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Kulturrevolution per BÜdschirm ?
Die informationstechnische Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran - mit ihren unerwünschten Begleiterscheinungen müssen wir alle zurechtkommen
Die informationstechnische Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran - mit ihren unerwünschten Begleiterscheinungen müssen wir alle zurechtkommen
In Berlin auf der Funkausstellung kam vom bunten Bildschirm ein gemischter Satz aus Politik und Unterhaltung ohne besonderen Verwendungszweck. In Hannover auf der didacta, der größten Lehrmittelschau in Europa, zeigt man die Informationsapparate akurat ausgerichtet mit pädagogischer Intention.
Und zu den Dingen, die Spaß und Erfolg in Schule und Ausbildung, Leseunterricht und Managementtraining bringen können, werden auch die AV-Geräte und die AV-Medien gezählt. Was sich so trocken fachlich liest, hat durch die Explosion des informationstechnischen Fortschritts faszinierende und verwirrende Dimensionen angenommen.
Die Bildschirme kommen! hallte der Ruf über Tausende Quadratmeter Ausstellungsfläche. Für die einen ein neuer, stolzer Höhepunkt informationstechnischer Entwicklungen, für die anderen eine erneute, diesmal umfassende Bedrohung gesellschaftspolitischer Wunschvorstellungen. In einem irren die Vertreter beider Positionen: Die Bildschirme kommen nicht erst, sie sind schon längst da — und sie werden täglich mehr, und sie werden täglich mehr genutzt: am Produktions-, am Verwaltungs-, am Service-Arbeitsplatz, zur Information, zur Unterhaltung, zur Erledigung täglicher Routine, zur Unterstützung kreativer Prozesse. Kulturpessimisten und sozialwissenschaftliche Kritiker klagen — wieder einmal — über eine technisch-naturwissenschaftliche Entwicklung.
Den Takt hierbei aber geben vorwiegend die „Macher”, die „Ingenieure”, die „Naturwissenschaftler” an — solchermaßen tatsächlich in die Positionen von „Technokraten” geschlüpft. Sie erfinden und entwickeln das gleich oder demnächst „Machbare”. Erst dann wird — wie man am Beispiel der laufenden Begleitprojekte zu Bildschirm- bzw. Fernsehversuchen sehen kann — überlegt, welche Gefahren, welch unerwünschte Konsequenzen sich beim Einsatz der bereits entwik-kelten Produkte ergeben können, könnten — möglicherweise. Für solche Begleitforschungen fühlen sich nur freilich nicht mehr die Natur- und Ingenieurwissenschaften zuständig. Hier stecken die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften ihre Reviere ab. Hier finden auch Kulturkritiker und Kulturpolitiker Betätigungsfelder und Tummelplätze.
So gibt es denn auch kritische Stimmen en masse, die vor den unabsehbaren und unabsehbar schädlichen Konsequenzen informationstechnischer Umwälzung warnen. Dies ist nicht neu: Auch vor dem Buch, der Zeitung und dem Hörfunk, schließlich dem (frühen „naiven”) Fernsehen wurde gewarnt. Die Erfolge solcher Spätwarnsysteme waren stets bescheiden. Waren einmal „neue” Instrumente der Informationsvermittlung, also „Medien” im heute verbreiteten Wortsinn, erfunden und zur Massenproduktion bereit, so wurden sie auch verbreitet und eingesetzt — und so setzten sie s,ich auch durch, auch wenn sie durch ihre Wirkung noch so viel politischen und ideologischen Schaden angerichtet haben.
Würde heute jemand die Abschaffung der Bücher und Zeitschriften, der „Printmedien”, verlangen, er würde zu Recht in die Nähe von „Bücherverbrennern” gerückt werden. Wer aber verlangt, daß das Fernsehen abgeschafft wird, wer die fernsehlose Familie empfiehlt, wer vor dem verkabelten Leben warnt und das Horrorbild einer informations-versklavten Menschheit am Bildschirm-Draht malt, der ist auf der Höhe der Aktualität und erfreut sich breiter Zustimmung: vor allem in den Medien!
Dennoch ist nicht anzunehmen, daß es langfristig gelingen wird, die Verbreitung und den Gebrauch der neuen Medien, für die der Bildschirm als Präsentationsinstrument nur das Leitbild ist, zu verhindern. Will man den massenhaften Gebrauch der neuen Medien „sinnvoll” gestalten, sind andere Strategien nötig.
Dort, wo der Bildschirm durch zentral ausgesendete Programme für den einzelnen Adressaten fremdbestimmt ist, wird radikales Umdenken notwendig. Hier drohen Komplikationen, weil die Medienbeherrscher nicht ohne weiteres bereit sein werden, ihre Machtpositionen aufzugeben. Sie verschanzen sich dabei hinter allerlei politischen, ideologischen und pädagogischen Begründungen, aber die Tage ihrer Allmacht, die auf ihre technische Überlegenheit begründet war, scheinen gezählt. Auch hier gilt das Multipliziergebot, das für Bücher, für Zeitschriften, für Schallplatten und Bildträger gilt: Wenden wir
Mao Tse Tung medienpolitisch, und fordern wir „Laßt tausend Kanäle glühn”.
Auf den privaten Bildschirmen beginnt es schon mit der Verbreitung der Video-Kassette, nach vielen Ankündigungen jetzt auch bald mit der Bildplatte. Auch hier wird heute und morgen noch die Unterhaltung dominieren:
Aber auf solcher Basis wächst nach langer Erfahrung mit den alten Medien auch der Uberbau.
Stimmt für die neuen Medien, was für die alten stimmte, so wird das zusätzliche Angebot nicht zu individueller Isolation und sozialer Zerrissenheit führen, sondern lediglich zu Gewöhnung der Informationsempfänger. Schon heute finden mehr Bürger denn je den Abschaltknopf an ihrem Fernsehgerät, und nach neueren Untersuchungen nimmt, mindestens in Mitteleuropa, der Fernsehkonsum von Kindern und Jugendlichen bereits wieder ab.
Der Autor ist Hochschullehrer für Bildungs-
Blanung und Bildungsorganisation an der niversität/Gesamthochschule Paderborn.
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