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Kulturnation oder tiefste Provinz?

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Der Staat ist verpflichtet, das kulturelle Erbe zu erhalten, aber: Er braucht die Hilfe privater Mäzene und neue Formen der Organisation. Wir müssen umdenken und handeln.

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Der Staat ist verpflichtet, das kulturelle Erbe zu erhalten, aber: Er braucht die Hilfe privater Mäzene und neue Formen der Organisation. Wir müssen umdenken und handeln.

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Was früher den Medien kleine Notizen wert war, ist heute zum großen Thema geworden: Fotos von verstaubten Bildern, Risse in Museumsbauten und dazu saftige Kontroversen unter den Direktoren gehören inzwischen zur Mindestausstattung aller Medien.

Eigentlich muß der Kulturpolitiker darüber froh sein, daß endlich Stiefkinder der Nation im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen. Die Freude will allerdings nicht so recht aufkommen, denn es ist nach wie vor eine vordergründige Auseinandersetzung und nicht ein Versuch, eine geistige Ordnung in Zuständigkeiten, Notwendigkeiten und Prioritäten zu bringen.

Als Erklärung dafür kann man wohl vorbringen, daß die Museen jahrelang im Schatten anderer kulturpolitischer Themen standen. Die Bundestheater und der ORF als Dauerbrenner, große Ausstellungen wie „Wien um 1900” als Placebo und die Etablierung einer Stiftung für moderne Kunst anstelle eines ordentlichen Museums für moderne Kunst verstellten die Sicht auf die wachsende Problemlage. Erst seit kurzer Zeit konzentrieren sich alle auf das Thema und damit auf den erst seit wenigen Monaten zuständigen Minister, der bisher die Noblesse besessen hat, nicht darauf hinzuweisen, daß er das Erbe der mangelnden Durchsetzungskraft seiner Vorgänger oder gar eines nicht vorhandenen Problembewußtseins übernommen hat.

Man darf wohl einmal deutlich festhalten, daß man lange zurückgehen muß, um konzeptive Museumspolitik zu finden. Heinrich Drimmel ist es zu verdanken, daß wir im Schwanzer-Pavillon zur rechten Zeit einen guten Platz für die moderne Kunst erhalten haben. Mir will es immer noch scheinen, daß wir mit der Erweiterung des „20er-Hauses” und einer subtilen Ankaufspolitik, wie sie Werner Hoffmann begonnen hat, mehr erreicht hätten, als mit dem kostenaufwendigen Palais Liechtenstein und den teilweise fraglichen Objekten diverser Sammlungen und Stiftungen, die uns die siebziger Jahre beschieden haben. Vielleicht hätte man mit dem bisher dafür aufgewandten Geld manches an Miseren vermeiden können, die heute unbestrittenermaßen bestehen.

Österreich II hat im Geiste des Wiederaufbaues zweifellos nationale Anstrengungen unternommen, um das Erbe einer Kulturnation wiederherzustellen und zu erhalten. Neben den spektakulären Wiedereröffnungen von Burg und Oper konnte der gefährdete Baubestand der Museen in den fünfziger und sechziger Jahren gesichert und in der Gestalt des Belvedere sogar eine österreichische Galerie eröffnet werden. Die Uberzeugung von Felix Hurdes, einen Beitrag zur Sichtbarmachung der Kulturnation in Form eines Museums leisten zu sollen, hat uns damals diese Gründung beschert. Die gleiche Uberzeugung, daß sich Osterreich im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert damit beweisen muß, daß es überhaupt die Erhaltung seines gewaltigen kulturellen Erbes schafft, scheint offensichtlich zu mangeln.

Vordergründig mag man dafür verständlicher- und logischerweise Minister und Politiker aller Spezies verantwortlich machen.wie dies auch heute reichlich geschieht.

Der kommende Rektor der Hochschule für angewandte Kunst hat in einem Festvortrag vor der Gesellschaft der Freunde der Bildenden Künste von dem „Gefühl von ohnmächtiger Verzweiflung” gesprochen, wenn Politiker über die Müliarden zur Sanierung der verstaatlichten Industrie streiten und für das Bewahren des künstlerischen Erbes unseres Staates kein Geld vorhanden ist. So dankenswert diese Feststellung ist, muß wohl zurückgefragt werden, wo denn die so häufig zitierte „Kulturszene” unseres Landes in den siebziger* Jahren gewesen ist? Damals hat es nämlich einige gegeben, z. B. Politiker wie Jörg Mauthe und andere, sowie wenige Kulturpublizisten, die auf den Staatsskandal des Zustandes der Bundesmuseen hingewiesen haben. Einige Museumsleitungen, die heute lautstark Klage führen, haben sich damals über diese Kritiker beschwert, einige Angehörige der Kulturszene waren offensichtlich vom Flair der Ära Kreisky so ergriffen, daß sie die Versäumnisse dieser Zeit nicht bemerkten.

