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Kritik an Gehlen

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Gehlens Institutionslehre (Arnold Gehlen, geboren 1904, Philosoph, Soziologe, Professor in Leipzig, Wien, emer. TH Aachen) gewinnt in der Zeit des Schlagwortes vom Auszug aus den Institutionen des Establishments und ihrer Zerstörung sowie neuer Formen des Anarchismus und Nihilismus eine außergewöhnliche Bedeutung. Nach Gehlen können Menschen auf die Dauer nichts gemeinsam tun, ohne es nach Regeln zu tun. Die Betonung liegt auf Dauer. Die „abgehobene Regel gegenseitigen Verhaltens“ ergibt den Grundriß einer dauernden Einrichtung, einer Institution. Solche stabilisierte Verhaltensmuster machen das gegenseitige Handeln berechenbar und zeitneutral; sie bedeuten für den einzelnen, daß sie ihm eine „fallweise Improvisation von Entscheidungen“ und einen „Affektaufwand“ ersparen. Es fällt sofort auf, daß es bei dem Ganzen auf Kritik und Kontrolle der „Selbstmanie der Institutionen“ ankommt und auf die Gefahr des Verfalls der Institutionen in revolutionären Zeiten; wenn die „Atomisierung des einzelnen mit Affektbelastung“ eintritt und das Einzelverhalten sich in „zusammenhanglosen Jetztbewältigungen“ erschöpft.

Gehlen reflektiert in seiner Lehre Stärkstens auf die Verhaltenslehre von Konrad Lorenz und auf die Forschungen Otto Koenigs, dessen wissenschaftliche Bedeutung durch seine populären Fernsehauftritte im ORF nur zu einem geringen Teil dokumentiert wird.

Das Buch des jungen Soziologen Weiß (Pädagogische Hochschule Ruhr/Duisburg) versucht, die Institutionslehre als „falschen Ausweg aus der Lage“ zu kennzeichnen. Dem Autor kommt es auf den Nachweis der Gründe für das angebliche „wiederholte Scheitern und Neubeginnen“ in Gehlens Denken (Anthropologie, Institutionslehre) an. Er hält es für wichtig, daß sich gegen die Lehre Gehlens bestimmte Voraussetzungen und Möglichkeiten der „gesellschaftlichen Praxis“ (Praxis als Theorieersatz) behaupten können.

Nach den Demontagen der Institutionen, Regeln und bisherigen gesellschaftlichen Praktiken und Moralvorstellungen während der sechziger Jahre ist der Protest des jungen Weiß illustrativ und zeitgemäß. Vielleicht wird dieses Nein hierzulande anregen, Gehlens Alternative zu den vielfältigen Versuchen der Demontage von Formen des Establishments zu überdenken. Zumal es in dieser Phase zwischen den Wellen der Revolution Alternativen dieser Art nicht genug gibt.

WELTVERLUST UND SUBJEKTIVITÄT. Kritik der Institutionslehre Arnold Gehlens. Von Johannes Weiß. Verlag Rombach, Freiburg 1971, 262 Seiten.

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