7210613-1992_28_32.jpg
Digital In Arbeit

KULTUR DER INTELLIGENZ

19451960198020002020

Totgesagte haben oft ein langes Leben; diese Formel ist kein Tranquilizer für schwermütige Verleger, sondern spiegelt den Verlauf der jahrzehntelangen Diskussion um den Bestand der Printmedien wider. Diese Diskussion hat nicht nur eine wirtschaftliche Dimension, sondern vor allem auch gesellschaftspolitische und kulturelle Relevanz.

19451960198020002020

Totgesagte haben oft ein langes Leben; diese Formel ist kein Tranquilizer für schwermütige Verleger, sondern spiegelt den Verlauf der jahrzehntelangen Diskussion um den Bestand der Printmedien wider. Diese Diskussion hat nicht nur eine wirtschaftliche Dimension, sondern vor allem auch gesellschaftspolitische und kulturelle Relevanz.

Werbung
Werbung
Werbung

Zunächst war die Einführung elektronischer Medien - und hier insbesondere des Fernsehens - Anknüpfungspunkt für die Fragestellung, ob das geschriebene und gedruckte Wort, die aktiv aufgenommene Information und Unterhaltung neben dem bequem passiv zu nutzenden Femsehen noch eine Berechtigung habe.

Eine Fragestellung, die sich interessanterweise auch das nur akustische Medium Radio vom audiovisuellen Medium Fernsehen gefallen lassen mußte, obwohl die bequeme passive Nutzung auch dem Radio eigen ist. War sie also nicht das „diskriminierende Merkmal"? Reichte es aus, aus der unmittelbaren „Schußlinie" zu weichen und seinen (leicht angepaßten) Platz im Mediengefüge einzunehmen?

Die erste Antwort schien ,ja" zu heißen. Zeitungen und Zeitschriften prosperierten weiter, Auflagen und Leserzahlen stiegen, die Anzeigenumsätze boomten mit wenigen kurzen Unterbrechungen.

Ähnliches galt fürs Radio, das schneller, aktueller und näher am Hörer gerade in den Achtzigern eine beispiellose Renaissance erlebte, die bis heute ungebrochen ist. Daß die Texte in beiden Fällen kürzer und einfacher geworden sind, in den Zeitungen und Zeitschriften die Bilder häufiger, größer und bunter und im Radio die Musik den Text fast völlig verdrängte schien ein verantwortbarer Preis dafür zu sein, daß der „Kelch" noch einmal vorüberging.

Die Mediengattungen hatten scheinbar zu einer Arbeitsteilung gefunden, die allen ihre Lebensberechtigung beließ und konzentrierten sich auf den Wettbewerb untereinander, der ohnedies mitunter aufregend genug war.Mit der vorerst gelungenen Arbeitsteilung unter den Mediengattungen entwickelte sich auch innerhalb der Mediengattungen eine,erhebliche Diversifizierung.

Im Bereich der Zeitungen zwischen Qualitätspresse, Unterhaltungsblättern und Regionalzeitungen, stärker noch im Zeitschriftenbereich durch eine dramatische Spezialisierung nach immer enger werdenden Interessenfeldern.

Zur neuerlichen Anfechtung des Gesamtgefüges geriet die Öffnung der Monopole samt Einführung von Satellitenprogrammen ausgangs der Achtziger.

Neue Kommunikationsformen (Fax, Mobiltelefon, Laptop) beschleunigen nicht nur vehement die Abläufe, sondern werden zu Medien von einer Relevanz, die durchaus in Wettbewerb zum „Establishment" steht. Dieses regiert erneut mit einem Ruck nach „unten". letzt steht bereits der Satz in seiner Minimalstruktur zur Disposition. Die Trendsetter unter den Printmedien bieten Farbbilder mit Bildunterschriften an; nicht aus ganzen Sätzen gebildet, aus Satzteilen, an das Telegramm erinnernd.

Analog die Entwicklung beim Radio, nur heißt das Bild hier „Musik". Der Routinier wird sagen: „Wieder geschafft!" und zur Tagesordnung übergehen. Er irrt.

Nach der Anfechtung der Beitragslänge und -tiefe, nach der Anfechtung des Satzes kommt folgerichtig die Anfechtung des Wortes schlechthin, zumal des geschriebenen Wortes, des Wortes, das man sich erarbeiten, erlesen muß. Zeitknappheit, Angebotsvielfalt, Beschleunigung der Abläufe, mangelndes Wertbewußtsein und Bequemlichkeit greifen das Wort an und mit ihm einen zentralen Aspekt menschlicher Identität.

Die zunehmende Substituierbarkeit der Kulturtechnik „Lesen" rührt an der Substanz des Menschen, führt zu einer Klassengesellschaft der neuen Art. Der neue Analphabetismus, in den USA schon bald mehrheitsfähig, erinnert bedrückend an die „Brave new world". Und damit ist gesagt, daß nicht die Zukunft der Printmedien auf dem Spiel steht, sondern das gesellschaftliche und kulturelle Gefüge an sich. Der sorglose Umgang mit der Substanz ist nicht auf die Mitwelt des Menschen beschränkt, natürlich nicht! Sie betrifft die menschliche Identität selbst.

Eine andere Antwort wird wohl in einem weiteren Spezialisierungsschub, der Individualisierung der Printmedien bestehen. Das heißt, der einzelne Bezieher wird sich sein Angebot, seinen Interessen entsprechend, selbst zusammenstellen, wird nur den Wirtschaftsteil und die politischen Kommentare bestellen, ein anderer Sport und Reisen.

Waren bisher im wesentlichen geografische Kriterien für die Nutzung unterschiedlicher Printmedien bestimmend, so werden es in Zukunft vor allem auch sozio-demografische und hier insbesondere aus dem Beruf und Freizeitverhalten abgeleitete sein. Diese Entwicklung wird noch begünstigt durch das Bewußtsein um die Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit Ressourcen, das vehement für eine Selektion vor dem „auf Papier bringen" spricht.

So ist es mehr als fraglich, ob die heute allerorts unter erheblichem Aufwand installierten Offset-Rotationsmaschinen überhaupt noch „Nachfolger" bekommen werden oder, ob nicht vielmehr eine Integration aus Computer, Fax und Kopierer, online verbunden mit dem Medienhaus, damit hochaktuell, hochdiver-sifiziert und effizient, das klassische Printangebot ablösen wird.

Eine dritte, zeitlos gültige Antwort, werden, glaube ich, die Qualitätszeitungen mit höchsten Ansprüchen bleiben. Sie, die nicht allen Alles sein wollen, werden wohl fortgesetzt ihre Berechtigung haben, als unverzichtbarer Ausweis der Kultur der Intelligenz, als Ausweis auch der ebenso zeitlos erotischen „universitas".

Der Autor ist Verlagsdirektor der „Styria".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung