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Kritik an der Schule

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Lethargie und Aufstand - diese negativ besetzten Begriffe spannen ein Feld auf, in dem gesellschaftliches Engagement der Jugend zu suchen wäre. Der österreichische Cartell-verband (ÖCV) hat eine Meinungsumfrage unter Schülern in Auftrag gegeben, deren erste Trends ein Bedürfnis der Jugendlichen nach Intimsphäre zeigen. Eine Podiumsdiskussion in Linz sollte Vertretern aus Schule und Politik die Gelegenheit geben, das Verhältnis Jugendlicher zu ihren Institutionen zu untersuchen und zu analysieren, ob sie Einfluß auf das gesellschaftliche Handeln der Jugendlichen haben.

Provinzial P. Berthold Mayr als Vertreter der Kirche zeichnete ein nicht allzu rosiges Bild von der Jugend. Bis zu diesem Abend hatte es niemand in einem Linzer Pfariju-gendheim der Mühe wert gefunden, nach dem neuen Papst zu fragen. Schlicht gesagt: Lethargie gegenüber solch revolutionären Veränderungen in der Kirche! Dennoch zeigt sich in der katholischen Jugend ein Interesse für „Glaube ohne Dogmen“ und für ein Leben in neuer Moral.

„Jesus ja! Kirche nein!“ Mit dieser Einstellung, die zu einer positiven, wenn auch kritischen Haltung gegenüber der Kirche führen sollte, könnte die Kirche geschaffen werden, die der Jugend, aber auch den Erwachsenen helfen kann: „Man muß den Lebensentwurf Jesu vermitteln!“ Pater Mayr will die Kirche als ein Modell sehen, in dem der Freiheitsraum geschaffen wird, damit der Dialog zwischen Jugendlichen und Erwachsenen stattfinden kann. Er griff aber auch die Schule sehr heftig an: „Wir werden es nicht mehr dulden können, daß unsere Kinder bis zu sechzig Stunden in der Woche dafür aufbringen müssen, um den Lernstoff der Schule zu bewältigen!“

Prof. Karl Eckmeyr, Amtsführender Landesschulratspräsident, gab auch zu, daß die Schule eher wenig zur kritischen Orientierung der Jugend beitrage. Man durchlaufe die Schule, um den anderen zu überholen und einen besseren Stellenwert in der Gesellschaft zu erreichen. Durch kritische Bemerkungen eines Schülervertreters aus dem Publikum angespornt, der dem jetzigen Schulsystem nur den „Schein einer demokratischen Struktur“ vorwarf, entwik-kelte Eckmayr eine Art Maßnahmenkatalog:

Auch Eltern müßten am Entschei-dungsprozeß in der Schule teilnehmen. Die Jugend dürfe nicht in der Eingestaltigkeit der Schule existieren. Die Klassenhöchstzahl müsse gesenkt werden, um die sozialen Kontakte zu verbessern. Die Schule dürfe keine Totalitätsansprüche stellen, sondern müsse die Möglichkeit zu sozialen und kulturellen Kontakten im Unterricht eröffnen. Sie müsse soviel Lebenswirklichkeit wie möglich in den Unterricht hereinnehmen.

Mag. Josef Höchtl (Junge ÖVP) versuchte an Hand der Wahlbeteiligung bei den Wiener Gemeinderatswahlen zu zeigen, wie groß das Desinteresse der Jungwähler am politischen Geschehen sei: Während sich generell 27% der Wahlberechtigten nicht an der Wahl beteiligten, gingen 41% der Jungwähler nicht zur Urne.

Zwei Angriffe kamen aus dem Publikum auf den Politiker zu: Zum ersten sei Politik zu undurchschaubar und es würden zuwenige Lösungen zu den Problemen der Gesellschaft angeboten. Zum zweiten könnten die Politiker den Willen der Wähler nicht mehr erkennen und die kritische Jugend fühle sich aus dem politischen Meinungsbildungsprozeß ausgeschlossen. Auch hier konnte man eine Forderung an die Schule hören: „Politische Bildung soll die Jugendlichen nicht nur mit Wissen konfrontieren, sondern zum Engagement in der Demokratie, auch unabhängig von politischen Organisationen, motivieren!

Darauf Präsident Eckmayr: „Ich habe den Eindruck, nicht aufgearbeitete Probleme der Gesellschaft werden der Institution Schule zugeschanzt.“ So würde von den Ärzten eine dritte Turnstunde gefordert, wenn bei Jugendlichen vermehrt Haltungsschäden aufträten. Es gehe sogar so weit, daß von der Schule ein Freizeitplan als Gegenstück zum Stundenplan gefordert werde!

Es war an diesem Abend der Soziologe Univ.-Prof. Dr. Leopold Rosen-mayr, der auch in dieser scheinbaren Lethargie der Jugend neue Keime zum gesellschaftlichen Engagement sah. So müsse der Student zuerst damit fertig werden, den durch die ökonomischen Verhältnisse bedingten Leistungsdruck an den Universitäten durchzustehen, wodurch eine Tendenz zum Individualismus bedingt würde. Jugend versuche, die eigenen Probleme durch das Leben selbst zu lösen. Man bejahe als Jugendlicher unkonventionelle Methoden für gesellschaftliches Engagement, finde sich mit wachsendem Alter jedoch mit den Strukturen ab. Der Existenzkampf führe zum Arrangement mit dem Behördenapparat.

Ich konnte nach dieser Diskussion das Gefühl nicht loswerden, daß in der Theorie zwar Lösungen vorhanden sind, um Jugend für die Gesellschaft zu engagieren, daß wir aber viel zuwenig Spontaneität in uns tragen, um in der Praxis handeln zu können.

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