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Digital In Arbeit

Künftig nur noch namenlose Kriminalberichte?

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Wenn über einen grauslichen Mord in schwarz-schillernden Farben berichtet wird, nicht nur Name und Foto des tatverdächtigen „Verbrechers", sondern auch die Wohnadresse seiner Großmutter, bei der er gewohnt hat, frei Haus geliefert wird, hat die Chronikberichterstattung in der Grauzone zwischen Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz zugeschlagen. Eine Novelle zum Mediengesetz (FURCHE 2/1992) soll dem abhelfen. Journalisten befürchten die Einschränkung ihrer Arbeit.

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Wenn über einen grauslichen Mord in schwarz-schillernden Farben berichtet wird, nicht nur Name und Foto des tatverdächtigen „Verbrechers", sondern auch die Wohnadresse seiner Großmutter, bei der er gewohnt hat, frei Haus geliefert wird, hat die Chronikberichterstattung in der Grauzone zwischen Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz zugeschlagen. Eine Novelle zum Mediengesetz (FURCHE 2/1992) soll dem abhelfen. Journalisten befürchten die Einschränkung ihrer Arbeit.

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„Wenn einer sagt, daß die Novelle in die Richtung geht, daß sie ein Maulkorb für Journalisten ist, daß dann die großen berühmten politischen Fälle nicht mehr aufgedeckt würden, weil sie dem Identitätsschutz unterliegen, dann kann das nur einer meinen, der den Gesetzesentwurf nicht gekannt hat," verteidigt Gerhard Litz-ka den Entwurf der Mediengesetznovelle. Gerhard Litzka, Pressesprecher des Justizministers, hat als Medienreferent selbst am neuen Entwurf Hand angelegt. „Es konzentriert sich im Grund auf die Frage: Muß ich den Namen auch noch dazu schreiben?", umreißt Litzka den Kern des Problems. Er selber glaube, „daß wenn man den Namen nicht nennt, sogar ein bißchen aggressiver schreiben kann..."

Die Identifikation mit dem Fall werde aufgrund der Namensnennung wesentlich stärker, aber im negativen Sinne. Ein Tatverdächtiger werde durch Berichte in Massenmedien vorverurteilt oder zum zweiten Mal verurteilt. Hinter diesem Argument steckt nicht nur die Justiz, die sich nicht gerne in ihre Arbeit pfuschen läßt, sondern auch die Sorge um die Resozialisierung von Strafgefangenen. Jährlich werden 220 Millionen Schilling dafür ausgegeben, ein Teil der Bemühungen werde durch diskriminierende Medienberichte zerstört.

Dieses Problem will das Justizministerium über formale Kriterien in den Griff bekommen. Werden Namen, Bilder und Angaben zur Person der Tatverdächtigen oder Verurteilten und der Opfer veröffentlicht, die geeignet sind, die Identität dieser Personen offenzulegen, sollen die „Medienopfer" einen Entschädigungsanspruch gegenüber den Medieninhaber von bis zu 200.000 Schilling haben. Umfang der Berichterstattung sowie die Verbreitung des Mediums sollen dabei ebenso berücksichtigt werden wie die Wahrung der wirtschaftlichen Existenz.

Ausnahmen für diesen Schadenersatzanspruch soll es ebenso geben:

□ Für wahrheitsgetreue Berichte über eine Verhandlung in einer öffentlichen Sitzung des Nationalrates, des Bundesrates, eines Landtages, eines Gemeinderates oder eines Ausschusses dieser Vertretungen;

□ für Veröffentlichungen zum Zweck der Fahndung oder der behördlichen Verbrechensvorbeugung;

□ wenn ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden hat;

□ wenn angenommen werden kann, daß der Betroffen mit der Veröffentlichung einverstanden war;

□ bei Live-Interviews im Hörfunk oder im Fernsehen.

Für die journalistische Praxis bedeutet das, daß statt oft unnötig vollständiger Namensnennungen nur Vorname und Anfangsbuchstabe des Familiennamens verwendet werden sollten und auch keine „Verbrecherfotos" mit finster dreinblickenden Gesichtern. Schwieriger ist die Abwägung zusätzlicher Angaben wie zum Beispiel der Beruf oder der Wohnort.

Chronik-Journalisten haben gegen den Namensschutz heftig protestiert, weil sie ihre Arbeit gefährdet sehen. Die Leser hätten ein Informationsbedürfnis, das sie zu erfüllen hätten. „Die Nichtakzeptanz und der Widerstand der Boulevardpresse sind umso schärfer, je schwerer das Delikt ist." Deshalb soll im demnächst vorliegenden Regierungsentwurf stehen, daß ab der Prozeßeröffnung bei schweren Kapitalverbrechen der Identitätsschutz fallen soll. In solchen Fällen sei, meint Litzka, mit hohen Haftstrafen zu rechnen, der Schaden durch eine Namensnennung halte sich in Grenzen.

Der Schutz der Unschuldsvermutung würde nicht schwer sein. Die Bezeichnung „Täter" wäre durch „Tatverdächtiger" zu ersetzen. Die Unschuldsvermutung gehört zu den Grundsäulen rechtsstaatlicher Justiz und sollte auch in der Öffentlichkeit gewahrt bleiben.

Problematisch ist die vorgesehene Ausnahmeregelung, daß kein Schadenersatzanspruch besteht, wenn der Betroffene die Tatbegehung nicht bestritten hat, da dies noch lange kein Geständnis ist. Litzka hat da an Fälle gedacht, wo ein Geständnis vorliegt, ist aber mit dieser Formulierung selbst nicht gerade glücklich. Wenn „bei Aufwendung der gebotenen journalistischen Sorgfalt offenbar kein Zweifel an der Täterschaft bestanden hat", soll auch kein Schadenersatzanspruch bestehen.

Nicht geschützt werden Angehörige, Bekannte, Freunde und Freundinnen von Tätern oder Opfern, soferne dadurch kein Rückschluß auf die Identität von Tätern beziehungsweise Opfern möglich ist. Aber auch Opfer von Unfällen und anderen tragischen Ereignissen genießen weiterhin keinen Schutz vor aufdringlichen Medienberichten.

„Österreich hat ein legislatives Manko, weil es den ideellen Schadenersatz nicht kennt. Alle anderen Länder haben das in einer allgemein Regelung drinnen", sieht Litzka hier Österreich der europäischen Entwicklung nachhinken. Früher wurde der Persönlichkeitsschutz im Bereich der Justiz über das Strafrecht geregelt, was auch heute noch in einigen Stellungnahmen zum Gesetz gefordert worden sei. Die Schadenersatzansprüche im Mediengesetz werden nach Litzkas Einschätzung Schrittmacher für einen Nachholprozeß auch im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch sein.

Schadenersatzprozesse sind oft langwierig und teuer. Damit auch jene, die sich keinen Rechtsanwalt leisten können, Zugang zum Schadenersatz haben, ist eine kostenlose Verfahrenshilfe vorgesehen. Bisher konnte bloß unter Berufung auf Kreditschädigung Schadenersatz von Medien eingeklagt werden. Das war eher etwas für Manager und Firmen. Zudem arbeiten Journalisten in der Wirtschaftsberichterstattung sorgfältig, um eben allfällige Klagen zu vermeiden.

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