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Krisen und Krämpfe

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Die im 15. Wahlgang mit der absoluten Mehrheit von 365 der insgesamt 634 Stimmen von beiden Häusern der „großen Nationalversammlung“ in Ankara vollzogene Wahl des 69jährigen Senators und Ex-Ad-mirals Fachri Korotürk zum neuen Staatsoberhaupt der Türkei brachte überraschende Bewegung in die seit mehr als zwei Jahren erstarrte in-nenpolitiische Szenerie des Bosporuslandes. Einen Tag nachdem der neue Präsident die durch das Ausscheiden seines Vorgängers, General Cev-det Sunay, gerissene konstitutionelle Lücke Schloß, erklärte Premierminister Ferit Melen mit seinem gesamten “Kabinett“ den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Rücktritt. Der Kompromiß zwischen Parlamentariern und Militärs bei der Wahl des neuen Staatschefs ebenso wie die erwartungsgemäße Demission der Regierung, gibt dem seit der Absetzung des letzten legalen Ministerpräsidenten Suleiman Demirel durch die Armee krisengeschüttelten südlichsten NATO-Landes die Chance zu einer parlamentarischen Lösung seiner inneren Schwierigkeiten.

Demirel, Chef der parlamentarischen Mehrheitsfraktion der konservativen „Gerechtigkeitspartei“, hatte den unmittelbar bevorstehenden Kompromiß zwischen den sich bis dahin anscheinend unversöhnlich gegenüberstehenden Politikern und Militärs kurz nach dem ergebnislos verlaufenen 14. Wahlgang angekündigt: „Wh* sind an einem Punkt angelangt, wo jedes Resultat besser ist als kein Resultat.“ Der Kandidatur des Admirals waren intensive Kontakte zwischen den Parteichefs der „Gerechtigkeitspartei“ und der sozialdemokratischen „Republikanischen Volkspartei“ des früheren langjährigen Staats- und Regierungschef Ismet Inönü, Demirel und Bülent Ecevit, sowie Kontakte zwischen führenden Parlamentariern und dem Generalstab vorausgegangen. Die Politiker blieben dabei, dem Vernehmen nach, bei ihrer Ablehnung des Armeekandidaten Faruk Gürler, die Streitkräfte beharrten auf einem Mann ihres Vertrauens als künftigem Präsidenten. Die Nominie-rurug Korotürks bot sich daher als klassischer Kompromiß an, weil dieser als ehemaliger Flottenchef und langjähriger Senator auf beiden Seiten großes Vertrauen genießt.

Präsident Korotürk, der den ehrenvollen Namen „Beschützer der Türken“ führt, wurde 1913 in Istanbul geboren. Schon als Dreizehnjähriger bezog er die dortige Seekadettenschule und wurde zehn Jahre später Offizier. Als Dreißigjähriger vertrat er sein Land während des Zweiten Weltkrieges als Marineattache an den Botschaften in Rom, Berlin und Stockholm. 1954 ging er zum Armeegeheimdienst und wurde 1957 Flottenchef. 1960 beteiligte er sich

am Sturz der Regierung Bjar-Men-deres durch die Streitkräfte. Nach der Absetzung und Hinrichtung des Ministerpräsidenten Adnan Men-deres trat er zurück. Man sah in ihm allgemein den neuen Außenminister. Er interessierte sich aber mehr für den Botschafterposten in Moskau, wo er die Bosporusrepublik vier Jahre lang vertrat. 1945, als er zum Geschäftsträger in Madrid ernannt worden war, mußte er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Staatsdienst ausscheiden. Nach seiner Genesung ernannte ihn Präsident Sunay 1968 zum Senator auf Lebenszeit.

Die Wahl Korotürks wird in der anatolischen Hauptstadt allgemein weder als Sieg der Parlamentarier, noch als Gesichts vertu st der Armee bezeichnet. Die Wahl sei vor allem dadurch ermöglicht worden, daß der frühere Generalstabschef General Faruk Gürler seine eigenen Ambitionen hinter das Staatsinteresse zurückgestellt und seine Bewerbung zurückgezogen habe. Den Forderungen der Armee sei Genüge getan worden, indem einer der Ihren die Position errungen habe, die in den Streitkräften traditionell als höchste erstrebenswerte Würde angesehen wird.

Die eigentliche Überraschung war in Ankara jedoch nicht so sehr die Wahl des Kompromißkandidaten Korotürk zum Präsidenten, als die nach der Demission von Premierminister Melen bekannt gewordene Absicht der Parteiführer Demirel und Ecevit, bis zu den für kommenden 14. Oktober bevorstehenden Parlamentsneuwahlen ein Koalitionskabinett zu bilden. Es würde sich in Volkskammer und Senat auf eine breite parlamentarische Mehrheit stützen und könnte endlich die überfälligen Reformpläne der vorangegangenen Regierungen durchführen.

Präsident noch nie eine geschickte Hand bewiesen und als er vor etwa zwei Monaten die Lohn- und Preiskontrollen der sogenannten zweiten Phase seiner Antiinflationsoffen-sive aufhob, war er sicherlich schlecht beraten. Nicht nur hat diese übereilte Rückkehr zum marktwirtschaftlichen Alltag die Flucht aus dem Dollar auf den internationalen Märkten mit ausgelöst (obwohl immer wieder geraunt wird, die Abwertung sei in Washington erfunden worden), sie hat auch, vor allem bei den Lebensmitteln, eine beachtliche Preissteigerung hervorgerufen, die massive Hausfrauenproteste und Boykottbewegungen zur Folge hatte. Betrachtet man die Situation sine ira et studio, so erweist sich,

daß die Preissteigerungen bisher im wesentlichen auf den Lebensmittelsektor beschränkt blieben, der im Frühjahr immer einen saisonbedingten Auftrieb erlebt.

Aber Nixon weiß, wo seine Achillesferse ist, und er hat auch prompt alle Fleischsorten mit einem Preisstopp belegt. Durch flankierende marktwirtschaftliche Maßnahmen — Erhöhung der Futtermittelanbauflächen, Verkauf von strategischen Regierungsreserven — versucht er, die politisch so sensiblen Lebensmittelpreise weiter herabzudrücken. Republikanische Regierungen sind im Wirtschaftsbereich politisch immer verwundbar, seit Präsident Hoover die amerikanische Wirtschaft in die große Krise der dreißiger Jahre schlittern ließ.

Als dritten Punkt erwähnte Nixon die Notwendigkeit, gerüstet zu bleiben. Denn nur so hätten die Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion Erfolgschancen. Niemals würde die Sowjetunion einseitige amerikanische Konzessionen honorieren. Nur die Pattstellung zwinge beide Seiten, sich Einschränkungen aufzuerlegen.

Diese Argumentation vor der breiten Öffentlichkeit zu führen, schien notwendig, weil die Opposition mit dem Argument operiert, nach Vietnam könne man sich nun wieder zivilen und sozialen Aufgaben zuwenden, der Rüstung komme keine Priorität zu. Eine solche Einstellung, meinte Nixon, führe direkt zum Krieg.

Hinter dieser Diskussion zeichnet sich ein erbitterter Kampf zwischen dem Weißen Haus und dem Kongreß über die Ausgabenseite des Budgets ab. Nixon wendet sich direkt an das Wahlvolk und fordert dessen Druck auf die Abgeordneten, damit diese sparsam bleiben und den Budgetrahmen nicht sprengen. Sonst müsse

er die direkten Steuern um 15 Prozent erhöhen. Die Opposition im Kongreß dagegen fordert den Präsidenten durch neue oder vom Präsidenten bereits abgelehnte Sozialprogramme heraus, die den Ausgabenrahmen sprengen müßten. Nixon droht mit Veto.

Hier herrscht also eine echte Konfrontation zwischen dem Präsidenten und dem Kongreß, der ja von der Opposition beherrscht wird und der den Wahlsieg Nixons nicht honorieren will. Nixon scheut ' den politischen Nahkampf nicht. Er fühlt sich dabei sogar sehr wohl, besonders, wenn die Meinungsforscher seine steile Popularitätskurve (zuletzt 65 Prozent) bestätigen.

Momentan sind die Fronten erstarrt, die Opposition bellt wütend gegen das Weiße Haus und verbeißt sich in den sogenannten Watergate-Skandal. Bekanntlich wollten einige Dunkelmänner und Wichtigtuer einen Spionage- und Abhördienst gegen das Hauptquartier der Demokraten im Watergate aufziehen und wurden dabei prompt in flagranti erwischt. Von der Opposition dominierte Kongreßausschüsse versuchen mit Hilfe von Zuckerbrot und Peitsche, die Angeklagten zu bewegen, Auftraggeber im Weißen Haus zu nennen. Zuckerbrot und Peitsche sind dabei legitime Instrumente der amerikanischen Justiz, die einem Denunzianten Straferteichterung, ja sogar Straffreiheit gewähren kann. Aber die meilenlangen Berichte, vor allem der linksorientierten „New York Times“, werden primär von jenen verschlungen, die „Ihm“ gerne eins auswischen würden; im Lande selbst scheint „Watergate“ wenig Interesse zu wecken. Für den kleinen Mann „stinkt“ jegliche Politik, und Watergaite verbreitet eben einen besonders penetranten Mief.

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