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Kunst als Lebensgestaltung

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Von Gertrud Fussenegger, die am 8. Mai ihren 80. Geburtstag begeht, stammt der Ausspruch: „Alles, was mich in meinem Leben tiefer bewegt hat, wurde mir Sprache." Das bezieht sich bei ihr auf viele Bereiche: Roman, Erzählung, Legende, Lyrik, Dramatik, Hörspiel. Biographisches, Essayistik.

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Von Gertrud Fussenegger, die am 8. Mai ihren 80. Geburtstag begeht, stammt der Ausspruch: „Alles, was mich in meinem Leben tiefer bewegt hat, wurde mir Sprache." Das bezieht sich bei ihr auf viele Bereiche: Roman, Erzählung, Legende, Lyrik, Dramatik, Hörspiel. Biographisches, Essayistik.

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Ihr weitverzweigtes Werk wölbt vom Hier und Heute ihres Wirkens einen Bogen in den Schicksalsraum dereinstigen Donaumonarchie, als deren Kind sie 1912 im böhmischen Pilsen zur Welt kam. Als Tochter eines altösterreichischen, aus Vorarlberg stammenden Offiziers begleitete sie die Eltern durch verschiedene Garnisonen des Habsburgerreiches, nach Galizien, dann wieder nach Böhmen, später nach Vorarlberg und Tirol. Heute lebt sie im oberösterreichischen Leonding bei Linz, von dort immer noch zu Vortragsreisen aufbrechend.

In Innsbruck und München hatte sie Geschichte und Kunstgeschichte studiert und schon mit 22 Jahren den philosophischen Doktorgrad an der Innsbrucker Universität erworben. Die Geschichte ist auch der Keimboden für viele ihrer Werke. Bereits 1936 erscheint ihr Romanerstling „Geschlecht im Advent", vom Schicksal eines Tiroler Geschlechtes in der trüben Adventzeit um 900handelnd, 1940 dann die Erzählung ,J3ie Leute von Falbeson", den Widerstreit zwischen Glaube und Heimat im Barockjahrhundert spiegelnd.

In die Notzeit des Dreißigjährigen Krieges führt der Roman„Die Brüder von Lasawa" (1948), der auf böhmischem Boden vor sich geht, der dann auch zum Schauplatz vieler ihrer späteren Bücher wird, vor allem des Romans „Das Haus der dunklen Krüge" (1953), eines Familienromans aus den Gründerjahren der Stadt Pilsen, dessen Geschehnisse mit der Hochzeit im Hause Boudanin beginnen und die Schicksale der Angehörigen von 1870 an durch bewegte Jahre begleiten, das Neben- und auch schon Gegeneinander von Deutschen und Tschechen aufzeigend. Im nächsten Roman, „Das verschüttete Antlitz" (1957), vertiefen sich die Gegensätze mit wachsender Annäherung an die Gegenwart. Der Arzt Viktorin Ze-man, Kind eines tschechischen Vaters und einer deutschen Mutter, trägt den völkischen Zwiespalt in sich, sein dunkles Schicksal steht im erregenden Zugwind menschlicher Unausgeglichenheit.

Als poeta docta erweist sich Gertrud Fussenegger in einer Sonderleistung ihrer schriftstellerischen Tätigkeit: in dem Roman „Zeit des Raben, Zeit der Taube" (1960). Hier zeigt sich, daß die von den Geisteswissenschaften kommende Historikerin auch in naturwissenschaftlichen Bereichen orientiert ist. Denn hier entfaltet sie die Doppelbiographie zweier Gestalten mit ihren Spannungen zwischen Wissenschaft und Kunst: auf der einen Seite Marie Curie, die Radium-entdeckerin und Wegbereiterin der modernen Atomphysik, auf der anderen der französische Schriftsteller Leon Bloy, erbitterter Streiter gegen selbstgefällige Bourgeoisie und leidenschaftlicher Verfechter eines katholischen Glaubens im Zeichen der Erniedrigten und Beleidigten. Ihre Lebenswege laufen nebeneinander, berühren sich einmal kurz und treffen sich im Unendlichen ihres beiderseitigen ethischen Wollens. - In dem völlig andersgearteten Roman „Die Pulvermühle" (1968) wird an einer Stelle die Frage aufgeworfen und zugleich beantwortet: .Ästhetisches Vergnügen an einer Kriminalaffäre - kann es das geben? Ja, das gibt es." Das zeigt dieses Buch mit seinen Dunkelheiten und menschlichen Verirrungen.

