6839589-1975_35_16.jpg
Digital In Arbeit

Kunst beim Konditor

Werbung
Werbung
Werbung

Wer von Amstetten die Ybbs entlang südwärts fährt, erreicht bald die Bezirkshauptstadt Waidhofen mit ihrem noch weitgehend mittelalterlich anmutenden Stadtkern und einem mächtigen Turm, der einst als Denkmal des Sieges über die Türken errichtet worden ist.

Das Haus des Bäcker- und Konditormeisters Karl Piaty sieht ebenso schmuck aus wie die vielen anderen, bunt gefärbelten Stadtplatahäuser aus der Zeit der Spätgotik und der Renaissance, die den bürgerlichen Wohlstand erahnen lassen, den sich dieser Ort durch das einst in dieser Gegend der sogenannten „Eisenwur-zen“ blühende Eisenhahdwerk erworben hatte.

Aber unser Konditormeister hat mit einer Besonderheit aufzuwarten. Wer sich die Mühe macht und nach dem Genuß der in seiner Backstube entstandenen Köstlichkeiten die Stiege empor steigt, kann eine ganz außerordentlich interessante bäuerliche Volkskundesammlung bewundern.

Seit dem Jahre 1962 hat Herr Piaty an die 2400 Exponate der bäuerlichen Lebens-, Arbeits- und Kulturwelt in mühsamer Kleinarbeit zu einer eindrucksvollen Schau zusammengetragen. Nicht weniger als bereits neun Räume seines Hauses sind mit solchen Schätzen gefüllt, und immer mehr Gegenstände werden es, denn inzwischen braucht er nicht mehr in die Bauernhäuser hinauszufahren, weil es sich schon herumgesprochen hat, daß er alles brauchen kann, was oft unbenutzt und wenig geachtet auf den Dachböden und in den Stuben herumliegt Die Leute bringen ihm ihre Objekte von selbst und freuen sich, wenn sie in seihe Sammlung aufgenommen werden. Seine Schätze stammen aus 242 Bauernhäusern, aus einem Umkreis von nur 10 Kilometern. Was nicht aus Waidhofens Umgebung stammt, kommt nicht in die Sammlung, auch wenn ein noch so seltenes Stück darunter ist. Selbstverständlich ist auch alles genau numeriert und katalogisiert.

Der Hausherr führt seine Besucher gerne durch die Räume, wobei er auf die Feststellung Wert legt, daß es sich hier um kein Museum handle. Wer über einen Gegenstand mehr erfahren möchte, dem erzählt er gerne, woher dieses Objekt stammt, wozu es einst verwendet wurde und warum es sich in seiner Sammlung befindet. Jedes Stück hat seine eigene Geschichte.

Da steht eine ganze Kompanie von Wachsheiligen, jede Figur unter dem einst üblichen Glaststurz. Daneben hängen Hinterglasbilder, bemalte Schießscheiben, Urkunden, Votivbü-der.t Ein großer, ungemein ausdrucksstarker Gekreuzigter. Auch einige Weihnachtskrippen. In einem weiteren Raum befinden sich alte Werkzeuge, Grammophone, Musikinstrumente und originelle Küchengeräte. Eine bäuerliche Schlafstube ist so eingerichtet, als ob sie noch bewohnt wäre: der Nachttopf ist ebenso vorhanden wie die Pfeife des Knechts und das Nachtgewand der Magd.

Es gibt auch Gelegenheiten zum Schmunzeln, etwa beim Anblick eines Vogelkäfigs in Form der Maria-zeller Basilika oder beim Gebetbuch „Zur Bewahrung der Unschuld“.

Eine besondere Rarität ist, der Laufkäfig für Eichkätzchen. Dann wäre noch die Schultasche aus Holzrinde zu nennen, die Habergeiß in der Fensternische und die vielen Türbeschläge.

Der Stolz des Herrn Piaty ist aber seine Ybbstaler Bauernstube aus dem Jahre 1914, die er im letzten Augenblick vor der Vernichtung retten konnte. Da sitzt der Besucher im Halbdunkel um den großen Tisch, auf dem der Mostkrug und die Obstschüssel einen beherrschenden Platz einnehmen. Die winzigen Fenster lassen nur wenig Licht in den Räum. Ein Gefühl von Geborgenheit und Gemütlichkeit, das in unseren modernen Wohnzimmern so selten vorhanden ist, überträgt sich auf jeden Besucher. Man möchte dabeisein, wenn der Eigentümer in diesem Raum mit seiner Familie das Weihnachtsfest feiert — nach alter Sitte mit Kletzenbrot und heißem Tee.

Herr Piaty kann sich der ständig wachsenden Zahl der Besucher kaum erwehren, oft sind Besichtigungen nur gegen Voranmeldung möglich, denn Piaty hat neben seinem Hobby ja auch noch einen Beruf.

Bundeskanzler Ing. Figl war einst von dieser Sammlung so begeistert, daß er sich in das Gästebuch mit jener Füllfeder eintrug, mit der er auch den österreichischen Staatsvertrag unterzeichnet hatte. Viel Prominenz war in seiner Bauernstube bereits zu Gast Alle Besucher verlassen das Haus mit einem größeren Verständnis für die bäuerlichen Bewohner dieser Gegend, und das ist der schönste Dank für die Mühe des Besitzers, der kein Eintrittsgeld kassiert. Seine Sammlung ist wirklich kein Museum, denn es kann geschehen, daß in einer bemalten Bauernwiege gerade eines der Enkelkinder schläft, wenn überraschend Besucher kommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung