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Künstler ständig auf demPrüfstand

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Es wird allenthalben behauptet, Graz sei die geheime Hauptstadt der deutschsprachigen zeitgenössischen Literatur. Dies ist zweifelsohne ein Unsinn, denn es gibt wohl eine deutsche Literatur, und wenn man sich dazu bekennen will, auch eine österreichische Literatur. Doch Graz ist weder die Hauptstadt der deutschen, noch der österreichischen Literatur, sondern die Hauptstadt der Steiermark. Und das sollte genügen.

Dennoch muß registriert werden, daß in den letzten 20 Jahren von Graz aus zahlreiche literarische Impulse ausgegangen sind, daß sich in Graz selbst eine junge Literatur-Generation etabliert hat, deren Beitrag zur österreichischen Kunst beachtlich ist. Dabei erscheinen drei Quellen von Bedeutung: das Wirken von Franz Nabl, durch sein Werk und durch seine Persönlichkeit, die Aufbruchstimmung nach der Gründung des „Forum Stadtpark“ und ein starker Bezug zur Philosophie Wittgensteins, der zu einer ausgeprägt analytischen und deskriptiven Literatur führte, die in ihren Anfängen nicht nur zufällige Bezüge zur Computer-Kunst eines Prof. Max

Bense (Stuttgart) offenbarte.___

Doch sind diese drei Quellen nicht gesondert zu betrachten, sondern in ihrem Zusammenhang, der sich manifestiert in den Autoren, ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und in der Enge der Kleinstadt. Hier führt das gleichzeitige Auftreten von interessanten Begabungen gleichsam zu einer Explosion, deren Protuberanzen das Bundesland, ja die Republik überlodern.

Hier einige Namen aus der „Pionierzeit“ der „Grazer Literatur“: Alois Hergouth, begnadeter Lyriker, der, heute noch international unbekannt, seinen einsamen literarischen Weg geht, Peter Handke, dem auf Anhieb der Sprung in die internationale Bedeutung gelang, Wolfgang Bauer, der vitale Stückeschreiber der Pop-Jugend, dem zum Nachteil gereicht, daß er heute noch an diesem Lebensstil gemessen wird, und schließlich Alfred Kolleritsch, der Manager des „Forum Stadtpark“, dem kürzlich durch die Verleihung des Petrarca-Lyrikerpreises auch internationale Würdigung als Schriftsteller zuteil wurde. Besondere Anerkennung muß seiner mühevollen Tätigkeit als Herausgeber der „ma-nuskripte“ gezollt werden, einer Zeitschrift, die ausschließlich Erstabdrucke von Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz veröffentlicht.

Die hier skizzierte Grazer Literaturszene ist nun sowohl von konservativer als auch von progressiver Seite unter Beschuß geraten. Die Konservativen stellen den Qualitätsgrad dieser „Grazer Literatur“ in Frage, die Progressiven, oder besser jene, die sich so bezeichnen, stellen eine Stagnation fest. Diesen sei gesagt, daß Kunst sich nicht programmieren läßt. Das Theaterstuck „Change“ ist ein Wurf, der einem Dramatiker vielleicht nur einmal im Leben gelingt.

Auch hat sich die Situation geändert: Während zur Gründungszeit des „Forum Stadtpark“ eine junge Künstlergeneration, unter der sich auch Maler, Bildhauer, Architekten und Musiker befanden, auf die bislang verschlossene Möglichkeit einer Konfrontation mit der Öffentlichkeit wartete, sind in der Zwischenzeit das „Forum“ selbst, aber auch andere Kultur-Initiativen zu Institutionen geworden und sehen sich mit der Verpflichtung zur permanenten Präsenz einer Tätigkeit ausgesetzt, die mit einem künstlerischen Pioniergeist nur noch wenig gemein hat,Allzusehr, dies gilt auch für den „Steirischen Herbst“, muß die spontane Kreativität einer oft langweiligen

Verwaltungsarbeit weichen. Die schöpferischen Kräfte werden Monat für Monat auf den Prüfstand gerufen, eine Entwicklung, die den Künstler unter Zugzwang setzt.

In dieser Sicht sind, trotz gewaltiger Qualitätsunterschiede, die mannigfachen literarischen Bestrebungen, die es in Graz allerorten zu registrieren gibt, nicht geringzuschätzen.

Nicht geringzuschätzen ist auch der Einfluß der Grazer Autoren auf das Theater. Milieufremde Theaterfunktionäre haben jahrelang den Kontakt zu steirischen Autoren geradezu gemieden. Dies hat sich, nicht zuletzt durch die Tätigkeit des Schauspiel-Direktors Rainer Hauer, geändert. Werke von Gerhard Roth, Peter Daniel Wolfkind und Alfred Paul Schmidt standen auf dem Repertoire des Grazer Schauspiels. Wolf gang Bauer wurde als Gastregisseur verpflichtet, der Maler Peter Pongratz als Bühnenbildner. Es ist interessant, daß man solche selbstverständliche Vorgänge erwähnen muß, doch ist diese Erwähnung notwendig, weil man jahrelang glaubte, die heimische Produktion ignorieren zu können.

Sicherlich gibt es in dieser Produktion auch schwache Punkte, und es wäre schlecht, wenn ein heimischer Autor in dem Glauben gelassen würde, er hätte in Graz ein „Dauer-Abonnement“ auf die Welt-Uraufführung seiner Stücke.

Wichtig ist aber, daß die Kulturfunktionäre des Landes Steiermark und der Stadt Graz sowie die Mitglieder der Theaterleitung alle Mittel einsetzen, um der lokalen Kunstproduktion eine Konfrontation mit dem lokalen Publikum zu ermöglichen.

Dieser Zustand ist nun erreicht. Fast schon überwunden, denn nun müssen sich die Funktionäre des „Steirischen Herbstes“, die KulturpjnlitikerjLuad-die Kulturmanager die Frage stellen, wie man die reichhaltigen künstlerischen Produkte so anbietet, daß das Publikum nicht überfordert wird. Denn an die 260 Veranstaltungen des „Steirischen Herbstes“ und täglich bis zu acht Kulturveranstaltungen in Graz ■während der Saison ist sicher zuviel des Guten - auch des Besten.

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