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Kulturkampf 1973?

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Als gäbe es in der Bundesrepublik keine dringenderen Probleme, eröffnete der kleine Bonner Koalitionspartner, die FDP, mit einem „Kirchenpapier“ neuerdings einen Kampf gegen die Kirchen. In 14 Thesen wurden von einer Kommission dieser Partei unter dem Titel „Freie Kirchen im freien Staat“ Forderungen nach einer radikalen Trennung von Kirche und Staat erhoben, per Katalog reicht von der Aufhebung des Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts über die Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer bis zur Aufhebung von Konkordaten und anderen Verträgen zwischen Kirche und Staat. Die Abschaffung der staatlichen Militär- und Anstaltsseelsorge, kirchlicher Symbole im öffentlichen Leben, des Religionsunterrichts als ordentlichen Lehrfachs sowie eine Einschränkung kirchlicher karitativer Tätigkeit sind noch weitere Vorschläge, wie sie von der FDP vorgelegt wurden.

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Als gäbe es in der Bundesrepublik keine dringenderen Probleme, eröffnete der kleine Bonner Koalitionspartner, die FDP, mit einem „Kirchenpapier“ neuerdings einen Kampf gegen die Kirchen. In 14 Thesen wurden von einer Kommission dieser Partei unter dem Titel „Freie Kirchen im freien Staat“ Forderungen nach einer radikalen Trennung von Kirche und Staat erhoben, per Katalog reicht von der Aufhebung des Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts über die Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer bis zur Aufhebung von Konkordaten und anderen Verträgen zwischen Kirche und Staat. Die Abschaffung der staatlichen Militär- und Anstaltsseelsorge, kirchlicher Symbole im öffentlichen Leben, des Religionsunterrichts als ordentlichen Lehrfachs sowie eine Einschränkung kirchlicher karitativer Tätigkeit sind noch weitere Vorschläge, wie sie von der FDP vorgelegt wurden.

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Das Echo auf solche Thesen war nicht nur deshalb sehr rege, weil sich hier eine Regierungspartei etwas überraschend zu diesem in letzter Zeit nicht eben dringenden Thema äußerte, sondern auch, weil massive Eingriffe in das in der Nachkriegszeit praktizierte Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der Bundesrepublik verlangt werden. Gerade die bundesdeutsche Regelung wurde nämlich bislang als sehr praktikabel und beide Seiten zufriedenstellend bewertet. Ein Zeichen für die breite Anerkennung des jetzigen Verhältnisses zwischen Kirche und Staat ist dessen Bejahung auch durch die SPD. Bundeskanzler Brandt hat es in seiner letzten Regierungserklärung nicht verabsäumt, das gute Verhältnis zu den Kirchen und ihre besondere Bedeutung im gesellschaftlichen Leben hervorzuheben.

Die Eröffnung einer neuen politischen Front durch die FDP ist freilich nicht nur ein spontaner Ausbruch alter antiklerikaler Ressentiments, wie sie der deutsche Liberalismus gerne hegte. Denn nicht die alten Liberalen waren es, die den Konflikt mit den Kirchen vom Zaun gebrochen haben, sondern die Jungdemokraten. Die liberale Nachwuchsorganisation, der FDP organisatorisch nicht angegliedert, ihr aber doch eng verbunden, hatte bereits zu Anfang des Jahres ein

„Kirchenpapier“ verabschiedet, das klare antiklerikale Züge trug und Religion zur „Privatsache“ erklärte. Das jetzt vorgelegte FDP-Papier nahm viele Ideen der Jungdemokraten auf und erfüllte damit einen wesentlichen Zweck, nämlich die liberale Jugendorganisation zu beruhigen.

Denn die „Judos“ präsentierten sich in jüngster Zeit dadurch, daß sie Ansichten vertraten, die nur als „links von den Jusos“ bezeichnet werden können. Es mag daher bei der FDP der Gedanke eine Rolle gespielt haben, wenigstens auf einem weniger brisanten Gebiet, nämlich dem Verhältnis von Staat und Kirche. Gedanken der „Judos“ aufzunehmen und diese damit ein wenig zu befriedigen, um von anderen Forderungen der Jung-Liberalen ungeschoren zu bleiben.

