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Kronprinzen, die zur Notreife neigen

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Ein gefaßter, leicht angeschlagener Leopold Gratz gratulierte am Abend des Wahlsonntags dem siegreichen Oppositionsführer Erhard Busek zum Erfolg. „Die SPÖ hat das Vertrauen von 57 Prozent der Wiener Wählerinnen und Wähler und damit weiter eine solide Basis für das Regieren dieser Stadt“, fügte er aber gleichzeitig hinzu. Und konnte sich damit für den Wahlabend trösten.

Zu einem Fackelzug reichte der Erfolg allerdings nicht.

Nach Durchsicht der einzelnen Sprengelwahlergebnisse verordnete sich Leopold Gratz eine Denkpause. Die Folgen eines schönen Herbsttages mußten erst verdaut werden. Schließlich zählt Leopold Gratz zu

beiden TV-Kanäle ohne Rücksicht auf Verluste durchzuziehen.

Sieben der neun Landesintendanten wurden vom Kuratorium bekanntlich mit Mehrheiten zwischen 21 und 25 Stimmen wiedergewählt. Lediglich Niederösterreich und Salzburg waren nach der Geschäftsordnung noch gar nicht fällig.

Mit der Bestellung von Ernst Wolfram Marboe zum FS-2-Chef muß nun auch der Posten des Landesintendanten für Niederösterreich neu besetzt werden. Im Gespräch sind ORF-Generalsekretär Paul Twaroch, der frühere FURCHE-Chefredakteur Hans Magenschab sowie Ernst Exner aus dem Landesstudio Niederösterreich.

und dem Finanzminister Androsch.

Soviel divergierende Interessen könnte nicht einmal Magic Christian unter einen Hut bringen.

Und wenn dann noch täglich in Rundfunk und Zeitungen die Einkommenssteuererklärung des Hannes Androsch zum Frühstück serviert wird, könnte einem die Rolle des Kronprinzen auf immer vergehen. A ber Rücktritt ist nicht erlaubt. Die Show muß weitergehen.

Auch Charly Blecha macht die Kronprinzenrolle zu schaffen. Kaum hat ihn Kreisky in die erlauchte Schar aufgenommen, ist der Hauptdrahtzieher im Rundfunk-Kuratorium und leidenschaftliche Zilk-Anhänger auch schon wieder eingebremst: Heute sitzt Bacher im

den Kronprinzen Bruno Kreiskys. Und dieser kommentierte das Wiener Wahlergebnis ungnädig.

Während also die Blockwarte und Gewährsmänner bereits an Hand der „Stricherlliste“ Erkundigungen über die Herbstausflüge der Genossen einholen, denkt Kronprinz Gratz nach.

Von Leopold Gratz stammt, ja der Ausspruch, für ihn sei Kronprinz „eine Apfelsorte“. Nach Ansicht der Pomologen eine fäulnisanfällige, säuerliche Sorte, von geringer Haltbarkeit. Aber über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten. Auch bei Apfelsorten. Und viele mußten auch schon in saure Äpfel beißen.

Jetzt dürften aber die Kronprinzen Bruno Kreiskys tatsächlich etwas mit der bekannten Apfelsorte gemeinsam haben: nämlich die Haltbarkeit.

Als ein brummiger Bruno.Kreisky seinen Schutzmantel etwas lüftete und sich die Namen seiner potentiellen Nachfolger entlocken ließ, hat er ihnen keinen guten Dienst erwiesen. Plötzlich in der Favoritenrolle präsentiert, begann ihr Stern auch schon zu sinken.

Hannes Androsch, einst des Kanzlers Liebling und Mittelpunkt im Kreiskyschen Sonnensystem, zieht heute bereits seine Planetenbahn so, daß sich nur wenige Berührungspunkte mit seinem einstigen Mentor ergeben. Nobelsozialist Androsch drücken aber auch wahrlich andere Probleme: Fernlastfahrer blockieren die österreichischen Grenzen wegen eines überhastet und unvorbereitet in Kraft gesetzten Straßenverkehrsbeitragsgesetzes (Lkw-Steuer) und Gewerkschafterfordern eine Lohnsteuersenkung, obwohl der Budgetentwurf für das Jahr 1979 bereits ein Rekorddefizit ausweisen wird.

Auch hat er Sorgen mit der Trennung zwischen dem Steuerberater

ORF und Blecha sucht „umgefallene“ SPÖ-Kuratoren. In dieser Rolle macht Blecha gar keine gute Figur. Nur ein erfolgreicher Blecha macht auf dem Bildschirm einen guten Eindruck. Und daß es nicht so wird, daß Partei dort anfängt, wo Hirn aufhört, haben ein paar Kuratoren - ihrem Gewissen folgend und die Parteilinie negierend - gegen eine interne Parteiweisung gestimmt. Und haben Charly Blecha damit eine Wunde zugefügt, in die seine Gegner noch oft Salz streuen werden. Vielleicht gibt ihm die Partei auch die nötige Zeit, diese Wunden zu lecken.

Angesichts der Selbstleger seiner Genossen begann Fred Sinowatz tiefzustapeln und hielt sich für die Rolle eines möglichen Kanzlernachfolgers nicht geeignet. Oder hofft, daß, wer sich selbst erniedrigt, erhöht werden wird.

„Mir bleibt nichts erspart“, soll schon der alte Kaiser angesichts des Kronprinzensterbens gesagt haben. Von Bruno Kreisky ist ein derartiger Ausspruch noch nicht bekannt. Aber jeder Vater liebt die Kinder, die ihm die größten Schwierigkeiten bereiten, am abgöttischesten. Kreiskys Sorgenkinderparade wird daher prolongiert.

Die Meteorologen prophezeien für den Herbst spätsommerliches Schönwetter mit hohen Temperaturen, aber, dazwischen eingestreut, sehr kühle Herbsttage. Die Obstbauern haben diese Wetterunterschiede gar nicht gerne. Das Obst neigt da leicht zur Notreife. Und die Folge ist Fallobst.

Die Apfelsorte Kronprinz soll dafür besonders anfällig sein.

Als politische Kolumne soll dieser Beitrag durch Provokation zum Denken anregen. Die einzelnen Formulierungen des Autors müssen sich nicht mit den Auffassungen der Redaktion decken.

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