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Kritik aus Liebe?

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Viele Katholiken in Wien und Österreich sind bestürzt, die einen darüber, daß Laien und Priester gegen päpstliche Maßnahmen Stellung beziehen, die anderen, weil der Papst unter Umgehung der Wiener Weihbischöfe, Priester und Laien einen ortsfremden Professor zirni Weihbischof für die Bereiche Wissenschaft, Kirnst und Kultur ernennt, dessen eigentliche Aufgabe - so wird befürchtet — vielleicht eine ganz andere sein wird. Um einen Weg zur Konfliktbewältigimg im Geiste Jesu zu zeigen, sei hier an einige oft vergessene Wahrheiten erinnert.

Es ist verständlich, wenn vor allem ältere Katholiken die Kritik an Rom und Papst als ehrfurchtslos empfinden. Sie sind (wie der Verfasser) in einer Zeit aufgewachsen, in der die Kirche heftigen Angriffen von außen ausgesetzt war. In Priester- und Lehrerausbildung, Predigt und Katechese wurde gefordert, eine „geschlossene Front" zu bilden. Im Interesse der Einheit wurden Fehler innerhalb der Kirche vielfach verschwiegen. Das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes wurde landläufig zur „Unfehlbarkeit" fast aller Äußerungen und Handlungen ausgeweitet.

Dabei blieb meist unbeachtet, wie oft Päpste im Lauf der Kirchengeschichte gefehlt haben und selbst amtliche päpstliche Erklärungen (zum Beispiel über die Religionsfreiheit und bezüglich der Exegese der biblischen Schriften) Irrtümer verteidigten.

Dies änderte sich, als auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil unter anderen Kardinal Joseph Frings (Köln) es wagte - doch wohl in Absprache mit seinem Konzilsberater, Professor Joseph Ratzinger -, die Vorgangsweisen der römischen Kurie scharf zu kritisieren, weil ihre Unterdrük-kung der Auseinandersetzung mit neuzeitlichen Fragestellungen weder der gegenwärtigen Situation noch der vollfn Wahrheit entspreche. Solch mutige Kritik am Heiligen Offizium, die den Verlauf des Konzils nachhaltig bestimmte, liegt ganz auf der Linie der Bibel.

So schreibt Paulus, daß er auf dem Apostelkonzil die Vorgangsweisen von „Falschbrüdern" nicht schweigend hingenommen habe (Gal 2,4f), ja daß er sogar kurz darauf in Antiochien Petrus öffentlich kritisierte, weil dieser aus kirchenpolitischer Rücksichtnahme auf die den jüdischen

Speisevorschriften weiterhin verpflichteten Jakobusleute vom gemeinsamen Mahl (wohl auch der Eucharistie) mit Heidenchristen Abstand nahm und so auch andere zur ,3euchelei" verführte (Gal 2,11-13).

Hätte Paulus damals geschwiegen, wäre die weitere Heidenmission fast unmöglich geworden. Der Apostel wendet sich auch sonst noch mehrfach gegen einflußreiche Personen in der Kirche (zum Beispiel 2 Kor 11,5). Der Verfasser des Ersten Petrusbriefes ermahnt die ,JÜtesten" (Gemeindeleiter), das ihnen anvertraute Amt nicht „geldgierig" und „herrschsüchtig" zu mißbrauchen (1 Petr 5,2f). Im Jakobusbrief werden kirchlich anerkannte Autoritäten („Lehrer") kritisiert, die Zwietracht in der Gemeinde säten (besonders 3,1.13; vergleiche die Kritik an Diotrephes, 3 Joh 9,11). Selbst Lukas, der das Leben der Urgemeinde idealisiert (zum Beispiel Apg 2,42-45; 4,32), verschweigt nicht, daß es zwischen Paulus und Barnabas zu offenem Streit, ja sogar zur Trennung kam (Apg 15,3&-41).

Die Begabung der Kirche mit dem Heiligen Geist hebt demnach die Willensfreiheit ihrer Glieder nicht auf und verhindert keineswegs ein kritisierbares Handeln. Daß bei der Austragung kirchlicher Konflikte leicht das Gebot der Liebe verletzt wird, lehrt die lukanische Wiedergabe der zentralen Unterweisung Jesu in der „Feldrede". Dort wird nämlich die Nächstenliebe in der Feindesliebe konkretisiert (6,27-36) und behandelt eine locker angefügte Folge von Worten Jesu gerade die Verwirklichung dieses Gebotes innerhalb der Gemeinde: zum Beispiel das Bildwort vom Splitter und Balken.

Im Matthäusevangelium steht im Rahmen einer „Kirchenordnung" eine für das Verhalten bei Konflikten bedenkenswerte Weisung (18,15-17), die auch für heute gilt: zuerst das Gespräch unter vier Augen (eventuell brieflich), dann in Gegenwart von Zeugen und schließlich im Forum der Kirche! All das setzt die Berechtigung von Kritik voraus, fordert zugleich Mut.

Der Kirche wäre im Lauf ihrer Geschichte viel Unheil erspart geblieben, wenn rechtzeitig und nachdrücklich auf Fehlentscheidungen beziehungsweise Unterlassungen aufmerksam gemacht worden wäre. Kritik.an und in der Kirche widerspricht also nicht den Weisungen Jesu und der Apostel.

Allerdings verlangt die Bibel unmißverständlich eines: Jede Kritik muß von Liebe zur Wahrheit und zur Kirche getragen sein. Das gilt auch für jene, die in römischen Kreisen die Kirche Österreichs kritisieren, ja sogar verleumden. In „Human Life International" (Special Report Nummer 24) werden zum Beispiel die österreichischen Bischöfe wegen ihrer pastoral hilfreichen Äußerung zu Humanae Vitae als „schrecklich abtrünnige Hierarchie" (terribly dissident hierarchy) diffamiert.

Wenn darum sehr viele Katholiken Österreichs das problematische, autoritäre und keineswegs der Ökumene dienende Vorgehen Roms nicht schweigend hinnehmen, ist das durchaus berechtigt.

Der Autor ist Ordinarius für Neues Testament an der Universität Wien.

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