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Kritikfähig und verantwortungsbewußt

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Mündige Staatsbürger/ Christen können nicht auf lebenslanges Lernen, auf die weitere Entfaltung ihrer Fähigkeiten und auf den Erfahrungsaustausch mit anderen verzichten.

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Mündige Staatsbürger/ Christen können nicht auf lebenslanges Lernen, auf die weitere Entfaltung ihrer Fähigkeiten und auf den Erfahrungsaustausch mit anderen verzichten.

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Ein ganzes Leben hindurch entfaltet sich der Mensch seinem Ziele zu: immer mehr und besser Mensch zu werden, ein Mensch, der seine Urbeziehungen—zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, zur natürlichen Umwelt und zu Gott - immer mehr vertieft und entfaltet; der seine Aufgaben und Verantwortlichkeiten möglichst gut erfüllt. Der Mensch nimmt in seinem ganzen Leben aus seiner Umwelt auf, er gestaltet nicht nur die Welt, er wird von ihr geprägt. Der Mensch wird reicher an Erkenntnis, Wissen, Fertigkeiten -und an Erfahrung -, ohne daß er sich immer lernend abmühen muß, einfach darum, weil er offen und aufnahmebereit das Leben gestaltet.

Vieles aber muß er sich bewußt aneignen: durch Lesen, manches auch durch Fernsehen, vieles im Gespräch. Trotzdem erschließen sich ihm weite Bereiche nur in organisierter Form in der Erwachsenenbildung. Vor allem soll Erwachsenenbildung dem Menschen helfen, offen zu werden für dieses lebenslange Entfalten seiner Anlagen und Fähigkeiten, seines Wissens und seines Gewissens. Die Erwachsenenbildung vermittelt ihm Begegnungen mit kompetenten Fachleuten, das Gespräch und die Auseinandersetzung mit ihnen. Dies können, jedenfalls derzeit, weder das Buch noch das Fernsehen. Die Erwachsenenbildung ermöglicht aber auch das Gespräch der Teilnehmer untereinander, das Einbringen des eigenen Wissens und der eigenen Erfahrung, verschiedene Gesichtspunkte eines Problems können durchdacht, besprochen und — hoffentlich — in Toleranz aufgearbeitet werden. Seminare, Kurse, Vorträge, Gespräche der allgemeinen Erwachsenenbildung dienen dem Menschen und damit der Gesellschaft.

Dies ist der eine Bereich der Erwachsenenbildung, die sogenannte allgemeinbildende Erwachsenenbildung. Der zweite Bereich ist ebenso wichtig und bedeutsam: die berufliche Erwachsenenbildung. Berufliche Erwachsenenbildung und allgemeinbildende Erwachsenenbildung können, müssen aber nicht in der gleichen Organisation angeboten werden. In Österreich hat sich ein arbeitsteiliges System bewährt, in dem sich einzelne Institutionen auf berufliche beziehungsweise allgemeine Erwachsenenbildung spezialisiert haben. Berufliche Erwachsenenbildung ist von der Gesellschaft mehr anerkannt und wird vom einzelnen Menschen meist für sich selbst als bedeutsam angesehen, weil er dadurch unmittelbaren Erfolg im beruflichen Leben erzielen kann. Für die allgemeine Erwachsenen-; büdung ist dies nicht so offensichtlich, trotzdem ist sie für den einzelnen ebenso wichtig wie für die Gesellschaft.

So kann etwa lebensbegleitende Erwachsenenbildung gutes Zusammenleben in Ehe und Familie fördern, modernes Erziehungsverhalten vermitteln, die Partnerschaft zwischen Mann und Frau vertiefen, dem Menschen Sinn und Aufgabe seines Lebens auch im Alter zeigen. Die Erwachsenenbildung kann und will durch neue Einsichten und Erkenntnisse dem Menschen bei der Bewältigung neuer Aufgaben helfen.

Auch die soziale und die politische Bildung dürfen nicht mit dem Schulabgang enden. Neue Anforderungen, auf die weder Tradition noch Schule vorbereiteten, treten auf, mündige Bürger, die nicht Schlagworten nachlaufen, sondern aus eigenem Wissen und Gewissen die Welt mitgestalten wollen, sind eine wichtige Bildungsaufgabe der Erwachsenenbildung.

