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Kulturstadt am Prüfstand

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Wenn kein Wunder geschieht, wird die Kavalleriekaserne in Enns demnächst Wohnblöcken (deren Bedarf umstritten ist) weichen müssen. Die FURCHE veröffentlicht einen Hilferuf zugunsten dieser Architektur des 19. Jahrhunderts, deren Schutzwürdigkeit - wie Fachleute meinen - erst jetzt zu erkennen begonnen wird, aber in wenigen Jahren selbstverständlich sein dürfte.

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Wenn kein Wunder geschieht, wird die Kavalleriekaserne in Enns demnächst Wohnblöcken (deren Bedarf umstritten ist) weichen müssen. Die FURCHE veröffentlicht einen Hilferuf zugunsten dieser Architektur des 19. Jahrhunderts, deren Schutzwürdigkeit - wie Fachleute meinen - erst jetzt zu erkennen begonnen wird, aber in wenigen Jahren selbstverständlich sein dürfte.

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Dem von der Autobahn oder auf der Bundesstraße von Steyr nach Enns kommenden Autofahrer wird in den wenigsten Fällen die hinter einer mächtigen Kastanienallee versteckt liegende ehemalige Kavalleriekaserne aufgefallen sein, zu nahe liegen gegenüber der Straße Areal und Gebäude der heutigen Heeresunteroffiziersschule, die jeder kennt.

Die ursprünglich als „k. k. Schul-Es- cadron“ 1855-57 gebaute Anlage war für die erste Zeit die einzige Kavallerieschule des gesamten alten Österreich und diente dann verschiedenen Kavallerieregimentern der Monarchie und des ersten Bundesheeres als Unterkunft und wurde nach 1945 nicht mehr militärisch genutzt.

Besonders das dreigeschoßige Hauptgebäude mit kurzen Seitenflügeln, welches just abgebrochen werden soll, um an dessen Stelle und auf dem nebenan befindlichen weitaus größeren Wiesengrundstück Wohnanlagen zu errichten (350 Einheiten!!), eben dieses Hauptgebäude ist ein kunstgeschichtlich-architektonisch über die lokale Bedeutung weit hinauSjgehendes bedeutendes Bauwerk des 19. Jahrhunderts, geradezu typisch im Stil des vom mittelalterlichen Burgenbau geprägten sogenannten „Romantischen Historismus“, der in Österreich heute bereits Seltenheitswert besitzt und vor allem für Enns einmalig ist.

In seiner charakteristischen und qualitätsvollen Erscheinung-Gesamtstruktur wie Details, Fassaden und Inneres- steht dieser Bau österreichweit stilistisch zwischen der längere Zeit schon voll gewürdigten frühhistorischen Architektur des Wiener Arsenals bzw. der etwas späteren Rossauer-Kaserne, der vor einiger Zeit fast ein ähnlich schmähliches Schicksal zugedacht gewesen wäre, wie nun am Ende gar aus Unverstand in Enns geplant ist.

Bei einer erst in jüngster Zeit von kompetenter Seite vorgenommenen Begutachtung (u. a. durch Univ.-Ass. Walter Krause vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, dem „geistigen Erben“ der kürzlich verstorbenen internationalen Kapazität auf dem Gebiete der Architektur des 19. Jh., Univ.Prof. Renate Wagner-Rie- ger), die den Wert dieses Gebäudes und der Anlage für unbedingt erhaltungswürdig beurteilt, stellten sich überraschenderweise sogar übereinstimmende architektonische Elemente im Vergleich mit der Rossauer-Kaserne heraus.

Die Ennser Kavalleriekaserne ist als Ganzes - auch das Hauptgebäude, um das es jetzt geht - nicht nur völlig komplett, sondern auch unverändert erhalten.

Das Hauptgebäude umschließt mit seinen kurzen Seitenflügeln, den beiden Toren (eines noch mit dem originalen Schmiedeeisengitter), den Stallungen und der querliegenden Reithalle einen mit einer Kastanienreihe bewachsenen-’ Hof. Stallungen und Reithalle gingen vor einiger Zeit in den Besitz des renommierten Reitclubs Derfflinger über und bleiben stehen. Die gedeckte Reithalle soll die größte Österreichs sein und wurde vor einigen Jahren schon auf Betreiben bewußt unter Denkmalschutz gestellt, da sie im Inneren eine kostbare hölzerne Dachgebälkkonstruktion enthält, die voll sichtbar ist.

