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Kultur braucht Distanz zum Staat

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Die Fragestellung nach Kulturpolitik und Föderalismus imutet in Österreich nicht „österreichisch“, sondern eher „eidgenössisch“ oder „deutsch“ an: in Österreich assoziiert nämlich die Öffentlichkeit kulturpolitische Maßnahmen und Erfordernisse, die kulturpolitische Lage im allgemeinen zur Zeit — nicht mehr? oder noch nicht? — wie in anderen Bundesstaaten mit dem Ver-■hältnis zwischen Bund und Ländern; man hat sich an die bestehende Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern, ausgedrückt in der staatsrechtlichen Kompetenzverteilung, durchaus gewöhnt, nimmt sie hin oder hält sie sogar für zweckmäßig.

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Die Fragestellung nach Kulturpolitik und Föderalismus imutet in Österreich nicht „österreichisch“, sondern eher „eidgenössisch“ oder „deutsch“ an: in Österreich assoziiert nämlich die Öffentlichkeit kulturpolitische Maßnahmen und Erfordernisse, die kulturpolitische Lage im allgemeinen zur Zeit — nicht mehr? oder noch nicht? — wie in anderen Bundesstaaten mit dem Ver-■hältnis zwischen Bund und Ländern; man hat sich an die bestehende Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern, ausgedrückt in der staatsrechtlichen Kompetenzverteilung, durchaus gewöhnt, nimmt sie hin oder hält sie sogar für zweckmäßig.

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Dieses Phänomen ist rechtlich und politisch interessant:

• Wie ist die (offenbar befriedigende) Arbeitsteilung beschaffen und (verfassungs)rechtlich grundgelegt?

• Kann eine Änderung der Gewaltenbalance zwischen Bund und Ländern erwartet werden?

„Die zentripetalen und zentrifugalen Kräfte, die der österreichischen (föderalen) Staatsordnung zu Grunde liegen, scheinen zur Zeit einen Ausgleich politischer und rechtlicher Art gefunden zu haben... Forderungen nach einer Erweiterung oder Verkleinerung der bundesstaatlichen Struktur werden, falls sie im politischen Geschehen auftauchen, ruhig und sachlich behandelt. Die alten Fronten, die durch den Gedanken territorialer (regionaler und nationaler) Gliederung bestimmt waren, sind heute kaum mehr .Kampflinien', sie sind .Verhandlungsplätze'“ (Meli-char).

Diese Charakteristik kann gewonnen werden

• aus der Betrachtung zweier (an sich gegenläufiger) Tendenzen des österreichischen Föderalismus: Kompetenzänderungen zu Lasten der Länder, die von diesen akzeptiert wurden (wenngleich nicht adle Verschiebungen Länderinteressen verletzten, sondern von einem neuen Erfordernis der Einheitlichkeit und des Sachzusammenhanges diktiert wurden); Erweiterungen der föderalen Ordnung wie das Verhandlungsrecht bei Schaffung des Finanzausgleiches oder die Übernahme von Angelegenheiten der Vollziehung (Straßenpolizei, Gemeinderecht), die alle — ähnlich wie die Vorschläge im „Förderungsprogramm der Bundesländer“ aus dem Jahre 1963 (1964) — von Erwägungen der Verwaltungsreform und Zweckmäßigkeit innerhalb des föderalen Aufbaues mehr bestimmt werden als von föderalistischen Grundpositionen und weiterer Föderalisierung;

• aus der Betrachtung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Struktur: Homogenität der politischen Parteien, der Substanz in nationaler, religiöser, zivilisatorischer, sozialer, politischer Hinsicht überhaupt (F. Ermacora), die Spannungen im föderalen Gefüge vermindert oder einebnet und tendentiell regionalen Ausgleich und Entwicklung einerseits und nationale Koordination und Kooperation anderseits in strukturelle und wirtschaftlich-finanzielle, also pragmatisch-politische Grundfragen umwandelt. Ausdruck dafür ist die Rolle des Bundesrates; und die Gestaltung der Finanzverfassung (und des Finanzausgleichs) sind dafür unverblümte Beweise;

• aus der Betrachtung einiger Besonderheiten des österreichischen Bundesstaates, die sich „bewährt“ haben: quantitativ und qualitativ starkes Übergewicht der dem Bund übertragenen Aufgaben, wozu gerade auch das Gebiet der Kulturpolitik zählt.