Geschichtlicher Boden ist der Erzählerin gemäßer. Für viele ihrer historischen Dichtungen könnte ein Ausspruch des Romantikers Achim von Arnim gelten:,,Dichtung gibt sich keineswegs für eine geschichtliche Wahrheit, sondern für eine geahndete Füllung der Lücken in der Geschichte, für ein Bild im Rahmen der Geschichte." Daran denkt man bei Fusseneg-gers Roman „Sie waren Zeitgenossen" (1983), der in die Zeit Christi kurz vor seiner Kreuzigung weist. Seine Gestalt tritt nicht auf, wird aber durch fiktive Briefe, Aufzeichnungen aller Art und Stimmungsberichte umkreist, zwar nur am Rande, aber doch seine Umgebung, seien es Juden, Römer oder Griechen, immer wieder seltsam berührend und eine Zeitenwende ankündigend.

In dieselbe Atmosphäre versetzt die Szenenfolge „Pilatus" (1982), um den Prozeß Jesu kreisend, 1979 mit der Musik von Cesar Bresgen zum Zehnjahresjubiläum des „Carinthischen Sommers" in der Ossiacher Stiftskirche uraufgeführt, auch als Femseh-fassung vorliegend (1984). Nachdem Tode Jesu wird Lukretia, die Frau des Pilatus, durch eine Traumvision erleuchtet, zum Ankläger ihres Mannes, der einen Unschuldigen verurteilt hat.

Neben der Dichterin tritt die versierte Historikerin vor die Öffentlichkeit. Sie hatte ja bei dem Innsbrucker Mediävisten Harold Steinacker über ein mittelalterliches Thema dissertiert. Nun wendet sie sich mit der Biographie „Maria Theresia" (1980) dem 18. Jahrhundert zu, die menschliche Persönlichkeit der Herrscherin in den politisch-sozialen Rahmen ihrer Zeit fügend. Echte geschichtliche Schau ist ja Reproduktion ebenso wie Produktion, auch der Hi storiker hat durch die Art seiner Darstellung Anteil am Schöpferischen. In ihrem Buche,.Herrscherinnen" (1991) entwirft sie unter den Aspekten Macht und Menschlichkeit neun Porträts so verschiedenartiger Monarchen wie Elisabeth I. von England, Christine von Schweden, Maria Theresia, der Zarinnen Katharina I., Anna, Elisabeth und Katharina IL, der Königin Victoria von England und Indira Gandhi.

Auch Lyrisches hat die Dichterin publiziert. Das Gedicht vergleicht sie dem Gerät, mit dem der Taucher den Meeresgrund abtastet, „er fährt damit in sonst unerreichbare Tiefe". Ihre Bände „Widerstand gegen Wetterhähne" (1974) und „Gegenruf' (1986) sind größtenteils Gedankenlyrik, aus der resignierenden Rückschau der Altemden gegen den Ungeist einer aus den Fugen gehenden Gegenwart gerichtet. Leiden dringt in den Kern der Dinge, weist tiefer ins Wesen der Welt.

Ihre autobiographische Rückschau nennt die Dichterin „Ein Spiegelbild mit Feuersäule" (1979), ein bewegtes zeitgeschichtliches und innermenschliches Bild von den Lebens- und Leidensstationen ihrer Generation zwischen 1912 und 1945.-Spiegelbilder ihrer Erlebnisse sind mehr oder weniger ihre vielen Erzählungen, die in mehreren Sammelbänden zusammengefaßt sind. Den Verlauf des ge-schichtsträchtigen Schicksalsstromes

Donau von der Quelle bis zur Mündung begleitet das Buch „Eines langen Stromes Reise" (1976).

Betrachterisches und Essayistisches sind vereinigt in Publikationen wie „Der große Obelisk" (1977), „Echolot" (1982) und „Uns hebt die Welle" (1984), hervorgegangen aus einem Vortrag über Liebe, Sex und Literatur. Ein reiches Wissensfeld tut sich auf, wobei die Autorin erkennt, daß das historische Selbstverständnis des Menschen ohne Kunst nicht auskommt, daß Kunst nicht nur Leben gestaltet, sondern als gestaltetes Leben auch immer wieder zum Leben hinführt.

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