Die Ennser Anlage geht zudem als gesicherte eigenschöpferische Leistung des Bauleiters „Hptm. Märkl“, dessen Identität mit dem späteren Erbauerder Wiener Rossauer-Kaserne, Major Carl Märkl, aktenmäßig noch zu überprüfen wäre, weit über das im gesamten 19. Jh. bestehende „Normmaß“ ähnlicher öffentlicher Bauten hinaus. Ein weiterer vielleicht entscheidend beteiligter Planverfasser, der auch zu den Besten seines

Faches gehört haben muß, konnte vorerst noch nicht eruiert werden.

Ob seiner „großstädtischen“ Formensprache stellt dieses typische Bauwerk des „Romantischen Historismus“ in der Kleinstadt Enns als einzig archi- iektonisch bedeutendes Gebäude des 19. und 20. Jh. eine angenehme Bereicherung der leider ohnehin nur äußerst bescheiden entstandenen Architektur der letzten 180 Jahre dar. Da unmittelbar daran anschließende Stallungen und die Reithalle ohnehin stehen bleiben und genützt werden, fragt man sich in Fachkreisen, warum gerade dieses wertvolle einzelne Gebäude in Enns ein Hindernis sein sollte?

Nicht bloß wertvolle Kultursubstanz ginge verloren, was das Architektonische betrifft, auch Kulturgeschichtliches würde mit Füßen getreten, wenn man bedenkt, daß gerade das Offiziers- Corps es war, welches sich um die frühe Denkmalpflege in Enns annahm, als es um 1900 darum ging, einen Musealverein zu gründen, das Legionslager der Römer zu erforschen, die Lorcher-Kir- che zu restaurieren …

Ein Abbruch des Hauptgebäudes wäre ein vielfach nicht wettzumachender kultureller Verlust für Enns, welches doch gerade jetzt auf vorbildliche Altstadterhaltung und -gestaltung pochen möchte. Es wäre nicht vorstellbar, wie man an Stelle dieses markanten Baues und der herrlichen Kastanienallee, die gerade entlang des Plateaurandes führt und somit im Gelände besonders exponiert ist (Geländeabfall), einfach die ungeheure Anzahl von geplanten 350 Wohneinheiten - wie hoch und eng aneinanderstehend müssen da die Neubauten sein! - hinsetzen könnte.

Aus städtebaulichen und infrastruk- turellen Gründen wäre es im äußersten Fall vertretbar, daß unter Verzicht auf das relativ kleine Areal des Gebäudes und unter weitestmöglicher Schonung und Erhaltung(!) der zwei Alleen bloß eine geringere Anzahl von Wohnungen auf dem Wiesenareal errichtet werden.

Es existiert im Gemeindegebiet von Enns noch genügend unverbauter Baugrund für die nächsten Jahrzehnte, und wenn die seit längerem stagnierende bis rückläufige Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre weiter anhält, dann gibt es an anderen Stellen noch viel länger Platz. Wie man hört, sind jetzt auch am Fuße des Eichbergwaldes 300 Wohnungen geplant, alles in allem eine Mammutzahl, die auch infrastrukturell problematisch erscheint.

Es spricht nicht gegen die Qualität des Baues, wenn man sich in den vergangenen Jahren keine entsprechenden

Gedanken um eine künftige Verwendung des Hauptgebäudes gemacht hat, denn die Bundesgebäudeverwaltung als staatliche Institution hatte ja gar kei-’ nen Anlaß. Es böten sich vielerlei Verwendungsmöglichkeiten nach einer den modernen zeitgenössischen Bedürfnissen entsprechenden Adaptierung an. Diese wäre ungleich billiger als jeder nur annähernd gleich große oder qualitative Neubau und würde das Stadtbild im ganzen wie im kleinen merklich bereichern.

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