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Digital In Arbeit

Künstler und Werkstatt

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Das Atelier eines Künstlers ist der Arbeitsraum eines Besessenen. Sein Wahn wurzelt in der Annahme, daß die Wirklichkeit lük-kenhaft und zu ergänzen sei, daß die Realität die in ihr liegende Wahrheit nur durch diese Ergänzung preisgeben könne. Die künstlerische Arbeit mag durch naive Hoffnungen angetrieben werden, die persönlich erfahrene Einsamkeit zu überwinden .oder die übrigen Mitglieder der Zunft durch eine Hochleistung zu übertreffen; sie mag der Eitelkeit entspringen, der Formverliebtheit oder dem Gefühl, eine ethische Mission zu erfüllen: Alle diese möglichen Motive verweben sich zu einer einzigen Besessenheit.

Sie besitzt, wie alles Lebende, feste Struktur. Im Atelier wird sie auch dem fremden Beobachter sichtbar.

Klarheit in diesem Punkt gewann ich auf der Insel Krk in Dal-matien.

Nach einem Todesfall, der mich vor die Frage gestellt hatte, ob Mangel an Liebe einen Menschen zugrunde richten könne, war ich nach Krk gefahren. Ein Freund nahm mich auf. Die Stunden hochsommerlicher Hitze am Strand, die Wanderungen durch den Karst und über struppige Felder, die Abende bei Wein brachten nicht die erhoffte Narkose. Im Gegenteil, die Frage weitete sich aus. Sie lautete nun: Sind wir in der Lage, die Folgen unseres Tuns und Lassens zu ermessen? Jedes Wort, jede Geste, auch das Schweigen wirken weiter. Sind unsere Empfindungen steuerbar? Ist eine Schwächung des Gefühls durch Heuchelei zu verheimlichen? Wo liegt die Grenze der persönlichen Verantwortung? An manchen Tagen weckte mich die eingebildete Gewißheit, ich hätte den Verlust nur im Traume erlitten, in wenigen Minuten würde die vertraute, die vermißte Gestalt wieder erscheinen. Die Wirklichkeit verlor an Dichte, die Hände fanden nicht, wonach sie gegriffen hatten, selbst das Bewegen der Beine beim Gehen bereitete Schwierigkeiten. Wie arbeitete die Mechanik der Muskulatur? Die Worte waren hohl, ihr Klang blieb ohne Sinn.

Der Freund war bemüht, den Tagen ein Ziel zu geben. Wir durchstreiften die Insel und besichtigten alte Kirchen und verfallene Fortifikationen. In den menschenleeren Straßen einer entlegenen Ortschaft hörten wir dann plötzlich das Geräusch. Zur Mittagsstunde glühte die Luft. Unweit im ersten Stock eines aus Steinquadern erbauten Hauses stand ein Fenster offen. Das Klappern der Schreibmaschine erinnerte an das Rattern eines Maschinengewehrs.

Wie viele Menschen an wie vielen Schreibmaschinen saßen in diesem Augenblick in wie vielen Städten und Dörfern der Welt, damit beschäftigt, eine schriftliche Mitteilung zu machen? Welchen Sinn hatte es, solche Flaschenpost der geistigen Meeresströmung anzuvertrauen?

Eine glückliche Fügung machte uns mit dem jungen Mann, der hinter dem offenen Fenster hauste, bekannt. Er war Deutscher; er schrieb an einem Roman. Der Arbeitsraum, in dem er saß, war karg. Die Mittagsstunde verhalf dem Schreibenden zu einem Gefühl, das er „gesteigerte Ruhe" nannte; in diesem „lauerte etwas", das ihn zwang, „Dinge zu sagen, die man sonst nicht sagen würde"; Stille, Hitze, Einsamkeit wirkten stimulierend. Im spartanischen Arbeitsraum war Ablenkung nicht zu finden.

Jede Besessenheit schafft sich das ihr gemäße Gehäuse. Sie büdet einen Raum, der das Chaos des Alltags zurückdrängt. Die Vision nährt sich in diesem Fall aus der Distanz, das Atelier muß sich als Ort der Einsamkeit bewähren.