Diese Entwicklung zeigt, daß die Ideologisierung auch die FDP in einem beachtlichen Maße erfaßt hat. Wenn auch manche Thesen des FDP-Kirchenpapiers diskussionswürdig sind, so steht doch fest, daß sie in erster Linie ein bestimmtes Prinzip, die Trennung von Staat und Kirche, konsequent durchführen wollen und nicht mehr um praktische Konsequenzen fragen. Für einen Pragmatismus, wie er in gewissem Maße die jetzige Stellung von Staat und Kirche bestimmt, ist in dem FDP-Papier kein Platz.

Mag die FDP mit ihrem Kirchenpapier ihre Jugend zufriedengestellt haben, so hat sie sich doch sonst mit diesen Thesen eine Menge Ärger eingehandelt. Bereits das publizistische Echo mag für die Verfasser des Papiers enttäuschend gewesen sein. Ablehnung oder nur sehr zurückhaltende Zustimmung bestimmten das Bild. Vor allem die Zustimmung zur Abschaffung der staatlichen Einhebung der Kirchensteuer blieb weitgehend aus. Dieses bundesdeutsche System (die Finanzämter kassieren für die Kirchen die Beiträge), beschert den bundesdeutschen Kirchen erhebliche finanzielle Mittel. Abgesehen davon, daß der Staat für diese Steuereinhebung mit vier Prozent des Steueraufkommens reichlich entlohnt wird, können aus diesen Kirohensteuermitteln auch soziale Einrichtungen finanziert werden, die sonst Sache des Staates wären. So wurde 1970 auf dem Steuerparteitag der SPD nicht ohne Grund ein Antrag, die staatliche Einhebung der Kirchensteuer abzuschaffen, abgelehnt, weil den Delegierten klar war, daß der Staat dann selbst Einrichtungen — vor allem sozialer Natur — finanzieren müßte, ohne finanziell dazu in der Lage zu sein.

Auch jetzt wollte sich die SPD nicht der FDP-Forderung anschließen. Die Jusos, die andere Sorgen als das Verhältnis zwischen Kirche und Staat haben, wurden dafür von den Judos prompt beschimpft. Herbert Wehner wandte sich gegen das Papier und auch andere SPD-Spitzenpolitiker verabsäumten es nicht, zu unterstreichen, daß es sich hier um einen Alleingang der FDP handle. Daß CDU und CSU schon allein auf Grund des „hohen C“ in ihrem Namen kein gutes Haar an dem FDP-Elaborat lassen konnten, war zu erwarten. Der Bundeskongreß des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU brachte eine klare Absage.

Wegen dieses Echos ist auch bei der FDP etwas Unsicherheit eingekehrt, ob es günstig war, das Papier vorzulegen. Mit dem Hinweis, es müsse jetzt erst von den verschiedenen Parteigremien beraten werden, öffnete man sich den Ausweg für ein „Begräbnis erster Klasse“, wie ein Kommentator bissig bemerkte.

Die Kirchen selbst reagierten entschieden. Das Kommissariat der deutschen Bischöfe sprach von der „Gefahr eines ernsten Konfliktes“. Andere katholische Stimmen sprachen von einem „Rückfall in den Kulturkampf“. Die evangelische Seite machte aus ihrer Ablehnung ebenfalls kein Hehl, zeigte sich aber etwas gesprächsbereiter. Vorerst dürfen die Kirchen für sich verbuchen, daß sie aus der ersten Runde des Streits eher gestärkt als geschwächt hervorgegangen sind. Und es ist kaum anzunehmen, daß die FDP auf diesem politischen Schauplatz ein großes Reservoir von sogenannten antiklerikalen Stimmen für die nächste Wahl mobilisieren kann.

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