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Kulturelle Symbiose

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Die Städte Wien, Prag und Budapest bilden seit nahezu tausend Jahren ein Dreieck fruchtbarer geistiger Spannung. Nicht zufällig sind in diesen drei Städten immer wieder Dynastien hervorgetreten, die die Einheit des Raumes begriffen. Der Kampf zwischen den frühen Habsbur-gern, den Przemisliden und den Arpäden hatte nicht einen Traum zum Ziel; er war der Erkenntnis geistiger und ökonomischer Zusammenhänge entsprungen.

Prag, im Verhältnis zu den beiden anderen Städten im Westen und zugleich nahe dem Kern des Heiligen Römischen Reiches gelegen, hatte sich immer wieder als Mittelpunkt behauptet; Pest-Bu-da im Osten konnte unter den An-jou, dem Luxemburger Siegis-mund, unter Mathias Corvinus zum Zentrum werden; Wien aber, in der Mitte gelegen, wuchs nach und nach zur Metropole, in dem sich das Slawische, das Italienische, das Ungarische mit dem Deutschen vermischten.

Der Ausgang des spanischen Erbfolgekrieges, auch die Notwendigkeiten der Türkenkriege machten Wien zur Residenzstadt. Die Politik der Habsburger entsprach den historischen Möglichkeiten, zugleich aber auch dem Charakter Wiens. Hier ist, Ende des 18. Jahrhunderts, die neuere ungarische Literatur, etwas später die serbische Schriftsprache entstanden. Die Sogwirkung der Metropole war nach dem Ausgleich mit Ungarn, 1867, gewaltig; die Stadt wurde zum Schmelztiegel mannigfacher Kulturen, ihre geistige Größe ein Ergebnis der Vermischung.

Die Möglichkeiten, die sich aus der immerwährenden Neutralität Österreichs ergeben, entsprechen historisch vorgeprägten Erwartungen. „Wenn ich mit einem rumänischen Kollegen ruhig reden will, treffe ich ihn am liebsten in Wien“, sagte vor einiger Zeit der ungarische Lyriker und Polyhistor Dezsö Keresztury. Zudem bleibt Wien für viele Südslawen, Ungarn, Polen, Tschechen und Slowaken weiterhin das Tor zum Westen.

Von der offiziellen Kulturpolitik der Bundeshauptstadt wird diese europäische Dimension der Wiener Wesensart nicht mit dem wünschenswerten Nachdruck wahrgenommen. Im Rahmen der Festwochen wurde einmal ein verdienstvolles Symposion über Mitteleuropa veranstaltet; gerade in diesem Sommer waren auch einige Theater der Nachbarländer in Wien zu Gast; auch wurde das Rathaus für eine farbige Feier Wien-Budapest geöffnet.

Doch blieben all diese Veranstaltungen ohne jene innere Leiden- schaft, die Kultur erst erstrahlen läßt. Man4iat es Niederösterreich überlassen, ein erstes Donaufestival zu präsentieren; nicht in Wien, sondern in Graz entsteht jenes Trigon-Museum, das österreichische, südslawische und ungarische Kunst der Gegenwart vorstellen soll.

Der Grund solchen lustlosen Vorgehens liegt wohl im — verständlichen - Schielen auf Erfolg und zudem in der Fixierung auf kulturpolitische Ziele, die man für innovativ hält. Die Darbietungen der östlichen Nachbarländer finden gegenwärtig in der Tat kein gewaltiges Interesse, und was ihre innovative Wirkung betrifft: Ihre Kritik am Sozialismus ist nicht dazu geeignet, den Bestrebungen sozialistischer Kulturpolitik neue Impulse zu geben.

Doch leben wir freilich in einem verhältnismäßig freiem Land. Die Versäumnisse der offiziellen Kulturpolitik können den freien Fluß der kulturellen Strömungen nicht behindern. Und diese haben sich längst viele und breite Bahnen gebrochen.

Viele Autoren und bildende Künstler finden hier ihre deutschsprachigen Verleger und ihre Galerien. Es gibt sogar ein von Claudio Abbado geleitetes, von Hans Landesmann organisiertes Orchester, das junge Musiker der Donauländer vereint. Oft führt auch der Weg nach Deutschland über Wien. Hier ist, zum Beispiel, jene Anthologie ungarischer Erzähler (im österreichischen Bundesverlag) erschienen, die den ungarischen Autor Peter Esterhäzy im deutschen Sprachraum bekannt - oder: bekannter -machte. Nun können auch seine Bücher in deutscher Ubersetzung erscheinen. Daß dabei österreichische Autoren wie Milo Dor und Pavel Kohout eine wichtige Rolle spielen, versteht sich von selbst.

Die Mitteleuropa-Diskussion der letzten Jahre — die von einem einzigen Politiker, nämlich von Erhard Busek, immer wieder angefeuert worden ist — hat solchen gar nicht offiziellen, sondern privaten und halb-privaten, also wirklich fruchtbaren Begegnungen eine neue Intensität gegeben. Die schöpferischen Menschen im Donauraum haben verstanden, daß man in Wien über sie nachdenkt, daß sie willkommen sind.

Das schwächt Hemmungen, läßt auch die offiziellen Stellen der Nachbarländer oft großzügiger vorgehen. Auf zwischenstaatliche Verbindungen angelegte Or-, ganisationen wie der österreichische PEN-Club, die Internationale Lenau-Gesellschaft, auch das Donaufestival Niederösterreich — an dem auch Wien teilnehmen könnte - sind geeignet, für die Begegnungen mehr zu tun.

Es ist das Schicksal Wiens, eine Stadt der kulturellen Symbiosen zu sein. Die geplanten Verbindungen mit der EG geben dieser unserer oft und zu Recht geschmähten Metropole eine besondere Bedeutung: hier kristallisiert sich allmählich das größere geistige Europa einer nicht allzu fernen Zukunft heraus.

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