Bekannt ist auch ein weiteres Modell. In diesem wird die Umwelt, die eigene Tätigkeit, die Person des Künstlers theatralisch in Szene gesetzt. Die Architektur soll Atmosphäre schaffen; Palmen, exotische Vögel, kostbar schimmernde Stoffe sollen die

Schwüle eines Gewächshauses beschwören; Kostümierung kann das Spiel der Illusionen ergänzen. Hans Makarts Atelier ist als Beispiel bekannt. Auch Richard Wagner brauchte offenbar die Kulisse Venedigs. Historische Dramen verfaßte Gerhart Hauptmann in dem passenden historischen Kostüm. John Ruskin und die Präraffaeliten änderten nur den Stil, nicht den psychischen Mechanismus; die Sehnsucht nach Inspiration durch Schönheit blieb lebendig. Rodin ließ seine Aktmodelle, Frauen und Männer, im Atelier nackt umherstreifen. Ihre Anwesenheit erzeugte Spannung, ihre Körper waren in einer seltsamen Art theatralisch. Für die Wirksamkeit solcher Mittel ist die Statue des nackten Balzac der Beweis.

Ein dritter Typus mobilisiert die Kräfte des Alltags, ruft sogar die Zerstreuung zur Hilfe. Jahrzehnte hindurch arbeiteten viele Schriftsteller gerne im Kaffeehaus. Das Altelier erinnert in diesem Fall an eine Werkstatt, ist Arbeitsstätte und Aufbewahrungsort der notwendigen Hilfsmittel.

Was diese betrifft: Ihre Anordnung entspricht den körperlichen Reflexen. Der Rhythmus des Atmens, die Beschaffenheit der Muskulatur, die Funktionen des Nervensystems gewinnen sichtbaren Ausdruck. Distanzen zwischen Hand und Arbeitsbehelf sind entscheidend, scheinbare Unordnung spiegelt persönliche Neigung. Auch das Durcheinander hat atmosphärisch wirksame Kraft. Beethovens schmuddelige Unterkünfte bieten das extreme Beispiel. Sie wurden oft als sichtbare Beweise für die Zerstreutheit des Genies gedeutet, waren aber vielleicht, wie Makarts Atelier, Orte der Selbststilisierung, Szenerien eines theätre noir. Do-stojewskijs düstere Unterkünfte, Verlaines Spelunken, Peter Altenbergs armselige Hotelzimmer weisen in dieselbe Richtung. Wie in jedem Klischee, steckt auch im Bild der sogenannten boheme ein Körnchen Wahrheit. Bildende Künstler sind freilich nicht in der

Lage, sich an diesem Marsch in die Enge zu beteiligen. Utrillo, der unter allmächtig matriarchalischer Obhut an Hand von Postkarten imaginäre Stadtlandschaften malte, ist die Ausnahme. Radikaler im Verzicht auf ein Atelier war offenbar Rene Magritte. „Er wollte nicht als Maler gelten", berichtet Wieland Schmied, „er besaß nie ein Atelier, trug keinen Malerkittel, liebte — wie Duchamp — nicht den Geruch des Terpentins. Er malte auf seiner handlichen Staffelei, wo es gerade paßte in seiner Wohnung — im Schlafzimmer, in der Küche, im Salon —, als täte er es zu seinem puren Vergnügen, als wäre er ein Bürger, der sich amüsiert." Und warum? „Er liebte die Anonymität, und er verlieh sie allen Dingen, die er malte, gab ihnen ein stereotypes Aussehen wie den Gesichtern seiner Figuren, soweit er sie überhaupt zeigte." Auch Autoren beklagen sich zuweilen darüber, in der Behausung, die sie sich zum Schreiben geschaffen haben, nicht arbeiten zu können. Einer von ihnen ist Thomas Bernhard.

Jemand, der Ateliers darstellt, bietet Psychogramme. Er läßt Verbindungen zwischen Werkstatt und Werk erahnen, manchmal auch erkennen. Er liefert zudem einen Beitrag zur Kulturgeschichte, macht die Rolle, die Künstler in der Gesellschaft zu spielen glauben, verständlich. Er hilft, Verallgemeinerungen und dadurch der zauberischen und törichten Legendenbildung entgegenzutreten. Die Summe der Atelierbilder ergibt die Dokumentation eines Zustands. In ihm sind Züge der Zeit festgehalten: Lebensumstände, finanzielle Mittel, Vorlieben, Arbeitsmöglichkeiten, Elemente der Selbsterkenntnis, Variationen des Wahnsinns. Die Unterschiede sind verblüffend. Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Oder leben wir auch auf dem engen Raum eines kleinen Landes in verschiedenen Zeiten und Welten? Interieurs, von Besessenheit geformt, zeigen die Beschaffenheit der Manien.

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