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Kunst, die mit Bulldozern niedergewalzt wurde…

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Erschütterung, Angst, Müdigkeit stehen ihm noch ins Gesicht geschrieben; die letzten Monate politischen Drucks, der Verfolgung durch den Geheimdienst der UdSSR hat er noch nicht überwunden. Aber immerhin spürt man die allmählich einsetzende Entspannung: Alexander Gleser, 41, bekannter russischer Kunstsammler, selbst Dichter, Freund Solschenizyns und der verfolgten Malergruppe der „Nonkonformisten“, ist mit seiner Gattin Maja und seinem Sohn ausgewiesen worden. Als „Kunstgepäck“ gab man ihm aus seiner umfangreichen Sammlung 80 Gemälde und eine Skulptur mit… Über Zürich kam Gleser nach Wien: Und spontan arrangierte nun das Künstlerhaus für eine Woche (bis Sonntag, 2.) eine Ausstellung der Sammlung Gleser unter dem Titel „Russischer Februar’? “. äiw

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Erschütterung, Angst, Müdigkeit stehen ihm noch ins Gesicht geschrieben; die letzten Monate politischen Drucks, der Verfolgung durch den Geheimdienst der UdSSR hat er noch nicht überwunden. Aber immerhin spürt man die allmählich einsetzende Entspannung: Alexander Gleser, 41, bekannter russischer Kunstsammler, selbst Dichter, Freund Solschenizyns und der verfolgten Malergruppe der „Nonkonformisten“, ist mit seiner Gattin Maja und seinem Sohn ausgewiesen worden. Als „Kunstgepäck“ gab man ihm aus seiner umfangreichen Sammlung 80 Gemälde und eine Skulptur mit… Über Zürich kam Gleser nach Wien: Und spontan arrangierte nun das Künstlerhaus für eine Woche (bis Sonntag, 2.) eine Ausstellung der Sammlung Gleser unter dem Titel „Russischer Februar’? “. äiw

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Schwierigkeiten und immer wieder Schwierigkeiten hat Gleser wegen der modernen Kunst gehabt: Inhaftierungen, Verfolgung, eine Kette von Repressalien.., Der

Grund scheint uns fast unverständlich: „1967 organisierte ich im Klub ,Druschba’ auf der Enthusiasten- Ghaussee in Moskau erstmals eine Ausstellung von zwölf nonkonformistischen Künstlern: Sie wurde nach zwei Stunden von Beamten des Moskauer Parteikomitees und Organen des Staatssicherheitsdienstes geschlossen“, berichtet Gleser. „Meine Antwort auf diesen Willkürakt war, daß ich begann, Bilder zeitgenössischer freier russischer Künstler zu sammeln; meine Dreizimmerwohnung verwandelte sich in ein höchst originelles Museum.“

Doch Gleser gab nicht auf, für seine abstrakt, surreal oder expressionistisch malenden Freunde einzutreten, also für jene „Nonkonformisten“, die nicht bereit sind, sich dem Zwang einer diktierten Staatskunst des sozialistischen Realismus unterzuordnen. Noch 1967 veranstaltete Gleser in Tiflis eine Schau seiner gesammelten Gemälde, die aber ebenso wie alle folgenden von den Behörden gesperrt wurde: 1969 eine nach 45 Minuten, eine weitere 1971 nach 15 Minuten. Eine Moskauer Zeitung veröffentlichte unter dem Titel „Ein zwielichtiger Mensch“ eine Glosse über Gleser, in der sie ihn „der antisowjetischen Propaganda, der Vielweiberei und Prinzipienlosigkeit“ bezichtigte. Daraufhin wurden seine Gedichte und Übersetzungen, vor allem georgi scher Literatur, boykottiert; seine Frau, die als Kritiker, Redakteur und Übersetzer tätig war, wurde entlasse!, weil sie sich weigerte, sich von Gleser zu trennen.

Höhepunkt dieser Entwicklung: Militär mit Bulldozern und Sprengwagen walzte die letzte Ausstellung im September 1974 im Moskauer Bjelajewo-Bezirk am Stadtrand von Moskau nieder: „Bilder wurden zermalmt, drei auf einem Scheiterhaufen verbrannt, fünf Künstler verhaftet …“ Gleser wurde vom KGB verhört, verwarnt: „Man beschuldigte mich’ der Organisation provokatorischer Ausstellungen von Gemälden, der Weitergabe verleumderischer Informationen an westliche Korrespondenten, die es diesen ermöglichten, die Sowjetunion zu verleumden, sowie der Störung der öffentlichen Ordnung… Ich antwortete darauf mit einer Pressekonferenz, auf der ich ausländischen Korrespondenten von den Erpressungen und Drohungen seitens der Organe der KGB berichtete. Daraufhin fand bei mir eine Hausdurchsuchung statt: es wurden Bücher, Material über die Moskauer September-Ausstellung und meine als antisowjetisch qualifizierten Gedichte beschlagnahmt.“

Als Gleser sich im Herbst 1974 dennoch nicht abhalten ließ, für Februar 1975 eine weitere Ausstellung seiner Moskauer und Leningrader Malerfreunde zu organisieren, legte ihm der KGB nahe, schleunigst das Land zu verlassen oder mit Verhaftung und einem Prozeß wegen antisowjetischer Propaganda zu rechnen: „Als idh im Dezember meine Dokumente zur Ausreise noch nicht eingereicht hatte, wurde ich in Leningrad verhaftet und saß zehn Tage im Gefängnis. Nachdem ich die Erlaubnis erhalten hatte, achtzig Gemälde auszuführen, gab man mir sofort die Ausreisepapiere.“

Von Wien aus wird Gleser nach London und New York Weiterreisen. Auch dort wird er Ausstellungen der russischen Moderne arrangieren, vielleicht sogar ein Museum der Nonkonformisten einrichten. Fragt man ihn, ob ihm dafür finanzielle Unterstützung zugesichert wurde, meint er optimistisch: „Ich glaube, in Europa und den USA gibt es genug Menschen, die fühlen, daß diese Kunst und die Situation der russischen Künstler alle angeht, die für die Freiheit kämpfen!“

Die Ausstellung im Künstlerhaus zeigt nun sehr deutlich, daß Rußlands offiziell nicht akzeptierte Künstler sehr wohl aus der russischen und europäischen Tradition herkommen: Kokoschka könnte etwa die soliden expressionistischen Porträts des Moskauers Anatol Zweref inspiriert haben („Gleser im Gefängnis“), Gromaire die Bilder Wartagavas, derb-phantastische Bauernheldenfiguren; französische und amerikanische Materialbilder der fünfziger Jahre könnten das Vorbild für Jewgenij RuChins abstrakte Kompositionen mit Maltuben, Bastresten und pastosen Farbklumpen sein, amerikanische Popbilder für Eduard Zelenins russische Stadtszenen, Otto Dix’ Gemälde der dreißiger Jahre für Wjecheslav Kalinins Porträtbilder und kritische Stadtszenen. Freilich zeigt sich auch, wie sehr diesen Künstlern Information und dialektische Auseinandersetzung mit der Kunst Europas und Amerikas fehlen: der Weg heraus aus der Isolation durch politische Zwänge und Maßregelungen, die Auseinandersetzung mit neuen Problemen, neuen Formen, neuem Materialdenken in Europa, dessen Kunstszene schließlich schon einmal, und zwar von der russischen Kunst der Avantgarde der zwanziger Jahre, wesentliche Impulse bekommen hat.

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