Es kann aber jetzt nicht darum gehen, Schuldzuweisungen vorzunehmen; die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte sollten vielmehr ein Anstoß dafür sein, alles daranzusetzen, um in einer nationalen Aktion das großartige kulturelle Erbe unseres Landes zu erhalten, es entsprechend zu präsentieren und, vor allem, es zu vermehren, denn: Österreich soll viele Museen haben, nicht aber ein Museum werden.

Die kulturpolitische Diskussion der letzten Zeit hat auch intensiver die Frage nach dem Mäzenatentum gestellt. Der Mäzen von heute ist allerdings nicht mehr der Herrscher mit Privatschatulle, auch nicht mehr der reichgewordene Bürger des 19. Jahrhunderts, sondern entweder das Wirtschaftsunternehmen, das sein Ansehen in der Öffentlichkeit durch kulturelles Engagement erweitern will, oder der kunstsinnige Bürger, der bereit ist, mehr Geld für Kultur auszugeben oder sich mit anderen in einschlägigen Organisationen zusammenzutun.

Einige Unsicherheit begleitet noch diesen Weg, versucht doch der Staat da und dort, seine Grundverpflichtungen an die Spendenwüligkeit der Interessierten abzutreten, andere wieder befürchten, daß sich der Staat von heute überhaupt aus der Verantwortung begeben will und nationales Erbe damit zum privaten wird. Auch hier muß eine Klärung der Verantwortlichkeiten stattfinden.

Halten wir einmal fest: Es gibt eine Grundverpflichtung des Staates, die Museen und deren Inhalt zeitgemäß zu erhalten und für deren Weiterführung und Qualität Sorge zu tragen. Aus dieser kann ihn niemand entlassen, und sie ist genauso selbstverständlich wie die Aufrechterhaltung einer inneren und äußeren Ordnung.

Niemand wird bestreiten, daß etwa die Außenpolitik unseres Landes zu ihrer Durchführung bestimmter Organe bedarf. Keiner hegt daran Zweifel, daß Recht und Gerechtigkeit Aufgaben für Justiz und Polizei verlangen. Selbstverständlich leiten wir aus der Zuständigkeit des Staates für die Schule auch dessen Verpflichtung zur Finanzierung ab. Im Kulturbereich aber sind wir mit der Selbstverständlichkeit der Verpflichtung schon vorsichtiger.

Dort, wo Gesetze und vorhandenes Personal Budgetausgaben verlangen — wie bei Bundestheatern, bei Orchestern und Festspielen—wird zwar kritisiert, aber gezahlt. Dort, wo es um freie Entscheidungen der Politik und um Ermessenskredite geht, wird darauf vergessen, daß unter anderem die Museen das Gedächtnis einer Kulturnation sind. Offensichtlich tun wir uns auch hier schwer, mit unserem Gedächtnis umzugehen. Man kann aber in aller Deutlichkeit festhalten, daß wir den Staatsnamen Österreich nicht verdienen, wenn wir nicht dementsprechend in Ordnung halten, was Österreich in der Vergangenheit erworben hat. Hier wird der politische Umgang mit den Museen zur Gewissensfrage für eine Kulturnation. Wir sind es nicht wert, dieses gewaltige und imponierende Erbe zu haben, wenn es uns nicht auch etwas wert ist.

Natürlich kann man noch die Informationsfunktion, die österreichische Identität, oder, wie in der letzten Zeit besonders beliebt, das Image anfügen. Noch peinlicher wird es, wenn wir zur Begründung dieser Ausgaben den Tourismus heranziehen und dann noch irgendwelche Umwegrentabilitätsrechnungen vorführen. Wenn nur mehr dieser Grund gut, dann ist die bei wirtschaftspolitischen Mahnreden so beliebte Argumentation, daß wir demnächst nur mehr ein Land der Hotelportiere und Schifahrer sein werden, wirklich angebracht.

So glücklich und froh man über die als erste Maßnahme zur Verfügung gestellten 1,6 Milliarden Schilling zur Herstellung einer halbwegs erträglichen baulichen Situation der Bundesmuseen und anderer Kulturbauten sein kann, so sehr ist sie ein aus der Not der Budgetsituation geborener falscher Weg. Die Bedienung der Annuitäten aus den Einnahmen der Kulturinstitutionen verhindert damit den so notwendigen Weg zu einer größeren Autonomie der Bundesmuseen. Für Jahre entfällt nun der Anreiz, bei steigenden Einnahmen auch mehr Möglichkeiten zur Programmierung und Ausgestaltung der Museen zu schaffen. Angesichts der Budgetkürzungen war wohl kein anderer Weg möglich, aber ehebaldigst sollte wieder eine normale Finanzierung gewählt werden.

