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Küß die Hand, Heiliger Vater!

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Papst total in Mitteleuropa: Johannes Paul II. besucht am 14715. August zum fünften Mal seine Heimat. Danach, vom 16. bis 20. August, visitiert er das Land des hl. Stefan, Ungarn, unter dem Motto „Christus, unser Leben". Vielen Polen sind die Papstbesuche schon zuviel, sie klagen wegen der hohen Kosten. In Ungarn herrscht während der touristischen Hochsaison eher Gleichgültigkeit gegenüber einem Ereignis, das vor nicht allzu langer Zeit noch eine Sensation gewesen wäre.

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Papst total in Mitteleuropa: Johannes Paul II. besucht am 14715. August zum fünften Mal seine Heimat. Danach, vom 16. bis 20. August, visitiert er das Land des hl. Stefan, Ungarn, unter dem Motto „Christus, unser Leben". Vielen Polen sind die Papstbesuche schon zuviel, sie klagen wegen der hohen Kosten. In Ungarn herrscht während der touristischen Hochsaison eher Gleichgültigkeit gegenüber einem Ereignis, das vor nicht allzu langer Zeit noch eine Sensation gewesen wäre.

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Die Paulaner von Tschenstochau haben in einem Artikel der Kattowitzer Kirchenzeitung „Gosc5 niedzielny" jene - wie sie es nennen -„Kampagne" kritisiert, die in Rundfunk, Femsehen und Zeitungen der hohen Kosten eines Papstbesuches wegen gegen „unseren Landsmann" Papst Johannes Paul II. losgetreten worden sei. Es sei unwürdig, halten die Paulaner den offenbar papstmüden Polen vor, so mit dem Gast aus Rom umzugehen. In den Medienberichten hatte es geheißen, daß sich ein wirtschaftlich so darniederliegendes Land wie Polen die Besuche des Papstes einfach nicht mehr leisten könne.

Während in Polen also Aufregung über diese Visite herrscht - die zweite im heurigen Jahr, die allerdings in erster Linie einem Jugendtreffen in Tschenstochau gilt, lassen sich die Magyaren durch den unmittelbar bevorstehenden ersten Papstbesuch kaum in ihrer sommerlichen Behaglichkeit erschüttern.

Das Interesse, so Beobachter, ist geringer, als ursprünglich angenommen. So ändern sich die Zeiten. Nach dem Aufziehen des Eisemen Vorhanges, an dem der Papst mit seinen Besuchen im kommunistischen Polen und vor drei Jahren im Burgenland nicht unwesentlich beteiligt war, haben solche Besuche ihren Charakter verändert. Mit dem moralisch starken Mann im Rücken konnte eine polnisehe Gewerkschaftsbewegung Kriegsrecht und Verfolgung ideell überleben; in der beginnenden demokratischen Gesellschaft Polens dominiert der Kampf ums materielle Überleben, wirtschaftliche Anarchie hat die scheinbar gesicherte Existenz im realen Sozialismus abgelöst. Der Papst muß zunehmend ethisches Verhalten im Wirtschafts- und Privatbereich einfordern, die Klagen gegen politischen Totalitarismus und gesellschaftliche Repression sind obsolet geworden.

Deswegen verlangt der aus Budapest stammende Sekretär der Sakramentenkongregation, Erzbischof Lajos Kada, in einem Aufruf an seine Landsleute in der neuesten Ausgabe der katholischen Wochenzeitung „Uj ember" (Der neue Mensch), sie sollten angesichts der wiedergewonnenen Freiheit jene Versuchung besiegen, „die dazu verleitet, die partiellen und individuellen Interessen über die Interessen der Nation zu stellen". Kada, er wird dem Papst während dessen Ungarn-Aufenthalt als persönlicher Dolmetsch zur Verfügung stehen, ist designierter Nuntius in Deutschland, Nachfolger des scheidenden Apostolischen Nuntius, Erzbischof Joseph Uhac.

Der Kurienbischof bezeichnet Ungarn als ein „geistig und moralisch schwer angeschlagenes Land", das inmitten des Wiederaufbaus Ermunterung notwendig habe. Den Papstbesuch bewertet er - obwohl das in der öffentlichen Diskussion in Ungarn bisher keine Rolle spielte - als Begegnung mit dem „Ungartum". Dieses Aussage könnte man „großungarisch" auslegen, sprich: Trianon-revisionistisch; Beobachter der ungarischen Medienszene versichern jedoch, daß dieser Aspekt in der Öffentlichkeit noch nicht durchgekommen ist. Einen politischen Beigeschmack wird es - das trägt der veränderten Situation in Ungarn Rechnung - kaum geben. Ungarns Regierungschef Jözsef Antall wird sich der ungarischen Mentalität entsprechend wohl im Lichte des Papstes präsentieren, braucht aber - anders als im Frühjahr 1990 Vaclav Havel in der

CSFR - keine himmlische Absegnung mehr.

Zu den in Routine erstarrten Papstvisiten wird jetzt offenbar das Kapitel Ungarn hinzugefügt. Nur Ort und Zeit ändern sich, nicht die Inhalte. Der Papst wird es sich nicht nehmen lassen, zur ungarischen Abtreibungsdiskussion Stellung zu beziehen, die Zersetzung der Familien zu beklagen und die Jugend vor den Segnungen des Materialismus zu warnen.

Kaum jemand erwartet eine Auseinandersetzung mit der schuldbeladenen Situation der hohen kirchlichen Amtsträger, mit den seinerzeitigen Friedenspriestem, den Informanten und Denunzianten beim aufgelösten staatlichen Kirchenamt. Die früheren Friedensbischöfe, drei an der Zahl, sind noch im Amt, fühlen sich - nach Aussage von Beobachtern -sehr selbstsicher. Sie verstehen den Papstbesuch als eine Art Bestätigung und Rechtfertigung der Kontinuität, die durch ihre Person gewährleistet sei.

Das dichte Programm des Papstbesuches in Ungarn, die Hetze des Oberhauptes der katholischen Kirche per Flugzeug, Hubschrauber, Auto und Schiff durchs ganze Land garantiert, daß es zu keinem Dialog mit der Ortskirche kommen wird. Das kann manchen Bischöfen nur recht sein, die als Informanten des kommunistischen Kirchenamtes auf dessen Liste geführt werden, wie eine Untersuchungskommission festgestellt hat. So wird -gemäß der ungarischen „Keszet csokolom-(Küß-die Hand)-Tradition - der Papstbesuch während der touristischen Hochsaison zu einem folkloristischen Ereignis verkommen, befürchten manche kirchliche Stellen.

Dem schon zitierten Erzbischof Kada schwant da bereits einiges; denn er schreibt in „Uj ember", daß seine Landsleute den Papst mit aufrichtiger Freude und Aufnahmebereitschaft ohne Vorurteile (diese bestehen in Ungarn besonders gegenüber den polnischen Schmugglern in Budapest) empfangen sollten. Denn der Papstbesuch dürfte nicht bloß eine „Flamme für die Minute" sein.

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