Die allgemeine Charakteristik trifft auf den kulturpolitischen Bereich zu. Wie noch zu zeigen sein wird, fügt sich die kulturpolitische Entwicklung auch den allgemeinen Entwicklungstendenzen des Föderalismus (aller Bundesstaaten) ein, Tendenzen freilich, die durch die spezifische Struktur Österreichs im österreichischen Föderalismus verstärkt zu registrieren sind.

Kulturpolitik ist kein (verfassungsrechtlich abgegrenzter Aufgaben- oder Kompetenzbereich, kein rechtlicher Oberbegriff, das Wort „Kultur“, allein oder in Zusammensetzung, fehlt unter den Begriffen der Bundesverfassung. Kulturpolitik ähnelt damit anderen Sachbereichs-komplexen, in denen vom Recht her nur additive und zeitgebundene Begriff sbildungen möglich sind: Erscheinungen, Betätigungen, Produkte, Ergebnisse, Auswirkungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kommunikation, Kultus, Umweltgestaltung und -erhaltung werden jeh und je als kulturelle bewertet, zusammengefaßt und reguliert. Denn kulturelle Manifestationen, wenn sie gesellschaftspolitisch relevant sind, werden hervorgehoben und Regelungen unterschiedlicher Art und unterschiedlichen Um-fanges unterworfen, vor allem, soweit organisatorische Maßnahmen erforderlich sind. Die österreichische Bundesverfassung selbst bewertet nicht oder weist dem Gesetzgeber keine bestimmte Kulturpolitik an — mit zwei grundsätzlichen Ausnahmen: Verbürgung und Schutz der Freiheit der kulturellen Betätigung von Personen, durch die Grundrechte; und eine (weitgehend historisch bedingte) Aufgabenteilung, durch die Verteilung von Bundesund Länderbefugnissen (die in den Einzelheiten hier nicht nachgezeichnet werden können).

Kulturelle Manifestationen werden von der Bundesverfassung und den auf ihr beruhenden Bundes- und Landesgesetzen direkt oder indirekt geregelt:

• Direkt in Art. 13 StGG und 10 EMK über die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift, Druck und bildlichen Darstellungen einschließlich des Rechtes zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen; in Art. 17 StGG über die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre, als Beispiele aus dem grundrechtlichen Bereich, oder, als Beispiele aus der Kompetenzverteilung, in Art. 10 B-VG (Bundeskompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung) über Patentwesen, Archiv-und Bibliotheksdienst, Angelegenheiten der künstlerischen und wissenschaftlichen Sammlungen und Einrichtungen, Angelegenheiten der Bundestheater, Denkmalschutz; oder in Art. 14 B-VG über die Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Schul- und Erziehungswesens in den Angelegenheiten der Schüler- und Studentenheime oder in Art. VIII des B-VG über das Schulwesen, BGBl. Nr. 215/1962, über die davon nicht erfaßten Gebiete des Bildungswesens.

• Indirekt in Art. 17 B-VG, aus dem — wie aus anderen Bestimmungen — erhellt, daß der Bund und die Länder als Träger von Privatrechten (Kultur-)politik betreiben dürfen, selbst auf Gebieten, die nach der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung in die Zuständigkeit der jeweils anderen Gebietskörperschaft fallen; oder in Art. 10 B-VG „äußere Angelegenheiten ... insbesondere Abschluß aller Staatsverträge“, oder in Art. 15 B-VG, wonach Angelegenheiten, die nicht ausdrücklich dem Bund übertragen sind, im selbständigen Wirkungsbereich der Länder verbleiben.