Gleichzeitig mit der nationalen Aufgabe der Sanierung des BeStandes muß wohl auch die Heranführung Österreichs an den europäischen Standard gesehen werden. In allen westeuropäischen Staaten sprießen neue Museumseinrichtungen aus dem Boden; die ehebaldigste Errichtung einer entsprechenden Ausstellungshalle in den Hof stallungen und ein Terminplan für eine moderne kulturelle Nutzung dieses kulturpolitischen Glücksfalles im Stadtzentrum sind wohl selbstverständlich. Ist der Gedanke so verwegen, die Eröffnung dieser Kulturleistung 1996 - im Milleni-umsjahr Österreichs - feiern zu wollen? Es ist Aufgabe der Politiker, diese nationale Priorität festzulegen und durchzusetzen. Es ist Aufgabe der Museumsleitungen und ihrer Mitarbeiter, eine Konzeption zur Autonomie und Verwaltung der Museen vorzulegen, die modernen Anforderungen entspricht. Nicht immer hat man den Eindruck, daß mehr Besucher gewollt werden, nicht immer kann man davon ausgehen, daß alle Möglichkeiten genutzt werden, die die Museen schon jetzt haben. In anderen europäischen Häusern ist der rasche Wechsel thematisch orientierter kleinerer Ausstellungen als Informationsangebot und Lockvogel längst üblich, und die Knappheit der Mittel darf keine Ausrede sein, wie das seit Jahren bemühte Programm des Naturhistorischen Museums beweist.

In diese Autonomie gehört auch die Nutzung von wirtschaftlichen Interessen in den Museen und für die Museen. Damit sind nicht nur die oft zitierten Museumsläden, sondern auch einschlägige Produktionen von Büchern, Bildern, Möbeln, Textilien, Souvenirs und Mustervorlagen an die Wirtschaft gemeint. Nicht alle Museen haben die Chance, wie sie etwa das Technische Museum hat, aus der ständigen Klage von Wirtschaft und Industrie über eine steigende Technikfeindlichkeit ein Engagement zu erzwingen, nämlich das des österreichischen Unternehmertums, ein heutigen Anforderungen entsprechendes Museum als Informationshaus über Leistungen und Notwendigkeiten von Technik und Wirtschaft zu errichten. Hoffentlich nutzt die Wirtschaft diese Gelegenheit - in der Monarchie war es möglich!

Bleibt noch die Rolle der Privaten. Hier geschieht heute schon mehr, als man es in der Öffentlichkeit zugeben wüL Wer Sonderausstellungen, Kataloge, Kunstbücher, Symposien, Preisvergaben und ähnliches verfolgt, weiß, daß für viele Unternehmensleitungen Kunst schon zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Neben einer einfach und großzügig gehandhabten steuerrechtlichen Regelung, die dem Kunstmäzen „Österreicher” den Einstieg ermöglicht, fehlt es noch an einer Zahl von qualitativ gut geführten Kunstvereinen, die auch zur Unterstützung der Museen und der Galerien da sein können. Damit kann es auch zu einer Schaffung eines Korps von Freiwilligen kommen, die potentiell in der österreichischen Landschaft ohnehin vorhanden sind. Das Interesse vieler daran kann jeder Kulturpolitiker immer wieder registrieren. Beim nächsten Versuch, ein Museum zu sperren, wenn Arbeitslosen-Aktionen ausfallen, Zivildiener fehlen, Doro-theumsbeamte anderweitig beschäftigt sind, werden diese Freiwilligen mit größter Selbstverständlichkeit „ihr” Haus den Besuchern offenhalten.

Vom nationalen Erbe ist gesprochen worden: Es wird nur dann richtig wahrgenommen werden, wenn es in internationaler Konkurrenz besteht. Die immer wieder in Österreich vorhandene Tendenz, uns abzuschließen oder internationale Kontakte als privat zu betrachten, ist kontraproduktiv.

Internationalität entsteht auch nicht durch Museumsbeamte, die Bilder österreichischen Besitzes begleiten oder Ausstellungen, die wir um unser gutes Geld zu Lasten des Kulturbudgets versenden -wie das bei „Wien um 1900” im Centre Pompidou geschehen ist.

Österreich ist Bestandteil einer europäischen Kulturlandschaft: Wir werden keine Schwierigkeiten haben, uns darzustellen, wenn wir an der Gestaltung dieses Budes von Europa teilnehmen, wobei dies nicht durch Verweigerung von Ausstellungsobjekten oder der notwendigen Mobilität unseres Besitztums geschieht.

Nicht zuletzt in der Museumsfrage entscheidet sich das Schicksal Österreichs, eine europäische Kulturnation oder tiefste Provinz zu sein.

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