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Kuba möchte Demokratie

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Kuba - ein Paradies der Werktätigen oder finstere Diktatur? Was bewegt sich auf der Zuckerinsel? Präsident Fidel Castro hat einen Rechtfertigungsprozeß initiiert.

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Kuba - ein Paradies der Werktätigen oder finstere Diktatur? Was bewegt sich auf der Zuckerinsel? Präsident Fidel Castro hat einen Rechtfertigungsprozeß initiiert.

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Am 1. Jänner jährte sich zum 28. Mal der Einzug der Bärtigen in die Hauptstadt Havanna. Seither ist in Kuba eine Entwicklung vor sich gegangen, die in vielen Bereichen beispielgebend für Länder der Dritten Welt anzusehen ist, jedoch widersprüchlich ablief und oft dem entsprach, was der Kubaner mit einem kurzen Satz umschreibt: „... (los cubanos) o no llegan o se pasan“ (Wir kommen entweder nicht an oder schießen übers Ziel hinaus).

Zur Zeit befindet sich Kuba in einer kritischen Situation. Das betrifft vor allem die wirtschaftli-

che Lage und den außenpolitischen Druck, der auf der Revolution lastet.

Im Dezember 1986 fand der verlängerte Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas statt. Schon während des gesamten vergangenen Jahres wurde Kritik an gewissen Erscheinungsformen der Innenpolitik Kubas laut. Diese Kritik manifestiert sich vor allen Dingen in einer politischen Bewegung von unten nach oben.

Der kritische Inhalt - mangelnde ökonomische Effizienz und Bürokratismus - wird mit manchmal recht harten Worten in die Diskussion gebracht. Während des zweiten Halbjahres mußten eine Reihe von Verantwortlichen in Wirtschaft, Partei und Massenorganisation aufgrund von Kritik persönliche Konsequenzen ziehen und zurücktreten.

Fidel Castro konfrontierte in einer aufsehenerregenden Initiative die Vertreter von Regierung, Partei, Wirtschaft, Massenorganisationen und Gewerkschaften mit den von der Basis kommenden kritischen Anfragen, wobei sich diese gegen Anschuldigungen wehren beziehungsweise ihr Verhalten rechtfertigen konnten.

Der Prozeß, der jetzt nach dem Parteitag anläuft, wird als „Recti-ficacion“ betrachtet. Mittels konstruktiver Kritik soll ein demokratischer Prozeß in Gang gesetzt werden. Mit Augenmaß und fundierter Analyse will man bestehende Probleme angehen.

Der Zuckerpreis ist so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Es wird zwar mehr produziert, aber immer weniger Erlös erzielt. Zucker ist Haupteinnahmequelle des Landes; dadurch kommen Devisen ins Land. Man kann sich leicht ausmalen, wie sehr Kuba unter den fallenden Zuckerpreisen leidet.

Der Verkauf von öl, das sich Kuba von seinen sowjetischen

Lieferungen einspart und an Drittländer weitergibt, ist ein anderer Exportzweig. Da der öl-preis niedrig liegt, ist für Kuba trotz Einsparungen kein Mehr an Devisen zu erwarten.

Andere Exportprodukte und Rohstoffe unterliegen wiederum der von den USA nicht nur noch immer aufrechterhaltenen, sondern in jüngster Zeit sogar verstärkten Blockade. Weithin unbekannt ist die Tatsache, daß die USA alle Firmen mit Boykott belegen, die kubanische Produkte kaufen beziehungsweise vertreiben.

Dazu kommen Schäden durch Naturgewalten, wie Uber-schwemmungen zu Beginn des vergangenen Jahres, Verwüstun-

gen durch Hurrikane und eine seit 25 Jahren nicht dagewesene Dürreperiode in der zweiten Jahreshälfte.

Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Kraft der Revolution bisher noch jedesmal ausreichte, um eigene Mängel und Druck von außen zu überwinden. Es gibt die Fähigkeit zur Selbstkritik.

Mitte Dezember 1986 wurde landesweit ein breit angelegtes Zivilverteidigungsmanöver durchgeführt. Es sollte zusammen mit militärischen Einheiten eine umfassende Landesverteidigung demonstrieren. Bastion '86 wurde das Unternehmen genannt. Vom Kind bis zum Urgroßvater, vom Arbeiter bis zum Universitätsprofessor beteiligten sich breite Bevölkerungsschichten. Die kubanische Verteidigungsdoktrin besagt, daß ein konventioneller Angriff eines Gegners — auf Kuba sind damit immer die USA gemeint — so verlustreich wie möglich sein soll. Auf Kuba schätzt man die Verluste eines möglichen ' Aggressors allein in den ersten Tagen in Höhe der Gesamtopferzahl des Vietnamkriegs. Es könnte vielleicht die eine oder andere Stadt besetzt werden, langfristig wäre eine Besetzung äußerst verlustreich.

Diese Übungen trugen - von der Basis her gesehen — kaum militaristische Züge. Den Autor dieses Beitrages überraschte während einer Autobusfahrt eine Abschaltung des Stroms. Der Fahrer hielt, ebenso wie alle anderen Fahrzeuge, an und schaltete die Scheinwerfer ab. Die Autobusinsassen trafen sich auf der Straße mit den anderen Verkehrsteilnehmern, die entweder zu Fuß oder in ihren Autos unterwegs waren. Man diskutierte das Ereignis und beging es wie eine große Fiesta.

Die Situation auf Kuba ist zwar schwierig und mit Widersprüchen behaftet. Aber es besteht Aussicht auf Verbesserungen. Vor allem durch eine Straffung der Wirtschaftsführung soll das erreicht werden. Der außenpolitische Druck ist von Kuba nicht steuerbar. Es wird hier also keine Änderungen im Zusammenhang mit der Angola- oder Äthiopienpolitik geben.

Der Tourismus eröffnet ein neues Feld für die nur mehr spärlich fließenden Devisen. Die bestehenden Charter-Verbindungen zwischen Wien und Havanna sind bis Mitte des Jahres ausverkauft.

Der Autor - soeben aus Kuba zurückgekehrt - iit Mitarbeiter am Wiener Internationalen Institut für den Frieden.

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