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Kroatisch oder Serbokroatisch?

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Was sprechen eigentlich die Kroaten? Kroatisch oder Serbokroatisch? In dieser Frage verstecken sich nicht nur linguistische, sondern vielmehr politische, nationale, ethnische und wirtschaftliche Probleme der heutigen Volksrepublik, vor allem die Beziehungen zwischen Serben und Kroaten, den beiden größten Völkern Jugoslawiens, die das Bestehen dieses Balkanstaates bedingen.

In der nationalpolitischen Lage Jugoslawiens ist heute das Serbokroatische die Amts- und Schriftsprache sowohl in Serbien als auch in Kroatien, ferner noch in Bosnien-Herzegowina und in Montenegro (Crna gora). Serbokroatisch ist eigentlich eine Kunstsprache trotz der großen grammatikalischen Ähnlichkeit zwischen dem Serbischen und dem Kroatischen. Seine Wurzeln reichen in die Zeit der il-lyristischen Bewegung im 19. Jahrhundert. 1850 einigten sich einige kroatische und serbische Studenten in Wien auf eine gemeinsame schriftsprachliche Basis. Diese sollte ein Gegengewicht gegenüber dem ungarischen und dem deutschen Druck darstellen.

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem neuen südslawischen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS), wurde die gemeinsame serbokroatische Schriftsprache, besonders in der Zeit des Königs Alexander (1929), zu

einem der wichtigsten Instrumente der großserbischen Hegemonie in Kroatien. Diese rief Konflikte hervor, die im Zweiten Weltkrieg zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen der beiden Volksgruppen ausarteten, wobei die serbische Bevölkerung in Kroatien, eine über

eine halbe Million zählende Volksgruppe, die schwersten Verfolgungen erleiden mußte.

Im neuen kommunistischen Jugoslawien der Nachkriegsjahre stand hinter dem Motto von der Einheit des Staates und der Brüderlichkeit die verdeckte Absicht einer sprachlichen Fusion jugoslawischer Völker, initiiert vom großserbisch orientierten Innenminister Alexander Rankovic und seinem Polizeiapparat. Die Kroaten wurden wegen der Kriegsereignisse von der zentralen Parteiführung als unzuverlässig betrachtet und die führenden Posten in Verwaltung und Wirtschaft vorwiegend mit serbischen Funktionären besetzt. Die Anstellung serbischer Funktionäre in Kroatien ermöglichte gerade die gemeinsame serbokroatische Sprache. In Slowenien konnte dies nicht geschehen, weil die

Serben des Slowenischen nicht mächtig waren. Die nationale Sprache gewinnt so ui Jugoslawien auch die Funktion der nationalen Selbstverteidigung.

1952, mitten in der Rankovic-Ära, erfolgte, politisch diktiert, die Vereinbarung zwischen dem kroatischen Na-

tionalverein „Matica Hrvatska“ und dem serbischen Nationalverein „Matica Srpska“ über eine gemeinsame Ausgabe des serbokroatischen Wörterbuches.

Nach dem Sturz Rankoviö' 1966 und der Dezentralisierung der jugoslawischen Partei, durch die die Parteiführungen in den Teilrepubliken fast autonom wurden, kam es in Kroatien zu Versuchen, die in der sprachlichen Frage angehäuften Probleme zu bereinigen. 1971 unterzeichneten 18 führende kroatische Kultur- und wissenschaftliche Organisationen und Institute die „Deklaration über die Lage der kroatischen Sprache“. Beteiligt waren Universitätsinstitute, der kroatische PEN und zahlreiche Schriftsteller. In dieser Deklaration wurde auf die Unterdrückung kroatischer Ausdrücke in der gemeinsamen serbokroatischen

Sprache hingewiesen. „Matica Hrvatska“ kündigte die Vereinbarung mit der „Matica Srpska“ und bereitete die Herausgabe des „Wörterbuches der kroatischen Sprache“ vor.

Aber noch im selben Jahr wurde die liberale kroatische Parteiführung gestürzt, die nach der Dezentralisation der jugoslawischen Partei den nationalen politischen Kurs eingeschlagen hatte, und es kam zur erneuten Zentralisierung der Partei. Es folgten umfangreiche Säuberungen des ..kroatischen Parteiapparats und der Verwaltung. Die Säuberungen trafen auch „Matica Hrvatska“ und das eben gedruckte kroatische Wörterbuch. Die ganze Auflage wurde in der Druckerei beschlagnahmt und eingestampft. Einige Exemplare kamen nach dem Westen und wurden nachgedruckt.

Das ungewöhnlich scharfe Vorgehen gegen das kroatische Wörterbuch war nicht allein gegen die „Matica Hrvatska“ und ihre nationalistische Tätigkeit gerichtet. Hinter der sprachlichen Frage verstecken sich tiefgreifende, noch nicht überwundene Probleme des jugoslawischen Zusammenlebens. Die Kroaten verlangen die Anerkennung der eigenen Nationalsprache und somit eine größere Autonomie ihrer Wirtschaft und des Außenhandels. Demgegenüber wächst die Sorge der serbischen Bevölkerung in Kroatien (ein Drittel der Einwohner der

Teilrepubük), die einen neuen Ausbruch des kroatischen Nationalismus gegen sie fürchtet.

So scheint das Verbleiben beim Serr bokroatischen einstweilen die geeignetste Lösung zu sein. Die mit der kroatischen Sprachfrage verbundenen Probleme wird man aber nicht umgehen können. Bei einer Anerkennung des Kroatischen wird den serbischen Gebieten in der Teilrepublik die volle kulturelle und sprachliche Autonomie garantiert werden müssen,

Die letzten Anzeichen sprechen zugunsten einer solchen Entwicklung. Die Arbeiten am serbokroatischen Wörterbuch werden in Kroatien .zwar fortgesetzt, doch die Kommission für die linguistischen Fragen bei der kroatischen Partei kündigte auch die Vorbereitung eines kroatischen Rechtschreibebuches an. Es entspricht dies der neuen Linie der Belgrader Parteiführung, und zwar, wie es scheint, auf Druck Bosniens, der nationalideologischen Pufferzone zwischen den Serben und den Kroaten. Die Teilrepublik Bosnien-Herzegowina mit serbischer (orthodoxer), kroatischer (katholischer) und muselmanischer Bevölkerung erklärte, sie wolle niemandes Sprachkolonie - weder der Kroaten noch der Serben - sein und wolle ihren eigenen Sprachgebrauch festlegen.

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