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Kritik und Moral

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Der am 16. September 1908 in Wien geborene (und am 11. November 1979 ebenda an einer Komplikation, die sich während eines chirurgischen Eingriffes ergab, verstorbene) Friedrich Torberg wurde wenige Wochen vor seinem Tod mit dem Großen österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet, hat sich stets als österreichischer Schriftsteller gefühlt, wiewohl er 1938 ins französische Exil mit einem tschechischen Paß kam, nach seiner Flucht aus Europa die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und auch über seine Heimkehr hinaus bis zum Tode behielt. Er fände es schäbig, sagte er einmal zu mir, den Vereinigten Staaten die Papiere, die er als Staatenloser einst dankbar empfangen hatte, einfach zurückzugeben, weil „er sie nicht mehr brauche“.

Torberg war in seiner öffentlichen Haltung, nicht nur als Schriftsteller, ein kompromißloser Moralist. Und das vom Anfang an.

Vom Assimilieren, welcher Art immer, hielt er nichts und bekannte sich seit jeher ostentativ zu seiner jüdischen Abstammung. Schon die Karriere als Wasserballer durchlief er sowohl in Wien wie auch in Prag (wohin er mit den Eltern übersiedelt war) grundsätzlich als Mitglied jüdischer Sportvereine.

Sein erster Roman hieß „Der

Schüler Gerber hat absolviert“ (1930) und machte ihn schlagartig bekannt: eine schlagfertige Abrechnung mit der pädagogischen Moral und ihrer Problematik. Es folgte „... und glauben, es wäre die Liebe“ (1932), und aus dem Titel wurde deutlich, daß sich der Vierundzwanzigj ährige keinen Liebesroman über jugendlich unreife Liebesromantik erzählen ließ; er fragte sich und die Leser dezidiert, was dahintersteckt, er fragte nach der Echtheit des Gefühlslebens. ;

Und so ging das weiter, wiewohl es nicht so weiterging, wie er gewünscht hätte, weil das politische Weltgeschehen dazwischentrat. Torberg ging mit, indem er dazu überging, die Frage der Moral nun an die Träger der Weltanschauungen zu stellen: „Mein ist die Rache“ (1942), „Hier bin ich, mein Vater“ (1948), „Die zweite Begegnung“ (1950), „ Süßkind von Trimberg“ (1972) und so weiter.

Immer von Neuem wurde der moralische Anspruch spruchreif gemacht, erst recht und ohne erzählerisches Beispiel, also beispielhaft konkret, in dem satirisch-polemischen Band „Pamphlete, Parodien, Post Scripta“ (1964), in den nicht nur li-teratur-, sondern auch gesellschaftskritischen Sammlungen seiner Theaterrezensionen, „Das fünfte Rad am Thespiskarren“ (1966 und 1967), ja sogar - was belustigte Leser gern übersehen — in den Bestsellerbänden „Die Tante Jolesch“ (1975) und „Die Erben der Tante Jolesch“ (1978). Durchaus nicht zufällig hatte der erste dieser zwei Teile die elegische Titelfortsetzung „Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“.

Uber ein halbes Jahrhundert literarischer Aussage spannte sich also der Bogen, der mit dem Untergang des.Maturanten Gerber begonnen hatte und schließlich mit melancholischem Witz das Ende einer Epoche klagend definierte, weil die Folgezeit (unsere nichts als clevere Gegenwart) dem Attribut „abendländisch“ nicht mehr genügte.

Ob Friedrich Torberg lyrisch, episch, essayistisch oder parodi-stisch auftrat, es war und blieb die Moral, nach der er fragte oder die er in Frage stellte. Die frühe Begeisterung für den Dichter der „Hauspostille“ ging jäh zu Ende, als der Einundzwanzigjährige erfuhr, daß Bertolt Brecht für die „Dreigroschenoper“ Dutzende Verse der Villon-Nachdichtung von K. L. Ammer entwendet hatte. Torbergs gereimte Attacke gegen solche Ungereimtheit, „Das vierte Dreigroschen-Finale“ (1929), bedeutete das Finale einer Hochschätzung, ein rein moralisches Urteil, „Mit Politik hatte das ursprünglich nichts zu tun“, konstatierte er mit Recht fünfunddreißig Jahre nachher.

Es ist allbekannt, daß der kul-tur-, literatur- und sprachkritische Karl Kraus für Torberg zum Vorbild wurde. Er war erst knapp über zwanzig, als er von dem äußerst Wählerischen in den Kreis der Auserwählten aufgenommen wurde, blieb aber absolut selbständig und hielt sich einige Jahre darauf (ohne sich je von seinem Idol zu distanzieren) auf Distanz: weil Kraus Brechts Plagiat als Geniestreich bagatellisierte, was Friedrich Torberg nicht gelten ließ.

. Noch etwas: Dieser Schriftsteller war bei jeglicher Schreibtätigkeit ein ambitionierter Stilist, auch wenn er Briefe schrieb. Er hat es selber einmal angedeutet, aber erst posthum stellte es sich heraus, als Band für Band seiner Riesenkorrespondenz herausgegeben wurde. Freund und Feind, Kaffeehaus-Bekannten, Redakteuren und Verlegern konnte er die Leviten lesen, wenn er von ihnen etwas gelesen oder gehört hatte, das vielleicht nicht einmal der Rede, wohl aber seiner Widerrede wert war.

Und er war der erste oder zumindest einer der ersten, die nach dem Machtantritt Hitlers 1933 in Vorträgen und Kampfartikeln Juden wie NichtJuden zur Rede stellten, die sich mit der Gewalt — „bloß“ - zu arrangieren hofften: Nicht nur, weil er solche Versuche für hoffnungslos dumm hielt, sondern weil er sie unerbittlich als das taxierte, was sie waren: unanständig.

Abermals und endgültig muß also resümierend festgehalten werden, daß der Kern seines Gesamtoeuvres (vom Roman bis zum Premierenbericht) eines war und blieb: Kritik der Moral.

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