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Kriterium Dritte Welt

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Die Sozialdemokratie ist nach wie vor vor allem eine europäische Er­scheinung. In den letzten Jahren geht die Sozialistische Internationale frei­lich daran, ihren Eurozentrismus zu öffnen - in Richtung Dritte Welt.

Dies äußert sich in den verschiede­nen Bemühungen, bestimmte Strö­mungen der demokratischen Linken in Lateinamerika zu stärken; auch be­stimmte Parteien - wie etwa die Sozia­listische Partei Senegals - in die Inter- • nationale zu integrieren. Doch der ei­gentliche Durchbruch hat noch nicht stattgefunden. Nach wie vor sind die entscheidenden Parteien der Soziali­stischen Internationale die europäi­schen Parteien.

Von diesem Durchbruch hängt aber sehr wesentlich die Zukunft der Sozialdemokratie ab: Gelingt es ihr, ihr europäisches Erscheinungsbild zu relativieren; gelingt es ihr, tatsächlich zu einem internationalen Dachver­band zu werden - dann könnte sie, trotz ihrer inneren Vielfalt, ja Wider­sprüchlichkeit, doch ein Faktor- der Weltpolitik werden.

Wenn die Sozialdemokratie nicht mehr die Normalpartei der gemäßig­ten Linken der wohlhabenden Indu­striestaaten ist, sondern eine gestal­tende Kraft auch in den Ländern La­teinamerikas, Afrikas und Asiens, dann hat die Sozialdemokratie eine wesentliche, eine neue, auch eine neu zu definierende Zukunft.

Doch angesichts der konkreten Problemstellungen ist Skepsis ange­bracht. Die Sozialdemokratie in den wohlhabenden Staaten ist dann er­folgreich, wenn sie nationale Wahlen gewinnt; wenn sie auf die Wünsche, auf die Bedürfnisse, auf das Bewußt­sein solcher Wähler Rücksicht nimmt, die - im internationalen Vergleich - zu den Reichen zählen.

Wenn das Engagement der Sozial­demokratie für eine „neue Weltwirt­schaftsordnung“, für eine Umvertei­lung des Reichtums zugunsten der ar­men Länder über schöne Worte hin­ausgehen soll, dann trifft diese welt­

weite Umverteilungspolitik auch die­jenigen Wähler, die die Sozialdemo­kratie braucht, um überhaupt erst an die Schalthebel nationaler Macht zu kommen.

Die Sozialdemokratie muß also, um ihren internationalen Worten auch in­ternationale Taten folgen zu lassen, ihre Wähler zu einer Umverteilungs­politik bringen, die gegen deren kurz­fristig und mittelfristig interpretierten Interessen gerichtet ist. Und dafür gibt es keinerlei Anzeichen:

• Die SPÖ betreibt, ohne Rück­sicht auf internationale Solidarität, ei­ne Politik des Rüstungsexportes, die durchwegs solchen Systemen zugute kommt, die die Sozialdemokratie, die die Demokratie überhaupt unterdrük- ken; die SPÖ steht hier nur stellvertre­tend für eine Politik, die, wegen des unmittelbaren materiellen Vorteils - genannt Arbeitsplatzsicherung - der sozialdemokratischen Anhänger, die internationale Solidarität zum Steh­satz von Sonntagsreden verkommen läßt.

• Alle Parteien der Sozialistischen Internationale erreichen in der mate­riellen Entwicklungspolitik zugunsten der Dritten Welt keineswegs signifi­kant höhere Umverteilungserfolge als etwa christlich-demokratische oder li­berale oder konservative Parteien; so­zialdemokratisch regierte Länder wie etwa Österreich, aber auch die Bun­desrepublik Deutschland, weisen kei­nerlei Erfolge auf, den von der UNO gewünschten materiellen Einsatz für die Entwicklungsländer durchzuset­zen.

In diesem Dilemma zwischen einem praktizierten Eurozentrismus und ei­nem gepredigten Internationalismus liegt das Grundthema der Sozialde­mokratie verborgen. Die Sozialdemo­kratie hat eine Tradition der Theorie, des Anspruchs, der Imagination. Sie will, so in ihren Programmen, die Ge­sellschaft von Grund auf verändern - in Richtung auf eine gerechtere, auf eine bessere Ordnung.

In ihrer Praxis ist die Sozialdemo­kratie jedoch gerade dort, wo sie Re­gierungsmacht besitzt, zu einer Nor­malpartei geworden, verflochten in die „Sachzwänge“, gebunden an be­

stehende Interessen, abhängig von Kräften der Beharrung!

Überall dort, wo die Sozialdemo­kratie lange genug die - theoretische - Möglichkeit gehabt hätte, ihre An­sprüche in eine Wirklichkeit umzuset­zen, überall dort bricht dieses Dilem­ma auf. Der Glaubwürdigkeitsverlust der Sozialdemokratie ist eine Folge ihrer Regierungsmacht.

Dieser Glaubwürdigkeitsverlust ist unvermeidbar - als Folge der Span­nung zwischen einem hohen An­spruch, einem Anspruch, der jeden­falls weiter gespannt ist als der An­spruch „bürgerlicher“ Parteien und einer Wirklichkeit, die nicht oder nicht mehr von der Wirklichkeit eben dieser „bürgerlichen“ Parteien ent­fernt ist.

Die Sozialdemokratie unterscheidet sich von ihren Konkurrenten eben da­durch, daß sie sich diesem Spannungs­feld von Theorie und Praxis verstärkt aussetzt. Dadurch bringt sie eine Dy­namik in die Entwicklung.

Aber sie kann diese Rolle nicht un­beschränkt durchhalten. Sie wird im­mer wieder in die Reserve geschickt werden, sobald ihre Veränderungsdy­namik erschöpft ist. Sie wird aber im­mer die Chance vorfinden, aus dieser Reserve herauszukommen.

Die Sozialistische Partei Frank­reichs ist das Beispiel eines solchen Ausbruchs aus der Reserve prinzipiel­ler Opposition in eine Regierungs­macht, die zunächst noch die Phanta­sie beflügelt. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist das Beispiel einer Sozialdemokratie, die - abge­schliffen in der Regierungsmacht - ih­re Veränderungsdynamik und damit einen Gutteil ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt hat; die offenkundig da­nach drängt, in die Oppositionsreser­ve zu kommen.

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