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Künstler, Händler, Schmuggler in Kufstein

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„Die Tiroler sind schön, heiter, ehrlich brav und von unergründlicher Geistesbeschränktheit. Sie sind eine gesunde Menschenrasse, vielleicht weil sie zu dumm sind, um krank sein zu können.” Diese Frechheit hat Heinrich Heine in seinen „Reisebildern” festgehalten.

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„Die Tiroler sind schön, heiter, ehrlich brav und von unergründlicher Geistesbeschränktheit. Sie sind eine gesunde Menschenrasse, vielleicht weil sie zu dumm sind, um krank sein zu können.” Diese Frechheit hat Heinrich Heine in seinen „Reisebildern” festgehalten.

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Ob ihm sein Vor-Urteil selbst zu hart erschienen ist? Jedenfalls hat er einige Absätze weiter wohlwollend vermerkt: „In der Wirtsstube des Heim Niederkirchner zu Innsbruck hängen einträchtig nebeneinander die Bilder von Andreas Hofer, Napoleon Bonaparte und Ludwig von Bayern.”

In Wirklichkeit war es mit der tirolisch-bayerischen Eintracht nicht so weit her. Das zeigt bis 31. Oktober auf der Feste Kufstein, klar nachvollziehbar und hervorragend aufbereitet, die Tiroler Landesausstellung „Bayerisch-tirolische Geschichten -... eine Nachbarschaft”. Schonimmerwardas Grenzgebiet durch intensive Wechselbeziehungen und Kontakte gekennzeichnet, wenn diese auch nicht immer freundschaftlicher Natur waren.

In der Bronzezeit hat man friedlich rege Handelsbeziehungen gepflegt. Jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts, kämpfen beide Seiten einträchtig gegen die gemeinsamen Feinde Transitverkehr, Umweltverschmutzung und touristische Übererschließung. Doch in den dazwischen liegenden Jahrhunderten ging es im bayerisch-tirolischen Grenzland ziemlich rund.

Bronzegegenstände, die in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts in der Tischhofer Höhle bei Kufstein hergestellt beziehungsweise verwendet wurden, lassen enge Beziehungen zu der in Bayern beheimateten Straubinger Kultur erkennen. Erst in letzter Zeit setzte sich unter Historikern die Erkenntnis durch, daß sich das Volk der Bayern hautsächlich aus Splittergruppen verschiedener germanischer Stämme entwickelt habe.

Zankapfel über Jahrhunderte

Lange Zeit gehörte ein großer Teil des Tiroler Alpenbereiches dem Herzogtum Bayern an. In diese Zeit fällt die Stadterhebung mehrerer Tiroler Gemeinden - darunter Kufstein -durch bayerische Herzöge. Unter Kaiser Maximilian I. gelangte 1504/ 06 dieser Raum zu Tirol. In den darauffolgenden Jahrhunderten kam es wiederholt zu bayerischen Gebietsansprüchen, die zur Zeit Napoleons ihren letzten Höhepunkt hatten: Bayern wird aufgrund seines Bündnisses mit Napoleon die Grafschaft Tirol zugesprochen.

Die Ablehnung der ungeliebten Fremdherrschaft führte 1809 zum Aufstand der Tiroler. Als schließlich Österreich sich mit Bayern gegen Napoleon verbündete, war auch Tirols Rückkehr in das Haus Habsburg nur mehr eine Frage der Zeit: Im Juni 1814 ging die bayerische Herrschaft in Tirol zu Ende.

Dieses schwer zu vermittelnde, „trockene” historische Thema wurde von den Gestaltern der Tiroler Landesausstellung anregend und anschaulich aufbereitet: So etwa mit einer „Bildgeschichte” über das Leben einer Tiroler Widerstandskämpferin: Daß der bayerische Löwe sich endgültig zurückziehen mußte, verdankte Tirol nicht zuletzt so wackeren pfeifenrauchenden Patrioten wie der beherzten Therese von Sternbach. Die Tiroler Baronin stellte als tatkräftige Widerstandskämpferin ihren Mann: mit der Pfeife stolz im Mund ging sie erst in Münchner und dann in Straßburger Gefangenschaft, nachdem in ihrem Schloß ein Waffenlager entdeckt wurde.

Die Frau mit einem „courageuxen männlichen Charakter und einer starken Anhänglichkeit von den Tiroler Bauern für sich” ließ sich jedenfalls, nach überwundener politischer Haft, in einem Pastellzyklus über ihre Taten für ein un-bayerisches Tirol verewigen.

Die Ausstellung bietet aber auch einen spannenden Einblick in die regen Handelsbeziehungen und das kulturelle Leben entlang des Inn. So führte der Handelsweg südwärts über das schweizerische Chur oder über den Brenner. Er wurde in der Latene-Zeit ebenso begangen, wie im 19. Jahrhundert, als der Bau der Bahnlinie zwischen München, Salzburg und Innsbruck über den Knotenpunkt Rosenheim anstand.

Reger Kulturaustausch

Die Gestalter der Landesausstellung setzten aber nicht allein auf die enge politische oder merkantile Perspektive. Ein Schwergewicht der Ausstellung liegt auf kulturellem Gebiet: Der „Bayerische Rummel” (die Bezeichnung für die Grenzquerelen 1703, ein Ausläufer des Spanischen Erbfolgekriegs) hat den Kunstaustausch eher gefördert als behindert: München, Weilheim, Passau und Innsbruck dominierten als Kunstzentren. Tiroler Künstler schufen Werke in München, bayerische Künstler arbeiteten in Tirol: Der Elfenbeinschnitzer Simon Troger kam aus Osttirol an den kurfürstlichen Münchner Hof, von wo im Hochbarock der Maler Cosmas

Damian Asam angeworben wurde, um im Innsbrucker Landhaus zu fres-kieren. Der aus Kitzbühel stammende bayerische Hofbildhauer Andreas Faistenberger war als Lehrer-PersÖn-lichkeit wichtig für bayerische (Johann Baptist Straub) und Tiroler Bildschnitzer (Franz Xaver Nißl, Johannes Perger). Gerade dieser Bereich, untergebracht im Rund des Ktifstei-ner Maximiliansturmes, ist ein Schmuckstück der Tiroler Landesausstellung.

Wie die Künstler, kennen auch die Wallfahrer keine Grenzen: Tiroler pilgern (auch heute noch) nach Altöt-ting, Andechs und Ettal. Bayern kommen nach Mariastein, Georgenberg und Kaltenbrunn. Auch die Reliquien wanderten über die Grenzer So liehen sich Tiroler Pfarreien den Stab des Heiligen Magnus vom Kloster Füssen zur Segnung ihrer Felder gegen Schädlinge. In der Ablehnung der Protestanten waren sich Tiroler und Bayern ebenfalls einig.

Auch profane Grenzüberschreitungen werden im Rahmen der Tiroler Landesausstellung „Bayerisch-tirolische G'schichten” dokumentiert: Wilderer und Schmuggler leisteten ebenso ihren „Beitrag an Begegnungen” über die Grenzen hinweg, wie die Künstler oder die Händler.

Es war übrigens ein Tiroler Geistlicher und Gastwirt, Franz Senn (1831-1884), der 1869 den Deutschen Alpenverein mitbegründete und zu den Vätern des Tourismus in Tirol gezählt werden kann.

Der Hinweis, daß die Nachbarschaft für Tirol heutzutage auch viele Belastungen mit sich bringt, gehört in den letzten Teil der Schau: In einem Erlebnisraum unter dem Dachstuhl Wird die Entwicklung von der,.Naturidylle zum Belastungsraum” ausführlich dargestellt.

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