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Kronprinz Rudolf beging Selbstmord

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Medienpolitisch war es vielleicht geschickt, mitten im Wahlkampf etwas ganz anderes, nämlich „Enthüllungen über Mayerling“, zu veröffentlichen, seriös war es aber sicher nicht.

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Medienpolitisch war es vielleicht geschickt, mitten im Wahlkampf etwas ganz anderes, nämlich „Enthüllungen über Mayerling“, zu veröffentlichen, seriös war es aber sicher nicht.

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Die mit dem reißerischen Titel „Zita: Mayerling war Mord!“ auf fünf Fortsetzungen ausgedehnte Serie der „Neuen Kronenzeitung“ hat zunächst im In- und Ausland ein ungeheures Aufsehen erregt, obwohl schon nach der ersten Fortsetzung zu erkennen war, daß diese „Enthüllungen“ weder neue Fakten noch gar Beweise enthalten würden, sondern nur die im Hause Bourbon-Parma und in der

Familie des Erzherzogs Karl Ludwig schon immer in verschiedenen Versionen verbreiteten Gerüchte.

Tatsächlich wurde der Inhalt der Serie von einer Fortsetzung zur anderen immer dünner, bis die letzte Fortsetzung nur mehr die Vermutung der Oberin des Klosters in Mayerling brachte, die sich auf die längst durch einwandfreie Dokumente widerlegte Erzählung des Sohnes jenes Tischlers Wolf stützt, der nicht, wie behauptet, „wenige Tage nach dem Drama“, sondern erst zwei Wochen später das Sterbezimmer betrat.

Was aber die angeblichen ausländischen Auftraggeber der „internationalen Verschwörung“ betrifft, so endete die Serie mit dem geradezu eine Verhöhnung der Leser darstellenden Versprechen, die Namen zweier Persönlichkeiten, die Kaiserin Zita genannt habe, würden „im Herbst veröffentlicht werden, wenn es gelingt, den Verdacht durch neue Geheimakten zu erhärten“.

Der äußere Hergang der Tragödie ist bekanntlich bereits durch das noch immer nicht überholte Buch des ehemaligen Direktors des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Oskar Freiherr von Mitis „Das Leben des Kronprinzen Rudolf“ (1928) bekannt geworden, das von mir 1971 mit einer ausführlichen, die seit 1928 erschienenen Werke und Quellenfunde kritisch würdigenden Einleitung und ergänzt durch Rudolfs Briefe an Theodor Billroth neu herausgegeben wurde.

Die von Mitis publizierte Denkschrift des Grafen Hoyos (S. 341-353 der Neuauflage) ist ein absolut zuverlässiger Bericht, der durch alle später aufgefundenen Zeugnisse bestätigt wurde, so daß der Hergang der Tat (Tötung der Baronesse Vetsera auf deren Verlangen in Rudolfs Schlafzimmer nach Mitternacht, Selbstmord des Kronprinzen durch den in der Gerichtsmedizin wohlbekannten „Selbstmord vor dem Spiegel“ zwischen 6.30 und 7.30 Uhr des 30. Jänner 1889) unwiderleglich feststeht.

Was das Motiv der Tat betrifft, so hat man lange an die von interessierter Seite (Gräfin Larisch) in die Welt gesetzte Theorie von einer „ungarischen Verschwörung“ geglaubt, in die der Kronprinz verwickelt gewesen sei; und der getreue Mitarbeiter und publizistische Gehilfe des Kaisers Karl, Baron Karl von Werkmann, hat in den „Innsbrucker Nachrichten“ vom 17. November 1928 unter Hinweis auf Mitteilungen des Kaisers Karl, der sich auf Kaiser Franz Joseph berufen habe, die These vertreten, Rudolf habe sich „in ungarische Abenteuer eingelassen“, aus denen er in geistiger Verwirrung keinen anderen Ausweg gefunden habe, „als den Tod durch eigene Hand“.