Kulturelle Manifestationen werden nicht für bestimmte gesellschaftliche Ziele und Aufgaben gefordert, wenngleich der freiheitliche Sozial-, Lei-stungs- und Verteilungsstaat manchmal auch bestimmte Kulturleistungen überwiegend oder allein finanziell fördert; denn eine inhaltliche Kulturpolitik staatlich zu bestimmen und einen einheitlichen Kulturbegriff vorauszusetzen, stünde ir einem unlösbaren, prinzipieller Widerspruch zu verfassungsgesetzlich garantierten Freiheiten der Einzelperson, zu Autonomieverbürgun-gen und zur anerkannten Distan; kultureller Tätigkeit zur staatlicher Gewalt.

Freiheit und Pluralismus in dei Kulturpolitik gelten auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern

• Bund und Länder operierer nebeneinander, unkoordiniert, fasi nach dem „Prinzip der Nichteinmischung“, jedoch mit der Wirkung, Freiheit und Vielfalt zu fördern.

• Unterstützung des Bundes an die Länder oder Unterstützung der Länder (Gemeinden) an den Bund stellen hochwillkommene kulturpolitische Maßnahmen im Interesse der betroffenen Gebietskörperschaften dar (Regionalpolitik, Bevölkerungspolitik, Fremdenverkehrspolitik als Stütze, Voraussetzung oder Ergänzung der Bildungs- und Kunstpolitik).

• Wenn gesamtstaatliche Verantwortung über Finanzierungen hinaus ein weiteres Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern erfordert, haben detaillierte Rechtsvorschriften Zuständigkeiten und finanzielle Einflußnahmen präzise festgelegt; durch die Einrichtung demokratisch bestellter, kollegialer Schulbehörden, die auf Grund ihrer Zusammensetzung in der politischen Effizienz dem föderalistischen Gestaltungsprinzip der „mittelbaren Bundesverwaltung“ vergleichbar sind, wurden Spannungen zwischen Bund und Ländern weitgehend ausgeschaltet oder beseitigt.

Diese drei typischen Formen im Verhältnis der Bundes- und Länderkulturpolitik zeigen ein föderalistisches Equilibrum, ein Fehlen grundsätzlicher Konflikte. Die gefundene Arbeitsteilung ist kulturpolitische Zusammenarbeit — und zwar nicht nur von einem gesamtstaatlichen Blickwinkel aus gesehen, sondern, weil Bund und Länder Kulturpolitik immer öfter koordinieren und gemeinsam betrieben, um ihre eigenen Maßnahmen zu optimieren. Die Arbeitsteilung weist einmal menr naen, daß der Bundesstaat als Form vertikaler Gewaltentrennung und Gewaltenbalance stets auf Formen von Koordination und Kooperation abstellt; sie illustriert die Tendenz des modernen Bundesstaates, in immer weiteren Bereichen „Kooperations-Föderalismus“ (U. Häfelin) zu sein.

Koordination, Kooperation

Die Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern auf kulturpolitischem Gebiet wird in einem zunehmenden Maße durch Formen der Koordination und Kooperation gekennzeichnet sein; also nicht sosehr Gewaltentrennung durch Neuverteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten, sondern Gewaltenbalance durch gemeinsame Maßnahmen, aufeinander abgestimmte Aktivitäten (vor allem in der Finanzierung) und gegenseitige Kontrolle.

