel zu lange Festhalten am Käfer, die unglückliche Modellpolitik am Ende der Nordhoff-Ära und während des Regimes seines Nachfolgers Lötz, ließen Fachleute schon lange ernsthafte Schwierigkeiten bei dem Mammutkonzern befürchten. Der inzwischen abgetretene VW-Chef Leiding leitete dann eine erfolgreiche Modellpolitik ein, die mit den Typen Passat, Golf und Polo gerade in jüngster Zeit zu großen Erfolgen führte.

Aber Leiding scheiterte an einem Problem, das heute noch den Mammutkonzern schwerstens belastet und wesentlicher Grund für die gegenüber anderen bundesdeutschen Autofirmen besonders schwierige und ernsthafte Krise ist. Der Absatz von VW in den USA ging in den letzten Jahren rapide zurück. Auf der einen Seite sank die Kauflust der Amerikaner bei Autos überhaupt deutlich ab. Der Verfall des Dollars führte aber auf der anderen

Seite dazu, daß der VW aus Germany immer teurer wurde und heute für die USA eigentlich zu teuer ist. Leiding wollte dieses Problem durch den Bau eines Produktionsbetriebes in den USA lösen. Dies wäre nicht nur ein umfangreiches Vorhaben für den ohnedies kränkelnden Koloß gewesen, es hätte auch eine Einschränkung der Produktion in der Bundesrepublik bedeutet.

Gerade dies aber stieß auf Widerstand im Aufsichtsrat, dem der Bund und das Land Niedersachsen als Großaktionäre angehören, in dem aber auch die Gewerkschaften sitzen. Unter dem Leiding-Nach-folger Toni Schmücker sind die Pläne für ein US-Werk nun weit in den Hintergrund geschoben worden und existieren höchstens noch in Form von Ideen zur Kooperation mit einem amerikanischen Hersteller. Dafür ist die Reduzierung der Arbeitsplätze um so mehr in den Vordergrund getreten und diese ist in den zurückliegenden 15 Monaten bereits recht erheblich gewesen. 26.000 Arbeitnehmer verließen in dieser Zeit VW.

Aber das alles reicht nicht aus, um Absatz und Beschäftigtenzahl bei VW, wo noch immer mehr als die Hälfte der bundesdeutschen Autos hergestellt werden, in eine vernünftige Relation zueinander zu bringen. Zahlreiche Kurzarbeitsperioden, die einer befristeten Entlassung gleichkommen, halfen nur vorübergehend dazu, die Produktion ohne Massenentlassungen zu reduzieren. Als aber der Absatz im Ausland weiterhin unbefriedigend blieb, wurde es deutlich, daß offensichtlich nur Entlassungen im großen Stil einen ruinösen Verlauf der Entwicklung bei VW aufhalten können.

Zunächst sah es nach einer Stilliegung des zum VW-Konzern gehörenden Audi-Werkes in Neckarsulm aus. Dies hätte für diesen Raum eine totale Katastrophe bedeutet. Schließlich wurde der Plan von Entlassungen in allen Werken realisiert. Neckarsulm dürfte allerdings die meisten Entlassungen zu verzeichnen haben, gefolgt vom Stammwerk in Wolfsburg und den Zweigwerken in Hannover, Salzgitter und Kassel.

Für diese Maßnahmen fand man bei VW die Zustimmung der Bundesregierung und notgedrungenermaßen auch bei der Gewerkschaft. Diese, nicht nur als Tarifpartner, sondern auch als Aufsichtsratsmitglied für die Entwicklung bei VW verantwortlich, muß sich heute fragen, wie weit sie wirklich eine Politik betrieben hat, die eine Erhaltung möglichst vieler Arbeitsplätze sicherstellte. Denn in den zurückliegenden Tarifverhandlungen bewies die IG-Metall bei VW keineswegs jene Schonung, die diesem kränkelnden Partner gegenüber wahrscheinlich angemessen gewesen wäre.

Die Entlassungen bei VW werden nicht schlagartig erfolgen. Sozialpläne werden ausgearbeitet und

sollen einen Kollaps vermeiden. Wenn die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland vorbei sind, könnte manche jetzt im Wahlkampf entstandene Dramatik rund um VW auch etwas schwinden. Ein Menetekel bleibt VW in jedem Fall. Es zeigt nicht nur die Anfälligkeit eines Wirtschaftsriesen, VW wird auch im Niedergang, wie einst

zur Zeit der Blüte, zu einem Symbol der bundesdeutschen Wirtschaft. Denn für VW wird zum Verhängnis, was auch für andere Wirtschaftszweige in hohem Maße gilt: eine außerordentlich hohe Exportorientierung, die bei einer Verschlechterung auf den Auslandsmärkten nicht durch den Inlandsmarkt kompensiert werden kann.

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