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Kritik am „Grundtext

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Der zur Diskussion gestandene „Grundtext“ zur Vorbereitung eines Sozialhirtenbriefes der österreichischen Bischofskonferenz im Jahre 1990 ist ein Beleg dafür, daß die amtliche Soziallehre der Kirche (nicht die einzelnen fachkundigen katholischen Wissenschaftler und Politiker) den Problemen der Wirtschaftsordnungspolitik, ungeachtet der grundlegenden Erkenntnis der österreichischen Bischöfe vor 28 Jahren, immer noch mehr oder weniger ratlos gegenübersteht.

Dies ist eine der zentralen Aussagen der Stellungnahme eines Kreises „sozial engagierter Christen in Wirtschaft, Wirtschaftspolitik,

Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspublizistik “, die im Juni dieses Jahres dem Sekretariat Sozialhirtenbrief in Linz übermittelt wurde und nunmehr im Druck (Styria, Graz) erschienen, allen Teilnehmern an der Österreichischen Bischofskonferenz kurz vor ihrem Herbsttermin zugegangen ist.l)

Im Vordergrund der Kritik steht eine gewisse ordnungspolitische Orientierungslosigkeit, die aus vielen Textstellen sichtbar wird, obwohl die sogenannte „soziale Frage“ in früheren Hirtenbriefen (zum Beispiel im Jahre 1961) längst mit Recht als „die Frage nach der richtigen Gesellschaftsordnung überhaupt“ erkannt worden ist.

Gerade unter dem Gesichtspunkt der sozialethisch zentralen Frage, von welchen Regeln und Institutionen möglichst friedliche und menschenwürdige Lösungen sozialer Konflikte allen bisherigen Erfahrungen nach realistischer Weise erwartet werden können, kommt der Wirtschaftsordnungspolitik heute eine tragende Bedeutung zu.

Die moderne sozialwissenschaftliche Ordnungstheorie und theoretische Ordnungspolitik hat durch kontinuierlich entwickelte Entwürfe und eine konsequente Prüfung aller diesbezüglicher Versuche einen hohen Bestand weithin gesicherter Erfahrungen zu bieten, an welchen niemand vorbeigehen sollte, dem die sozialen Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft auch ein persönliches Anliegen sind. Nicht zuletzt zeigen die sich gerade überstürzenden Veränderungen in den Staaten des „realen Sozialismus“ einen überzeugenden Lernprozeß darüber, welche verheerenden asozialen Folgen falsch gestellte ordnungspolitische Weichen für die Gesellschaft haben.

Die Ordnungskonzeption, die der traditionellen Soziallehre, der sich auch die österreichischen Bischöfe verbunden fühlen, heute am nächsten kommt, ist im deutschen Sprachraum unter der Etikette „Soziale Marktwirtschaft“ bisher am erfolgreichsten und am meisten bekannt geworden. Es ist dies jene Konzeption für eine freiheitliche und menschenwürdige Gesellschaft, die den sparsamen Umgang mit knappen Gütern und die Koordinierung der zahlreichen Unternehmungen und Haushalte dem wettbewerbsgesteuerten Markt; die Schaffung der Rahmenbedingungen, der notwendigen Infrastrukturen und die sogenannte Zweite Einkommensverteilung zugunsten derer, die auf dem Markt noch nichts, vorübergehend oder überhaupt nichts oder nichts mehr anzubieten haben, dem Staat beziehungsweise den Sozialpartnern sowie dem einzelnen als Konsumenten die Verantwortung für seine eigene Konsum-, Spar- und Freizeitentscheidungen anvertraut und ihm als Wähler die Mitentscheidung darüber, welche konkreten wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen sich die in diesem Lande lebenden Menschen als Gemeinschaft setzen.

Obwohl die an der Ausarbeitung dieser Stellungnahme Beteiligten, die meist auch in katholischen Organisationen tätig sind oder tätig waren, größtenteils in verschiedenen wirtschaftsnahen Institutionen beruflich verankert sind, möchten sie ihren Beitrag nicht als einen solchen zum (ebenfalls nicht minder wichtigen) Dialog Kirche -Wirtschaft verstanden wissen, sondern als eine innerkirchliche Auseinandersetzung beziehungsweise (soweit es sich um evangelische Christen handelt) um einen innerchristlichen Dialog.

Gehen sie doch von derselben Absicht aus wie die Autoren des „Grundtextes“: als „Zeitgenossen tiefgreifender Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft“ dem „Ruf nach einer kritischen Prüfung“ und dem Wunsch der Bischöfe zu folgen und ihre Erfahrungen und Meinungen zur Verfügung zu stellen.

Mit diesem „Grundtext“, der nicht zuletzt auch seiner Mängel wegen eine so weite Resonanz gefunden hat, ist eine vielversprechende Entwicklung eingeleitet worden, die eigentlich schon überfällig ist: Die Fähigkeit, sozial brisante Fragen unter Christen zu diskutieren. Das nachkonziliare Kirchenverständnis, für welches die österreichischen Bischöfe mit dieser Vorgangsweise allen Dank verdienen, ist eine Voraussetzung dafür.

Eine weitere sehr segensreiche Wirkung des Grundtextes wäre eine sehr breite Bildungsoffensive in allen kirchlichen Bildungsprogrammen, die nicht nur ein soziales Engagement, sondern auch die Fähigkeit zur sachlichen Analyse, zur ethisch treffenden Beurteilung und das Verständnis für zielführende Maßnahmen zum Ziel haben sollte.

Der Autor ist Finanzminister und Nationalbankpräsident a.D. und Mitherausgeber der FURCHE.

“„SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT - EIN ETHISCHES POSTULAT“, Stellungnahme zum „Qundtext“ zur Vorbereitung eines Sozialhirtenbriefes der österreichischen Bischöfe 1990 des „ Kreises sozial engagierter Christen in Wirtschaft, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspublizistik“. Herausgegeben von Wolfgang Schmitz, Wien 1989.

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