Vorhandene unitarische Tendenzen jeder föderalen Struktur (K. Hesse) werden verstärkt erkennbar sein, gerade auch im kulturpolitischen Bereich. Es ist zu erwarten, daß die stark zentral istische Struktur des österreichischen Bundesstaates — die unitarischen Tendenzen vorgearbeitet hat — um so mehr überregionale, bundeseinheitliche, an Sachzusammenhängen orientierte, mit anderen politischen Sachbereichen verbundene Lösungen forcieren wird. Dabei wird aber die föderale Ordnung weder obsolet, noch bedarf es in der Regel einer grundsätzlichen Verschiebung in der Gewaltenbalance zwischen Bund und Ländern, sondern es wird eine weitere Stufe der vertikalen Koordination im Bundesstaat erreicht; denn Kooperationsformen, die für diese übergreifende, Sachbereiche fördernde oder regelnde Bundesund Ländertätigkeit geeignet sind, verbürgen größere Effektivität und stärkere Legitimität als andere föderalistische Formen. Ein Beispiel soll dies erläutern: Landesverteidigung besteht aus den Unterbereichen der geistigen, zivilen, wirtschaftlichen und militärischen Landesverteidigung, bildet nach österreichischem Recht aber einen Gesamtbereich, in dem Bundes- und Länderkompetenzen verteilt sind und/oder sich überschneiden; es liegt dennoch ein Sachbereich der Politik vor, der durch gemeinsames Vorgehen der Länder und des Bundes wirksamer gestaltet werden kann als durch isolierte Wahrnehmung der Kompetenzen; und wahrscheinlich überhaupt erst auf Grund kooperativer politischer Prozesse wirksam gestaltet werden kann. So mühsam und langwierig Kooperationen sein mögen, sie haben, falls sie gelingen, den Vorteil, effektive und allseits verbindliche Lösungen darzustellen. Die von vielen als „Notlage“ empfundene, auf „militärische Angelegenheiten“ eingeschränkte Bundeszuständigkeit in der Landesverteidigung kann bei aktiv geführtem „Kooperations-Föderalismus“ unschätzbare Vorteile zeitigen, weil sie die Chance in sich birgt, eine regional verwurzelte, demokratisch und föderalistisch verbindliche Landesverteidigung zu entwickeln.

Welche typischen (zum Teil für Österreich neuen) Kooperationsformen in der Kulturpolitik stünden zur Verfügung?

• Gemeinsame Planungen von Bund und Ländern als Vorstufe und Vorbereitung für die dann jeweils dem einen oder den anderen zustehenden Aufgabenerfüllung. Institutionalisierte Kontakte, regelmäßige Zusammenarbeit der jeweils zuständigen Bundes- und Landesstellen wird vorgesehen werden müssen.

• Gerade, wenn die Tendenz, dem Land einen erweiterten Vollzugsbereich zu geben (Form des Art. 11 Abs. 1 B-MG oder der mittelbaren Bundesverwaltung), richtig erkannt wird, bedarf es einer kontinuierlichen Koordination der Länder untereinander. Im Rahmen der Verbindungsstelle der österreichischen Bundesländer könnten (auf kulturpolitischem Gebiet) Konferenzen der zuständigen Landesorgane, ein Ausbau der Organisation durch Fachausschüsse und durch Erweiterung des Stabes eine Intensivierung bedeuten. Die Verbindungsstelle könnte wie bei der Erstellung des FAG, ein Forum der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund werden.

• Verträge zwischen Ländern (Art. 107 B-VG) und/oder dem Bund könnten neue Organe oder Organumgestaltungen für die Planung und Durchführung von kulturpolitischen Aktionen schaffen (Kunstförderung, Berufs- und Bildungsberatung). Wenn es sich um regelmäßig wiederkehrende oder langdauernde und daher rechtlich zu fixierende Projekte handelt, empfehlen sich ebenfalls Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern, oder zwischen Ländern (Schulregionen, Umweltschutzregionen, angewandte Forschung der Hochschulen für Länderzwecke, Theaterregionen, Erwachsenenbildung, regionale Investitionsprogramme).

• Das Rechtsinstitut des „beliehenen Unternehmens“ ließe sich im kulturpolitischen Bereich reaktivieren (Erwachsenenbildung, „ORF-Akademie“ für Medienunterricht).

• Bestehende horizontale Strukturen im Bund, die auf Ländergliederungen beruhen (Rektorenkonferenz, Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft), in den Ländern und zwischen den Ländern (Konferenzen der Landeshauptmänner, der Lndesfinanzreferenten, Verbindungsstelle der Bundesländer, Bezirks-hauptleutekonferenzen) müssen gestärkt, erweitert, ergänzt werden. Informelle, die Kompetenzlinien überschreitende Kontakte und Koordinationen (Hochschulplanung im Wiener Raum zwischen Wien, Niederösterreich, Rektorenkonferenz, Bundesstellen) können vorteilhaft sein.

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