7066993-1992_08_10.jpg
Digital In Arbeit

KULTURELLE VIELFALT: EIN BEITRAG ZUR IDENTITÄT

Werbung
Werbung
Werbung

Benützt man in Los Angeles nicht die Autobahnen (freeways), sondern das normale Straßennetz, kommt man in verkehrsstarken Zeiten rascher voran. Vor allem aber erhält man den Eindruck, nicht nur durch eine Vielzahl von Ländern, sondern sogar von Kontinenten zu fahren. Afrikanische, lateinamerikanische (hispanic) und asiatische Viertel wechseln sich mit weißen ab. Auf einer längeren Fahrt mit dem Bus - wie ich sie vor einigen Wochen unternahm - wechselt die dominierende Hautfarbe der Fahrgäste ein paarmal. Gemäß Prognosen wird zwischen 2000 und 2010 in Kalifornien keine Rasse mehr in der Mehrheit sein, auch die Weißen werden einen Anteil von unter 50 Prozent haben. David Rieff animierte diese Tatsache zu seinem Buch: „Los Angeles: Capitol of the third world".

Nun soll zwar Wien nicht nur nicht Chicago werden, sondern auch nicht Los Angeles, einen Blick jenseits unserer Grenzen sollten wir jedoch werfen - auch wenn wir manchmal geradezu stolz sind auf unsere Engstirnigkeit. Kehren wir aber nach Europa zurück und blicken wir zu unserem „großen Bruder" in die Bundesrepublik Deutschland. Jede Großstadt hat dort einen größeren Ausländeranteil als Wien. Verantwortliche Politiker der neuen Hauptstadt bezeichnen inzwischen Berlin als östliche Stadt. Sicher führt dies auch aus der Fusion von Westberlin mit dem „unterentwickelten" Ostberlin, aber es hat auch etwas mit physischer und psychischer Struktur der Gesamtstadt zu tun.

Städte, Länder und Kontinente sind sich näher gekommen, das bedeutet aber auch ein Näherrücken der Völker. Solange aber derart große Unterschiede in den politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bestehen, wird es immer wieder Abstimmungen mit den Füßen geben. Multikulturelle Gemeinschaften sind das Ergebnis offener, zumindest überwindbarer Grenzen einerseits und nicht allgemein akzeptierter Ungleichheiten andererseits. Die Frage scheint daher weniger zu sein, ob es multikulturelle Gemeinschaften geben soll oder nicht, sondern wie wir mit großen Wanderungsströmungen und deren Konsequenz umgehen. Wieviel Integration beziehungsweise Assimilation ist sinnvoll beziehungsweise notwendig, um die spezifischen Konflikte in solchen Gesellschaften zu minimieren.

Die Assimilation legt die Last der Anpassung einseitig auf die Neuankömmlinge. Sie müßten sich an den Gewohnheiten und Bräuchen der Mehrheit orientieren, eigene Identitäten müssen sie möglichst rasch verleugnen und verlieren. Integration -in ihrer unterschiedlichen Intensität -verlangt sowohl Anpassung als auch Toleranz von beiden Seiten - der meist neuen Minderheit aber auch der Mehrheit. Die multikulturelle Gesellschaft ist dann eher das - zumindest unbewußte - Werk mehrerer Mehr-heits- beziehungsweise Minderheitsgruppen. Die Regeln und Bräuche, die Sprachen und die Speisen et cetera sind veränderbar und offen für neue Einflüsse. Wenn der Kärntner Koch Wolfgang Puck in Los Angeles nicht nur das Spitzenlokal Spago mit vor allem italienischem Einschlag eröffnet, sondern auch ein weiteres Lokal mit französisch-chinesischer Küche führt, so wird er zum Sinnbild einer gelungenen Mültikulturalität. Eine solche ist vor allem auch die österreichische Küche mit ihren vor allem norditalienischen, böhmischen und ungarischen Einflüssen. Sicher ist diese Mültikulturalität leichter herzustellen als am Arbeitsplatz, im gemeinsamen Wohnhaus und in der Straßenbahn. Der Kampf um den Arbeitsplatz, die preisgünstige Wohnung und den Sitzplatz läßt oftmals Vorurteile und Aggressionen hochkommen.

Der gnindsätzliche oder auch täglich sich wiederholende Wettbewerb zur Sicherung und Wahrung eines erst möglichen und angenehmen Lebens ist immer auch mit Ängsten und Emotionen verbunden. Je unsicherer die Menschen sind beziehungsweise je mehr sie auf günstige Ausgangspositionen angewiesen sind, desto größer die Ängste, übervorteilt zu werden. Je geringer zum Beispiel das Einkommen, desto mehr ist man auf einen guten Arbeitsplatz und eine billige Wohnung angewiesen. Es ist also durchaus verständlich, wenn auch nicht moralisch gerechtfertigt, wenn gerade in diesen Schichten - aufbauend auf lange geschürte Vorurteile gegenüber Fremden und den „anderen" - M inderheiten als Sündenböcke herhalten müssen.

In diesem Sinne geht es also bei der „Minderheitenpolitik" nicht nur um eine humanitäre Hilfe für die diskriminierten Bevölkerungsschichten der Zuwanderer, sondern genauso um Maßnahmen für die wenig begüterten Gruppen der Mehrheiten. Sind sie vielleicht doch an ihrem Arbeitsplatz, in ihrem Wohnhaus und/oder im nahegelegenen Park selbst in einer Minderheitsposition. Jedenfalls fühlen sie sich öfters in einer solchen. Und dies ist Anlaß genug, um helfend einzugreifen - im Interesse beider Seiten.

Dabei ist die Verschmelzung aller Rassen und Kulturen gar nicht das Ziel. In einer Gesellschaft die auch „andere" Religionen, Kulturen und Gebräuche zuläßt, wird die Integration sogar eher erfolgen - wenn auch schrittweise - als in einer intoleranten Gesellschaft, die indirekte Minderheiten zur Abschaltung und Ghettobildung zwingt. Aber nicht nur Los Angeles würde uninteressanter und unattraktiver werden, würde eine homogene Menschenrasse entstehen, auch Wien lebt von der Vielfalt seiner Gebäude, Kulturen und vor allem seiner Menschen. Sie alle sollten dabei zur unvergleichlichen Identität dieser Stadt und dieses Landes beitragen. Auch was wir heute sind und worauf wir mit Recht stolz sein können, sind wir durch den Einfluß vieler Kulturen. Es besteht wenig Anlaß zu glauben, die Mültikulturalität gehöre der Vergangenheit an. Im Gegenteil.

Der Autor ist Stadtrat für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Verkehr in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung