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Kulturpolitik — das ist heute Medienpolitik

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Von Österreichs Unterrichts- (und Kultur-) minister stammt das Wort, daß Kultur politisiert werden müsse und „was nicht Parteipolitik ist, nie Politik wird“. Ausgangspunkt für die Feststellung war der Bericht des Instituts für empirische Sozialforschung über die „Kultur in Österreich“, der bekanntlich bedrückende Ergebnisse hinsichtlich der kulturellen Gewohnheiten der Österreicher gebracht hat. Dem nach journalistischer „Griffigkeit“ eifernden Magazin „Profil“ fiel die Titelstory ein: „Heimat bist du dummer Söhne.“ Mittlerweile scheint die Vordergründigkeit einem ernsten Studium der Untersuchung zu weichen. Und das Unterrichtsministerium kündigt einen „Maßnahmenkatalog“ an. Was also Wird, ein halbes Jahr vor Wahlen, die „Politisierung“ der Kultur bringen?

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Von Österreichs Unterrichts- (und Kultur-) minister stammt das Wort, daß Kultur politisiert werden müsse und „was nicht Parteipolitik ist, nie Politik wird“. Ausgangspunkt für die Feststellung war der Bericht des Instituts für empirische Sozialforschung über die „Kultur in Österreich“, der bekanntlich bedrückende Ergebnisse hinsichtlich der kulturellen Gewohnheiten der Österreicher gebracht hat. Dem nach journalistischer „Griffigkeit“ eifernden Magazin „Profil“ fiel die Titelstory ein: „Heimat bist du dummer Söhne.“ Mittlerweile scheint die Vordergründigkeit einem ernsten Studium der Untersuchung zu weichen. Und das Unterrichtsministerium kündigt einen „Maßnahmenkatalog“ an. Was also Wird, ein halbes Jahr vor Wahlen, die „Politisierung“ der Kultur bringen?

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Es steht außer Frage, daß Kulturpolitik in Österreich vielfach Administration war und ist. Das private Mäzenatentum hat zugunsten einer öffentlichen Subventionstätigkeit abgedankt, Kulturstätten als Geldeinnahmequellen gibt es nicht mehr. Die seit langer Zeit sichtbare Tendenz zielt auf die „Verstaatlichung“ des Kulturbetriebes — nicht im Sinn der Veränderung von Eigentumsverhältnissen, — aber wohl im Sinn der faktischen Ausübung von Entscheidungsrechten. Sowohl die Produktion von künstlerischen Leistungen ist an öffentliche Vorausleistungen gebunden (also Stipendien an Künstler, Subsidien, Gratisateliers usw.), als auch die Umsetzung von Kunst: als Darstellung in öffentlich subventionierten Theatern, Konzerthäusern, öffentlich geförderten Museen, Rundfunkaufführungen oder indirekt finanzierten Buchproduktionen. Bleibt ein karger Rest: zumeist reine Unterhaltungskunst, der Trivialroman, Volks- und Schlagermusik oder „Wohnungsverschönerung“ (im weitesten Wortsinn) kommerziell angeboten und gekauft.

Vergleicht man aber die österreichische Kulturszene mit jener des vergleichbaren Auslands, so fällt ohne Frage der hohe Anteil von „Elitekultur“ an der Gesamtkultur auf. In Österreich ist es doch so, daß kulturelle Spitzenleistungen wie in keinem anderen Kleinstaat Europas in solchem Quantum angeboten werden. Und gerade das macht die Angelegenheit erstaunlich: wieso gibt es tatsächlich keine „Kulturpolitik“ — während die politischen, parteipolitischen Spinnennetze in Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung doch so dicht sind?

Die politischen Lager haben seit 1945 keine wie immer gearteten Meinungsverschiedenheiten gravierender Art über kulturpolitische Fragen ausgetragen; es hat keine Koalitionskrisen darüber gegeben, keine Budgetschlachten um das (engere) Kulturbudget, keine Rededuelle zwischen Regierung und Koalition. Die alljährliche Budgetdiskussion im Nationalrat ist bei der Behandlung des Kapitels „Unterricht“ seit Jahren davon gekennzeichnet, daß eine zwischenruffreie Kurzdebatte die interessierte Bereitschaft aller Parteien an einer weiteren Hochdotierung der staatlichen Kulturförderung zum Ausdruck brachte. Und seit es einen Kunstbericht des Unterrichtsministers gibt, ist die Beschäftigung des Nationalrats keineswegs größer ge-

worden. Und auch in der heißen Phase der Alleinregierungszeit — Kulturpolitik ist offensichtlich keine strategische Kampfzone — sieht man davon ab, daß Bruno Kreisky vor 1970 einige Male das Bundestheaterdefizit kritisierte und seine Wahlversprechen gelegentlich damit finanzieren wollte ... Aber auch das vom Unterrichtsminister derzeit vorgelegte Bundestheatergesetz hat alle Aussicht, mit den Stimmen aller Parteien verabschiedet zu werden — wenn man sich mit der Gewerkschaft einig wird, die derzeit die einzige Opposition gegen die Regierungsvorlage darstellt. Man merke an, daß Kulturpolitik gelegentlich Personalpolitik war (Operndirektoren ernannten jedenfalls bisweilen eben Mäzene oder die Wiener Zeitungskritik).

Wie also soll man „politisieren“?

In den Parteien gibt es keine institutionalisierten Sprecher für kulturpolitische Fragen. Für die Unterrichtsminister der Zweiten Republik mußte die Kunstpolitik Nebenfront bleiben: Schulwesen, Kultus, Hochschulen, Sport drängten fast zwangsläufig die Kulturpolitik in eine Nebenrolle. Die gelegentlich ventilierte Absicht, einen Staatssekretär für Kunst zu installieren, wurde nie realisiert.

So blieb die Kulturpolitik auch eine Domäne für ambitionierte Beamte. Je interessierter diese agierten, desto stärker profiliert zeigte sich das Ministerium. Dies galt vor allem für Ernst Marboe, Chef der Bundestheaterverwaltung während der Opern- und Burgtheatereröffnung, für Sektionschef Weikert, der seine Ambitionen mit einer erfolgreichen Intrige bezahlen mußte; aber auch für den seinerzeitigen Chef der Auslandskulturabteilung, Franz Karasek, der 1970 jedoch seinen Schreibtisch verließ und als ÖVP-Abgeordneter zum außenpolitischen Sprecher seiner Partei wurde.

Heute sitzen in den Parlamentsklubs nur ganz wenige Abgeordnete, deren Werdegang kulturpolitischen Hintergrund ausweist. Da ist der Generalsekretär des „Steirischen Herbstes“, Kaufmann, der als Fachmann der ÖVP zunehmend Interesse wecken kann. In der SPÖ nimmt fallweise Michael Luptowits kulturpolitische Interessen wahr, tritt aber gegenüber Unterrichtsminister Si-nowatz stets ins zweite Glied zurück.

Erst in den letzten Jahren ist es in den Bundesländern zu erfreulichen Vorgängen gekommen. Agile Landesräte haben es verstanden, die Frage der Kulturpolitik stärker ins öffentliche Interesse zu rücken. In der Steiermark ist es Kurt Jung-wirth, der sich aus dem Schatten des Doyens der kulturambitionierten Landespolitiker, Hanns Koren, löst und steirische Motorik schafft, Überhaupt scheint Graz die Ambition zu haben, eine heimliche Kulturhauptstadt zu werden (mit dem „Forum Stadtpark“ über den „Steirischen Herbst“ zur vorbildlichen Altstadterhaltung). Mit dem Salzburger Landesrat Kaut ist ein Politiker vor zwei Jahren in die Präsidentschaft der Salzburger Festspiele aufgerückt. Kaut hat in dieser Funktion Verhandlungsgeschick, allerdings weniger Ambition zu neuen Wegen gezeigt. Mit dem Tiroler Landesrat Fritz Prior verwaltet ein Mann das

Kulturressort in Innsbruck, der Möglichkeiten und Interessen des Landes bestmöglichst kombiniert. Und der erst seit kurzem im Amt befindliche oberösterreichische Landesrat Ratzenböck hat durch einige spektakuläre Aktionen verstanden, sein Land zu einem „Geheimtip“ für Kulturinteressenten zu machen. Immerhin steht mit der Brucknerhalle Österreichs modernster Konzertbau am Linzer Donauufer.

Auch Wiens Kulturstadträtin Sandner sucht im ständigen Schatten der „Bundeskultur“ eigenständige Aktivitäten zu lancieren: die Wiener Festwochen haben sich als fester Bestandteil der österreichischen Kulturszene herauskristallisiert, das gemeindeeigene Theater an der Wien füllt als Musicalbühne eine Lücke im Wiener Theaterangebot. All das ließe den Eindruck entstehen, als seien solche und andere ambitionierte Leistungen bereits ein Ergebnis einer zielorientierten, ganz Österreich umfassenden politischen Aktion. Man muß, leider, verneinen. Denn trotz der vielen, auf ein umfassendes Angebot abzielenden Maßnahmen der Kulturadministration ist es weder in Wien noch in den Bundesländern gelungen, einerseits die Aufgaben der Kulturpolitik als

„öffentliches Interesse“ nachdrücklich zu artikulieren, anderseits die Kultur dorthin zu tragen, wo sie das sein soll, was Herder schon vor 150 Jahren treffend als die Errichtung einer „höheren Natur durch Humanität“ bezeichnete.

Kultur nur als Freizeitbeschäftigung einer kleinen Minderheit muß nämlich mit Recht abgelehnt werden — ebenso allerdings wie der Versuch, die Gesamtgesellscliaft einschließlich ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bezüge als „Kultur“

zu determinieren, was zwar terminologisch Probleme löst, aber in der Sache selbst nicht weiter hilft; es sei denn, man versteht unter Kultur schlechthin vornehmlich den „Motor“, die Gesellschaft zu ändern — ein permanentes Revolutionsvehikel gewissermaßen (etwas, was in österreichischen Ministerbüros von „Beratern“ gelegentlich geäußert wird).

Bleiben wir auf dem Boden: Kulturpolitik ist nicht Klassenkampf; Kulturpolitik muß heute mehr denn je darin bestehen, emanzipatorisch zu verfahren und die Hilfen zur „Humanität“ — einfacher: zu einer schöneren, harmonischeren Lebensgestaltung — quantitativ und qualitativ anzuheben. Das ist eine Aufgabe aller „Kulturnationen“, besonders solcher, die wie die Österreicher eine historische Komponente in ihren kulturellen Äußerungen nicht übersehen können.

Zwei Richtungen sind anzuzeigen: Österreichs Kulturpolitik muß sowohl eine innen- wie eine außenpolitische Richtung aufweisen:

• Wie kann man „mehr“ Kultur an die Mehrheit der Österreicher herantragen?

• Wie soll das Image Österreichs in der Kulturlandschaft Europas, der Welt aussehen?

Die IFES-Untersuchung, die Grundlage ministerieller Maßnahmen sein soll, tendiert dazu, die Kulturpolitik dahin zu motivieren, „Umschichtungen“ vorzunehmen. Das erhellt etwa die Feststellung der Studie, daß „eine Subventionierung finanzkräftiger Sozialschichten über die Bundestheaterverwaltung unvertretbar“ ist (Seite 167). Das geht weiter, wenn es wörtlich heißt: „Es scheint zweifelhaft, ob eine elitäre Minderheitenkultur professioneller Perfektion wirklich noch Vorbild sein

kann für eine egalitäre Gesellschaft ...“ (Seite 134).

Natürlich: man kann die sogenannten Prestige-Kulturstätten, also die Bundestheater, die bedeutenden Museen aushungern (gehen doch 53 Prozent der Akademiker, aber nur drei Prozent der Pflichtschüler regelmäßig ins Theater). Man kann Kultur als „Privileg der Bildungselite“ (Seite 97) diffamieren und statt dessen die regionale „Kulturhaus“-Idee als neue Variante propagieren; damit die Floridsdorfer und Knittel-felder dann via lokales Zentrum Kultur „konsumieren“ können.

Aber kann es denn wirklich Ziel der Politisierung“ der Kultur sein, die Spitzenleistungen der Kunst zu dezimieren, dafür aber Durchschnittliches lokal und schichtenspezifisch aufzufächern?

Oder gibt es Alternativen?

Es gibt sie und sie liegen überaus nahe.

Heute wird Kunst und Kultur nur auf dem Weg über die Massenmedien an kulturell desinteressierte Massen herangeführt. Die Medien sind es doch, die Kultur problemlos „transportieren“ können; die Medien sind es, die das Burgtheater und die Staatsoper in die Wohnzimmer tragen können; Karajan ist dann nicht nur für fünfhundert Zahlende in Salzburg zu hören — er kann auch zu Millionen in die Haushalte kommen.

„Wenn ja, wenn die Voraussetzungen geschaffen sind: nämlich ein Fernsehprogrammschema, das den Kultursendungen Vorzug vor Unterhaltung — ja, sogar vor Information — einräumt; und eine Lösung der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Fragen, die die Übertragung kultureller Spitzenleistungen durch die elektronischen Medien auch gestattet.

Darauf sollte das Zielfernrohr gerichtet werden: Medienpolitik als Kulturpolitik. Es ist für die inhaltliche Konfrontation gleichgültig, ob jemand Schnitzler im Akademietheater oder im Fernsehen sieht. Schnitzler im Schärdinger „Kulturhaus“ ist und bleibt eine fragwürdige (und nebstbei teure) Angelegenheit.

Stellt sich noch die Frage, wohin die „Außenpolitk“ im kulturellen Bereich zu zielen hat. Die Antwort liegt auf der Hand: im Zeichen eines vermehrten internationalen Programmaustausches und immer knapper werdender Mittel der Rundfunkanstalten gibt es einen unerschlos-senen Markt für gute Kulturproduktionen in den Medien der ganzen Welt. Warum nützt Österreich die Chance nicht? Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten der Kassettenprogramme, die in der nächsten Generation der Medien ganz neue Aspekte bieten können. Kulturpolitische Aspekte.

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