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Kunst ohne Ästhetik — Ästhetik ohne Kunst

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Es gibt eine kurze Schrift von Baudelaire, die im Schatten seiner berühmteren Abhandlung über die Tätigkeit der künstlich angeregten Imagination steht. In dieser Schrift resümiert er seine Beobachtungen zum Spiel des Kindes, in dem er die reinste Form von Imagination verwirklicht sieht, und zugleich den ersten Versuch des Kindes erkennt, sich in der Kunst zu realisieren. Was jedoch den Aufsatz für uns besonders wichtig macht, ist die Vorwegnahme der Ideologie der Absurdität. Sie steht hier im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn und dem Inhalt des Spielzeuges und wird als eine metaphysische deklariert. Denn das Forschen nach dem Beweggrund, der Seele des Spielzeuges, endet mit Enttäuschung und Trauer. Die Neugier des Kindes, das in das Innere des Gegenstandes seiner Unterhaltung blicken möchte, zerstört zugleich mit dem Gegenstand auch dessen Sinn. Die Seele ist unauffindbar, und das erkennende Forschen wird an die Oberfläche verwiesen, auf die scheinbare Sinnlosigkeit des Spieles, das ohne erkennbaren Zweck Selbstfindung auslöst.

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Es gibt eine kurze Schrift von Baudelaire, die im Schatten seiner berühmteren Abhandlung über die Tätigkeit der künstlich angeregten Imagination steht. In dieser Schrift resümiert er seine Beobachtungen zum Spiel des Kindes, in dem er die reinste Form von Imagination verwirklicht sieht, und zugleich den ersten Versuch des Kindes erkennt, sich in der Kunst zu realisieren. Was jedoch den Aufsatz für uns besonders wichtig macht, ist die Vorwegnahme der Ideologie der Absurdität. Sie steht hier im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn und dem Inhalt des Spielzeuges und wird als eine metaphysische deklariert. Denn das Forschen nach dem Beweggrund, der Seele des Spielzeuges, endet mit Enttäuschung und Trauer. Die Neugier des Kindes, das in das Innere des Gegenstandes seiner Unterhaltung blicken möchte, zerstört zugleich mit dem Gegenstand auch dessen Sinn. Die Seele ist unauffindbar, und das erkennende Forschen wird an die Oberfläche verwiesen, auf die scheinbare Sinnlosigkeit des Spieles, das ohne erkennbaren Zweck Selbstfindung auslöst.

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Damit wird sogleich die Haltung des Formalisten umschrieben, der im Dandy ein hohes Maß, die strengste Skala an Selbstkontrolle erreicht. Seine nachlässig verspielte Leichtigkeit, das Artefizielle ist Selbstschutz der aristokratisch unabhängigen Existenz vor jeglichem Kollektivismus. Und der Schock, den der Dandy immer wieder auszulösen sucht, soll ihn von dem Einverständnis, vor der Übereinkunft mit der Menge schützen. In diesem Sinne hat Kunst seit Baudelaire weder mit Moral noch mit Wahrheit, sondern einzig mit sich selbšt zu tun. Und selbst bei Gütersloh und Doderer findet sich ein starker Nachhall des Schockerlebnisses, aus dem heraus Schreiben zur Evokation zugespitzt wird. Nicht zufällig verschanzt Doderer sich hinter einer romantischen Sprache, die den Durchblick auf die kühlere lateinische Grammatik noch zuläßt. Und dabei fährt das fahle Feuer des reflektierten Schocks in die entsprechende Sprachgestalt, wird Mittel der Mitteilung und Mitgeteiltes in einem: „Ecrire, c’est la rėvėlation de la grammaire par un Souvenir en choc.“ Zugleich ist in diesem Satz ein gegensätzlicher Vorgang verborgen und vermittelt, sprachlich ver-mittelt: Enthüllung und Er-innerung sind dialektisch aufeinander bezogen und liefern so den Durchstich zur Oberfläche, zur jeweiligen Erscheinungsform der Dinge, die nur als Erinnerte in Sprache zu fassen sind. „Die Tiefe ist außen“ (diesen Zentralbegriff seiner Ästhetik hat Doderer irrtümlich Gütersloh zugeschrieben; fast wörtlich findet er sich jedoch schon bei Franz Blei) dieses: „die Tiefe ist außen“, also ist die Schlußformel für eine Kunst, die im Spiel der Verkleidungen, in der "Veräußerung des Inneren und der Verinnerlichung des Äußeren, kurz: im dynamischen Pulsieren der Begriffe und schließlich in der pointilistischen Assoziation, in der streng geordneten Zufälligkeit, die eigene Freiheit zu erweisen und zu erhalten sucht.

