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Kulturwanderung durch Hohenems

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Als der Schriftsteller Jean Amery sich vor einigen Jahren, kurz vor seinem Tod, in Vorarlberg aufhielt, wunderte man sich, daß er, der Typus eines Weltbürgers und Freigeistes, das Provinznest Hohenems im Vorarlberger Rheintal als seinen eigentlichen Heimatort bezeichnete. Er sprach in einem Rundfunkinterview mit großer Sympathie von diesem Ort, den er nie zuvor besucht hatte. Er kannte ihn jedoch von den Erzählungen seines Vaters und Großvaters, die ebenso wie deren Vorfahren Hohenemser gewesen sind. „Amtlich gesehen” war in der Tat auch Jean Amery ein Hohenemser, denn ein diesbezügliches Dokument wies ihn als „Bürger” dieses Ortes aus.

Seine Vorfahren, so Amery, hätten in friedlichem Einvernehmen mit Hohenemser Christen zusammengelebt. Sein Großvater - seines Zeichens Metzgermeister im jüdischen Ghetto - habe täglich einen immerhin ziemlich beschwerlichen Fußmarsch auf den Hohenemser Schloßberg unternommen. Dies war noch zu Lebzeiten des Kaisers Franz Josef. Der Weg, den Metzgermeister Amery nahm, ist heute noch intakt. Vom hoch über dem Hohenemser Palast aufragenden Felsen, der von der Burgruine Alt-

Ems gekrönt wird, genießt man einen einzigartigen Rundblick: Die auf Spielzeuggröße zusammengeschrumpften Häuser der Marktgasse (der ehemaligen Christengasse), das Judenviertel mit der altehrwürdigen und auch von den Kindern der Christen gern besuchten „Judenschule”, die behäbigen Flußwindungen des .Alten Rheins”, welche die Grenze zum schweizerischen Diepoldsau bilden, die Rheintal-Tiefebene und am Horizont die Liechtensteiner und die Schweizer Berge, die nach Norden hin in sanfte Hügelketten auslaufen, um den Blick auf den Bodensee freizugeben. An klaren Tagen reicht der Blick über den Bodensee bis ins Schwabenland.

Der Ort liegt an der uralten, schon für die Römer bedeutsamen Militär- und Kulturstraße, die von Mailand über die Pässe Julier, Septimer, Splügen und Ber-nardino über das Rheintal bis Augsburg führte. Die deutschen Kaiser und Könige errichteten an dieser Route mächtige Burgen als Stützpunkte bei Auseinandersetzungen, zuweilen auch als Gefängnis für politische Gegner. In der Festung Hohenems wurde der unmündige, grausam seines Augenlichts beraubte Rivale des Stauferkaisers Heinrich VI. um das sizilianische Erbe, Wilhelm III., bis zu seinem Tod gefangengehalten.

Hohenems ist aber auch die Heimat des Dichters Rudolf von Ems.

Berühmtheit erlangte der Ort durch die Auffindung der Handschriften A und C des Nibelungenliedes.

Die Hohenemser Grafen zeigten sich gegenüber den kulturellen Entwicklungen in Italien sehr aufgeschlossen. Gefördert wurde dies durch die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Medici und den Borromeo. Hohenems wurde so zu einem wichtigen Außenposten italienischen Geschmacks und Stilwillens. Der Hohenemser Palast ist das erste in reinem Renaissance-Stil errichtete Bauwerk nördlich der Alpen. Die Anregung ging von Markus Sittikus II. aus (seit 1561 Kardinal und Bischof von Konstanz). Es gelang ihm, den seit 1573 ständig in Rom ansässigen Architekten Martino Longo für dieses Projekt zu gewinnen.

Geretteter Friedhof

Es bedarf freilich einiger Phantasie, um das gesellschaftliche und kulturelle Leben im Hohenems jener Zeit in seiner ganzen Buntheit und Vielfalt erstehen zu lassen. Die prächtigen Gartenanlagen vor dem Palast, die Tiergärten und Fischweiher und zahlreiche Zubauten sind bis auf kärgliche Reste verschwunden. Einen Eindruck vom Schwung und Ebenmaß der Architektur erhält man immerhin im prächtigen Innenhof des Schlosses. Nicht versäumen sollte man auch einen Besuch in der Pfarrkirche St. Karl, die eine der größten Kostbarkeiten birgt, die Hohenems zu bieten hat: den Renaissance-Hochaltar von Heinrich Dieffolt aus Feldkirch aus dem Jahr 1580.

Von den jüdischen Denkmälern, die erhalten blieben, sind vor allem einige Bürgerhäuser, die alte Jüdische Schule — sie wurde wegen der hohen Qualität ihrer Lehrer weithin gerühmt — sowie der jüdische Friedhof zu nennen. Sie erinnern an eine Zeit, in der Hohenems, und hier vor allem die jüdische Gemeinde, durch weltoffenen Geist und bedeutende Persönlichkeiten in Kunst und Wissenschaft geprägt war. Stellvertretend für viele Namen sollen hier der Arzt Eugen Steinach (1796-1867), der als Bahnbrecher der Hormonforschung in die Medizingeschichte eingegangen ist, und der Komponist und Gründer der ersten Wiener Liedertafel, Sa-lomon Sulzer (1804-1890), genannt werden.

Die jüdische Gemeinde in Hohenems gehört der Vergangenheit an. Daß der seit dem frühen 17. Jahrhundert bestehende jüdische Friedhof nicht zerstört wurde, ist einem Verein zu danken, der 1954 zu seiner Erhaltung gegründet wurde. Ursprünglich war geplant, aus den wertvollen, weil sehr langsam wachsenden Zedern Bleistifte herzustellen und den Friedhof selbst in eine Christbaumpflanzung umzuwandeln. Seit 1967 steht er unter Denkmalschutz. Das ehemalige Zentrum des jüdischen Gemeindelebens, die Synagoge, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg einer weniger pietätvollen Bestimmung zugeführt: Sie dient als Feuerwehr-Gerätehaus.

Der Autor ist im ORF-Studio Dornbirn für Kultur zuständig.

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