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KSZE wichtigste Säule

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Die Grünen diskutieren die Probleme und eine neue Architektur der europäischen Sicherheit - in Österreich und europaweit. Im Gespräch mit der FURCHE präzisiert der Verteidigungssprecher der Grünen, der Theologe Severin Renoldner, seine Vorstellungen von einer neuen Struktur europäischer Sicherheit.

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Die Grünen diskutieren die Probleme und eine neue Architektur der europäischen Sicherheit - in Österreich und europaweit. Im Gespräch mit der FURCHE präzisiert der Verteidigungssprecher der Grünen, der Theologe Severin Renoldner, seine Vorstellungen von einer neuen Struktur europäischer Sicherheit.

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Die österreichische Diskussion um die europäische Sicherheit (ÖVP-Diskussion siehe FURCHE 52/53/ 1992, SP-Vorstellungen hat Peter Jankowitsch in FURCHE 48/1992 angesprochen) beruht für den Vertei-digungssprecher der Grünen, Severin Renoldner, auf einem „ganz gefährlichen Irrtum”: „Die Regierungsparteien sind von der Ideologie geblendet, daß sich mit dem Jahr 1989 alles um 180 Grad gedreht hat.” Man müsse aber sehen, daß vieles gleich geblieben sei.

Das größte Problem für die europäische Sicherheit stellt für Renoldner die weiterhin hohe Konzentration von Atomwaffen in Europa dar.

Die Aufgabe, Verschrottung der Atomwaffen, hat Renoldner dem NATO-Kooperationsrat (NACC) zugedacht, als einer von sechs Säulen einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur. Die wichtigste Rolle in den Überlegungen spielt aber eine reformierte KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). In deren Rahmen sollten alle Informationen zusammenlaufen und Beschlüsse gefaßt werden. Sie wäre die oberste europäische Schlichtungsinstanz. Allerdings müsse unter anderem das Einstimmigkeitsprinzip durch eine hohe Mehrheit ersezt werden.

Als eine weitere Säule hätte der Europarat Aufgaben auf kulturellem Gebiet zu übernehmen. Das sei insofern wichtig, betont Renoldner, „weil es viele ethnische Konflikte sind, die schließlich die Sicherheitsprobleme schaffen”. Auch die Europäische Gemeinschaft hat ihren Platz. „Die EG ist einfach ein wichtiges Forum geworden, mit ihrem wirtschaftlichen Instrumentarium und als stärkste politische Organisation.”

Eskalationsleiter

„Realistischerweise” wird vom grünen Verteidigungssprecher die NATO in die Überlegungen zur europäischen Sicherheitspolitik miteinbezogen: „Man kann sie ja nicht wegzaubern.” Als militärische Vereinigung wäre sie für die oberste Eskalationsebene noch als „Restbestand” vorhanden. Darüber hinaus hätten NATO wie NACC Aufgaben im Zusammenhang mit der Beseitigung von Atomwaffen. Für die Westeuropäische Union (WEU) bleibe „unter Umständen” die Funktion als Diskussionsforum über Sicherheitspolitik.

Die Vereinten Nationen stünden nach den Überlegungen Renoldners über allen sechs Organisationen. Europa würde aber versuchen, im Rahmen der KSZE seine Probleme autonom in den Griff zu bekommen, um so die UNO zu entlasten.

Weil nicht jede Maßnahme zu jedem Zeitpunkt sinnvoll ist, solle Österreich als unabhängiges Land eine „Eskalationsleiter” in die KSZE einbringen, gemäß der auf europäische Konflikte reagiert werden sollte. Reaktionen sollen, so Renoldner, bereits dann erfolgen, wenn erste Spannungen sichtbar würden und nicht, wie im Fall Bosnien, wenn der Konflikt bereits voll ausgebrochen sei.

Auch für die „Eskalationsleiter” präsentiert Renoldner Überlegungen. Auf der untersten Stufe sollen zivile Möglichkeiten wie regelmäßige Berichte oder auch das diplomatische Zitieren von Botschaftern zum Tragen kommen, „wenn zum Beispiel eine Minderheit ihre autonomen Rechte durch ein Gesetz eingeschränkt sieht und das als absolut ungerecht empfindet”. Um eine Verschärfung solcher Konflikte zu ver-.hindern, könnten Vertreter beider Seiten sowie Staatsvertreter eingeladen werden, das Problem im Rahmen der KSZE zu erklären und eine Diskussionslösung zu finden.

, .Kulturelle Initiativen” sollten dann in der zweiten Stufe gesetzt werden. In Übereinstimmung mit den betroffenen Staaten würden Zentren und Programme ins Leben gerufen, um Konflikte regional zu lösen. Und in der nächsthöheren Eskalationsstufe kämen dann Konfliktbeobachter zum Einsatz.

Unbewaffnete „Konfliktschlichtungseinheiten” sollten bei einer weiteren Verschärfung, aber noch vor Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen stationiert werden, um regional Frieden herzustellen, zum Beispiel durch kleinräumige Verhandlungen zwischen Dörfern. „Dazu braucht es schon eine, wenn auch unbewaffnete, Truppe”, meint Renoldner. Unter Umständen sollte diese auch Sicherheitskordons einrichten.

Eine bewaffnete „europäische Polizei” sollte kleinräumige, aber sehr gefährliche Konflikte beseitigen. Und auf der höchsten Eskalationsstufe müßte ein militärisches Eingreifen überlegt werden, „unter dem Oberbefehl der KSZE, so wie es die NATO im Bosnien-Konflikt vorgeschlagen hat”. Der europäische Interventionsrahmen solle sich aber im wesentlichen auf peace-keeping beschränken.

Dieses Sicherheitskonzept, faßt Renoldner zusammen, sei auf mehreren Schienen aufgebaut, denn „solange man die Atomwaffen nicht völlig beseitigt, müsse man schauen, daß die Rolle der NATO und WEU nicht zu stark wird”. Europäische Sicherheit sei nicht durch eine neues atomgerüstetes Blöckesystem zu erreichen.

Deshalb sei es auch nicht notwendig, daß Österreich bei jeder Organisation dabei sei.

Für Österreich propagiert Renoldner das Schlagwort von der „aktiven Neutralitätspolitik”. Österreich solle sich als Ort von Verhandlungen und von Konfliktschlichtung offensiv anbieten. Dafür hätte Österreich - noch dazu mit Wien als UNO-Stadt - gute Voraussetzungen, denn es sei als defensives, nichtatomares und offenes Land unverdächtig. Renoldner befürchtet nun, daß durch die Diskussionen um Mitgliedschaften in Militärbündnissen dieses Guthaben verspielt werde „und damit auch eine Chance für Europa”.

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