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KULTURMONAT MIT 47 TAGEN

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Der Mann, der die Idee hatte, Graz möge sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas" bewerben, kann die erste Frucht dieser Initiative nicht mehr erleben - der Innsbrucker Finanzwissenschaftler Universitätsprofessor Clemens August Andreae.

Man schrieb 1988, als der gebürtige Grazer Andreae meinte, seine Heimatstadt habe mit so vielen Attraktionen aufzuwarten, daß die Kulturkommission der EG in Brüssel nicht von vornherein „Nein" sagen würde.

Der dynamische Wissenschaftler hatte recht. Für die steirische Landeshauptstadt zeigte man großes Interesse. Immerhin, Graz ist Hochschulstadt, Kongreßstadt. Theaterstadt, Messestadt, heimliche Literaturhauptstadt. Dazu kommen zahlreiche Bemühungen für den Alpen-Adria- und Pannonia-Raum, Pläne für eine große Mitteleuropa-Ausstellung, eine vorbildlich restaurierte Altstadt, die deshalb auch als Sitz des Internationalen Städteforums gewählt wurde. Der ..steirische herbst" als Festival der Avantgarde hat Graz weit über Europas Grenzen hinaus bekannt gemacht, „styriarte graz" mit Nikolaus Har-noncourt belebt seit Jahren den Sommer, die Jazz-Szene an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst genießt Weltruf. Die Grazer Schule der Architektur rangiert in den besten Fachzeitschriften auf den vorderen Plätzen.

Europas Kulturhauptstadt

Ein kleiner(vorläufiger) Wermutstropfen: Ehe Städte aus Nicht-Mit-gliedsiändern der EG zum Zug kommen, müssen Städte aus dem Kreis der Zwölfer-Gemeinschaft diesen Rang erhalten. Ab 1996 ist sodann nach den Beschlüssen der EG-KuI-turminister-Konferenz der Weg für andere Bewerber frei.

Kluge Persönlichkeiten in diesem Gremium haben jedoch -nicht nur im Hinblick auf die Ostöffnung - im Frühjahr 1990 beschlossen, zum Titel „Kulturhauptstadt Europas" jährlich eine weitere Stadt mit der Durchführung eines „Europäischen Kulturmonats" zu betrauen.

„Mit dieser Geste soll zum Ausdruck gebracht werden, daß alle Länder unseres Kontinents im europäischen Haus willkommen sind" (Zitat aus einer EG-Beratung). Im Sommer 1990 bewirbt sich Graz über Anregung von Botschafter Wolfgang Wolte von der Österreichischen Mission in Brüssel darum, den Kulturmonat 1993 in Korrespondenz mit der Kulturhauptstadt 1993 Antwerpen abhalten zu können. Im Herbst 1990 legt die Kulturminister-Konferenz der EG folgende Zuordnungen fest:

1992 Kulturhauptstadt Madrid -Kulturmonat Krakau,

1993 Kulturhauptstadt Antwerpen - Kulturmonat Graz,

1994 Kulturhauptstadt Lissabon -Kulturmonat Budapest.

Unter diesem guten Stern reiste der Grazer Kultur-Stadtrat Helmut Strobl Anfang Februar 1991 nach Lissabon, um bei einer Konferenz dieser sechs Städte die Vernetzung und die Programm-Schwerpunkte zu beraten. Am 15. und 16. April haben Bürgermeister Alfred Stingl, Kultursenatsrat Johann Kasper und Stadtmuseumsdirektor Gerhard Dienes mit dem Oberbürgermeister von Antwerpen. Bob Cools, bereits erfolgreiche Koordinierungsgespräche geführt. Es war ein spannender Besuch, besitzt doch die 500.000-Einwohner-Stadt Antwerpen - nach Rotterdam- den zweitgrößten Hafen Europas. Es ist ein Kultur-, Hochschul- und Handelszentrum mit wertvollen Museen und reicher Baukultur.

Inzwischen steht fest, daß Graz den Kulturmonat vom 20. März bis zum 5. Mai 1993 unter dem umfassenden Motto „Europa in Graz" abrollt. Fixpunkte sind unter anderem eine Stadtausstellung über die Geschichte der heimischen Literatur, ein Autoren-Übersetzer-Symposium, ein Literatentreffen mit Szeged, Ljubljana und Zagreb, ein Meeting der europäischen Jazz-Schulen, die Präsentation „Kunst und neue Medien", der 4. Internationale Altstadt-Kongreß mit der Thematik „Baukultur im Dialog von alt und neu" und ein Treffen von Volkstanzgruppen aus 30 Ländern und Regionen zum Europatag am 5. Mai 1993.

Ein Grundanliegen dieser Partnerschaft: Die Bewohner beider Städte sollen einander kennenlernen, für alle Länder unseres Kontinents sollen Antwerpen und Graz ins Blickfeld rücken. Im Kulturaustausch scheint das „Saeculum der Niederländer" (franko-flä-mische Musiker in Europas Hauptstädten) auf. Gedacht ist an Gastspiele des königlich-flämischen Orchesters und der Vereinigten Bühnen von Antwerpen, ebenso an eine kulturhistorische Ausstellung.

Die Grazer Kulturverantwortlichen mit Helmut Strobl entwickeln derzeit Pläne für die steirische Präsentation in den Niederlanden. Strobl strebt - auch dafür - ein „Städte-Netz" an. eine mögliche Chance wäre die Einbindung aller44 Europapreisträger-Städte; das Generalsekretariat dieser Arbeitsgemeinschaft ist ohnehin beim Internationalen Städteforum Graz beheimatet.

Ein wichtiger Aspekt: dank der EG-Verantwortlichen in der Kulturkommission kommen auch kleinere Städte in dieses „Euro-Karussell". Das kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, leben wir doch in einer Phase der (fast) absoluten „Metropolen-Kultur", in der die Leistungen der Provinz vom Glanz mehrerer Großstädte wie Wien und Paris, und seit neuem auch Prag und Budapest, in den Schatten gedrängt sind.

Erstaunlich, daß die oft als Zentralisten kritisierten Spitzen von Brüssel regional und dezentral handeln. So kommt es für Graz zu einem Kulturmonatmit 47 Tagen.

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