Auch in der Kirche sind die Mündigkeit durch Kenntnisse und durch die Bildung des eigenen Gewissens sowie die aktive Mitgestaltung genauso wichtig und entscheidend, nicht nur für den einzelnen Christen, sondern ebenso für die Zukunft der Kirche. Die Kirche der Gegenwart und der Zukunft kann nicht auf Gehorsam und fragloser Annahme vorgegebener Antworten aufbauen, sie braucht den mündigen Christen, der seine Kirche auch innerlich bejahen kann, weil er ein gebildeter, kritischer und in der Welt bewährter Hörer und Verkünder des Evangeliums ist Daher muß Erwachsenenbildung bemüht sein, freie Menschen zü mehr Glaube, Hoffnung und Liebe zu begleiten, damit sie in Freiheit Kirche anerkennen und leben können.

Wenn der Staat und die Kirche den Menschen, seine Bestimmung und seine Lebenswirklichkeit ernst nehmen, kann es nicht um blinde Anerkennung autoritärer Entscheidungen gehen. In einem ständigen Prozeß das eigene Gewissen zu bilden und nicht nach detaillierten Handlungsanweisungen oder gar dem „starken Mann“ zu rufen, muß die Erwachsenenbildung helfen. Mehr Selbstbestimmung und mehr Freiheit setzen allerdings auch aktive Mitbestimmung und Mitarbeit, ja Mitverantwortung voraus. Dabei muß selbstverständlich im Staat, in der Kirche ein Grundkonsens über die fundamentalen Werte und Normen vorhanden sein. Diese verständlich zu machen, um sie als Fundamente des eigenen Lebens im Staat, in der Kirche zu bejahen, ist Aufgabe der (katholischen) Erwachsenenbildung.

Auch die kulturelle Bildung, die Herausforderung zu mehr Eigentätigkeit und Kreativität, gehört zur Erwachsenenbildung.

Allgemeine Erwachsenenbildung, die von Bildungswerken, Bildungsheimen, Volkshochschulen, volkswirtschaftlichen Gesellschaften, verschiedenen kirchlichen Institutionen und Organisationen wahrgenommen wird, ist ein durch lange Jahrzehnte gewachsenes System, das ausgebaut und verstärkt werden müßte, soll es die Aufgaben der Zukunft erfolgreich bewältigen - Aufgabe sowohl im Staat wie in der Kirche.

Seit vielen Jahrzehnten wird seitens der Politiker betont, daß die Erwachsenenbildung die dritte große Säule in der Bildungslandschaft Österreichs darstellt -neben den Schulen und den Universitäten. Der Staat, die Politiker haben in der Vergangenheit aber nur wenig getan, um diesem Anspruch im staatlichen Bereich Rechnung zu tragen.

In der Förderung durch den Staat und die Länder spielt die Erwachsenenbildung eine untergeordnete Rolle, die öffentliche Anerkennung ihrer Bedeutung ist gering. In den Medien, bei den Parteien und auch bei sehr vielen Staatsbürgern gilt sie als Hobby von Idealisten. So wird bereits seit 15 Jahren um die Einführung eines sogenannten Bildungsurlaubes gerungen. Der Staatsbürger soll außerhalb seines Urlaubes einige Tage*im Jahr auch an allgemeinbildenden Erwachsenenbildungsveranstaltungen teilnehmen können. Dieser zusätzliche Bildungsurlaub steht immer noch aus.

Im Gegensatz dazu fördert die Kirche Erwachsenenbildungsein-

„Zur aktiven Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens verpflichtet“ richtungen stärker. Auch für die Gesellschaft wäre es von Vorteil, wenn die Einsicht in soziale Notwendigkeiten und die Grundvoraussetzungen staatlichen Zusammenlebens bei vielen Menschen wachsen würde. Der einzelne kann nicht nur die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse beim Staat einfordern, er muß auch dem Staat zu geben bereit sein — nicht nur in Form von Steuern, sondern auch durch seine Mitarbeit, er ist zur aktiven Gestaltung der kleinen wie der großen Bereiche des menschlichen Zusammenlebens verpflichtet.

Da Erwachsenenbildung im kirchlichen Bereich für den Menschen in all seinen Bezügen Bedeutung hat, für sein religiöses wie für sein personales, für sein familiäres, sein soziales und politisches Leben, fordert die katholische Erwachsenenbildung auch eine gleichberechtigte Förderung wie staatliche Institutionen.

Damit das Leben der staatlichen wie der kirchlichen Gemeinschaft nicht in Musikantenstadel-Atmosphäre oder diffuser Wunder- und Sektengläubigkeit verspielt wird, braucht es die bildenden und stützenden Kräfte der Erwachsenenbildung.

Der Autor ist Leiter des Bildungshauses St Hippolyt.

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