Nun aber sollen wir glauben, Kaiser Karl habe schon immer von der „Ermordung des Kronprinzen“ gewußt! Das angebliche „Zweitausend-Worte-Tele- gramm“ Franz Josephs an Papst Leo XIII. aber hat, wie Fritz Judt- mann überzeugend nachweisen konnte, nie existiert und ist wahrscheinlich die Erfindung des römischen Korrespondenten der Londoner Zeitung „The Standard“.

Der Abschiedsbrief Rudolfs an seine Frau Stefanie wurde von dieser 1935 in Faksimile in ihren Erinnerungen und seither noch mehrmals in anderen Büchern publiziert. Die sehr präzise letztwillige Verfügung Rudolfs mit dem Verzeichnis der verschickten Abschiedsbriefe und den Begleitbrief an den Sektionschef Ladislaus von Szögyeny-Marich („Ich muß sterben, das ist die einzige Art, zumindest wie ein Gentleman diese Welt zu verlassen“) hat Rudolf Neck, der derzeitige Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs, 1958 veröffentlicht.

Der Abschiedsbrief des Kronprinzen an seine jüngere Schwester Marie Valerie wurde schon von Egon Caesar Conte Corti für seine 1934 erschienene Elisabeth- Biographie benützt, und ich habe diesen Brief in Wallsee zweimal in der Hand gehabt. Die gleichfalls schon von Corti verwendeten, sehr ausführlichen und anschaulich geschriebenen Tagebücher der Erzherzogin Marie Valerie wurden, was die Tage und Wochen vor und nach Mayerling betrifft, von mir in Wallsee eingesehen und mit Genehmigung des Erzherzogs Theodor Salvator bei dem von ihm dort veranstalteten Familientreffen der Nachkommen der Erzherzogin (damals 160, davon anwesend 108, dazu 28 angeheiratete Familienmitglieder!) im Rahmen meines Festvortrags „Das Haus Habsburg-Lothringen“ am 28. Juli 1974 aus dem Original vorgelesen.

Die gleichfalls bekannten Abschiedsbriefe der Baronesse Vetsera (auf den an ihren Verehrer Prinz Miguel von Braganza kritzelte Rudolf noch „Servus Was- serer!“ - der Spitzname des Prinzen!) bekräftigen die unumstößliche Tatsache des Selbstmords.

Was die These von der „ungarischen Verschwörung“ betrifft, so hat sich bisher, mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Verstaatlichung der ungarischen Adelsarchive, nicht der geringste Beweis oder auch nur Anhalt dafür gefunden. Aber auch um eine „Liebesgeschichte“ im herkömmlichen Sinn hat es sich, zumindest von seiten des Kronprinzen, gewiß nicht gehandelt.

So sind alle seriösen Forscher seit Mitis (Corti, Lloyd, Barkeley, Lonyay, Judtmann, Loehr, Hamann) nicht nur über die Tatsache des Selbstmords einer Meinung, sondern stimmen auch dem Urteil von Mitis zu, der „tieferliegende Ausgangspunkt“ von Rudolfs Selbstmord habe „nicht in einem einzelnen bestimmten Motiv“ gelegen. „Eine Summe von Widrigkeiten persönlicher Art und tragische Verhältnisse höherer Ordnung haben, vielfach ineinandergreifend, eine Saat aufgehen lassen, die schon biologisch in sein Dasein eingebettet gewesen … “

Und Mitis spricht dann von einer „lauernden Todesbereitschaft“, so daß es nur noch „des auslösenden Moments“ bedurfte. Dieses aber hat mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die siebzehnjährige Mary Vetsera geliefert, die in ihrem „makabren Snobismus“ bereit und begierig war, mit dem Mann zu sterben, der glaubte, er könne nur so „wie ein Gentleman“ diese Welt verlassen.

Der Autor ist Ordinarius für Österreichische Geschichte an der Universität Wien.

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