Freiheit und Spiel, Freiheit im Spiel, an dieser Verbindung zweier Begriffe ist die Enttäuschung der Epoche abzulesen, die auf die Französische Revolution folgt. Durch den Verlauf der Revolution skeptisch geworden, gibt diese Generation verschiedene Antworten auf das Freiheitsproblem, dessen Misere in politischer Hinsicht nur allzu offenkundig geworden war. Sowohl der deutsche Idealismus als auch die deutschen Romantiker haben charakteristische Einstellungen zu dem Problem gefunden, doch werden diese auch von den politisch-ökonomischen Verhältnissen des damaligen Deutschlands mitbestimmt. Besondere Kennzeichen sind kurz zusammengefaßt: Irrealität, die Abneigung, sich mit Dingen der unmittelbaren Wirklichkeit auseinanderzusetzen, utopisches Denken, die Verlagerung von Problemlösungen in eine unerreichbar ferne Zukunft, übersteigerter Individualismus oder gar Subjektivismus sowie der Versuch,, sich zugleich von sich und den eigenen Problemen zu distanzieren.

Das allerdings kommt extremster Spielhaltung gleich. Einer Spielhaltung, die — wie das Beispiel Baude- laires gezeigt hat — mit den äußeren Erscheinungsformen der Wirklichkeit spielt, und nicht nach den Hintergründen fragt. Eine solche Frage nämlich würde die Gesetzlichkeit des Spieles stören und seine Autonomie gefährden. Freilich erhebt sich noch die Frage, ob nicht gerade durch die Zurückhaltung gegenüber dem Engagement die Freiheit und Selbständigkeit von Kunst noch mehr bedroht wird, als durch freiwillig übernommene Bindung. Denn unkontrollierbar sickern Ideologien und Manifestationen in den Leerraum des nur immer wieder sich selbst produzierenden und reproduzierenden Spiels und unterwerfen es neuen Reglementierungen. Hierher gehört zum Beispiel das Schlagwort von der Antikunst, deren dandyhafte Spielhaltung darin besteht, eben auf das Spiel zu verzichten. Und genau hier wird die Überanstrengung eines Begriffes, besser: eines Modells sichtbar, das unter dem Eindruck und mit Einsicht in die Problematik der Entwicklung der bürgerlichen Revolution in Frankreich entworfen worden war. Doch war die ursprünglich von Schiller vorgetragene Konzeption noch durchaus tragfähig, weil sein Freiheitsbegriff und mithin der von ihm geformte Spielcharakter von Kunst wesentlich mit seiner Morallehre gekoppelt war. Erst die Auflösung dieses Zusammenhanges und die Verabsolutierung des Spiels zum Moment der Freiheit von Kunst haben die Eigenrotation des Begriffes in Gang gesetzt und nicht unwesentlich zur Abwertung der ästhetischen Aktivität gegenüber der wissenschaftlichen beigetragen.

Einerseits verfestigen Schillers späte ästhetische Schriften die Autonomie von Kunst, anderseits versucht er, eine Brücke zwischen dem Denker und der sinnlichen Wahrnehmung zu schlagen, indem er erklärt, daß durch Schönheit „der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet“ und „der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben“ werde. Dialektisch verschränkt er auch Schönheit und Spiel, indem er zugleich die Grenzen und Beschränkungen setzt, um zu verhindern, daß sich das Spiel selbständig macht. Mit einer bereits Hegelsche Begriffsschärfe vorwegnehmenden Präzision heißt es da: Der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen. Denn sie führt einen ästhetischen Zustand freier Stimmung herbei und erfüllt die Aufgabe ästhetischer Erziehung, „das Ganze unserer sinnlichen und geistigen Kräfte in möglichster Harmonie auszubilden“.

Gegen diese Versöhnung durch das Ästhetische wendet sich später Hegel und erklärt, daß Kunst „weder dem

Inhalt noch der Form nach die höchste und absolute Weise sei, dem Geist seine wahrhaften Interessen zum Bewußtsein zu bringen.“ Dies kann nach Hegels Darstellung einzig die Philosophie, die Kunst gehört hingegen der Vergangenheit an, einer abgelebten Periode, für welche sie die angemessene Methode gewesen war, das absolute zu erkennen. Dementsprechend hat die Kunst auch keine weitere Entwicklung zu erwarten, sie liegt fest, ist abgeschlossen, zur höchsten Vollendung gebracht, Schönheit kann nicht schöner wer-

den. Sie kann nur nachdrücklicher auf ihre innerste Bestimmung hinweisen, ihre eigentliche Natur freigeben. Und diese eigentliche Natur ist für Hegel die Idee. Bestimmt er doch das Schöne als das „sinnliche Scheinen der Idee“. Unmöglich kann von solchem Denkansatz her die Kunst als ein Mittel angesehen werden, das die Kluft, den Widerspruch zwischen innerer Freiheit und äußerer Notwendigkeit schließt. Dies zu leisten ist Aufgabe der Religion und Kunst und nicht die des freien, flüchtigen Spiels.

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