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Kunstsinn & Handelsfleiß

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Auch noch Oskar Schlemmers sehenswerte Wandgestaltung aus Kupfer- und Messingdraht, 1930/ 31 für das Haus Rabe in Zwenkau bei Leipzig entstanden, zeigt jene Verbindimg zwischen wirtschaftlicher Prosperität und Kunstsinnigkeit auf, die der Ausstellung „Merkur & die Musen“ im Wiener Künstlerhaus ihren Namen gab.

Als flügelbewehrter Genius loci schwebte Merkur bereits 1497 über der Stadt Leipzig, als Kaiser Maximilian sie mit dem Recht zur Abhaltung einer „Reichsmesse“ ausstattete. Am Kreuzweg wichtiger Verkehrsadern zwischen dem Rheinland und Rußland, zwischen Mittelmeer und Ostsee entstand in ihr schon früh der ideale Nährboden für die Pflege von Kunst und Wissenschaft. Die für den Handel notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten, eine weltoffene Umtriebigkeit und bürgerliches Selbstbewußtsein - im Gegensatz zum höfischen Prunk deutscher Residenzstädte -haben im Lauf der Jahrhunderte zum Ruf der Messestadt auch als Buch- und Musikstadt beigetragen. Im Aufstreben universitären Lebens (seit 1370), im Errichten prunkvoller Paläste und Gärten (vor allem im 18./19. Jahrhundert) und im Sammeln hervorragender Kunstwerke hat sich durch Handel, Geldgeschäfte und Manufakturen erworbener Reichtum niedergeschlagen.

Für diese bis 18. Februar kommenden Jahres zu sehende Ausstellung haben rund vierzig Museen, Archive und Bibliotheken etwa 1.400 ausgewählte Werke und Dokumente nach Wien geschickt, wie sie vergleichbar noch nie außerhalb der DDR zu sehen waren. Sie ist in einen kulturhistorischen und einen künstlerischen Teil gegliedert und fesselt durch die Vielfalt wie die Rarität der Exponate.

Johann Sebastian Bachs Auto-graph der Kantate „Also hat Gott die Welt geliebt“ in fester Schrift und das Verzeichnis seines Nachlasses (drei Tabatieren sind darin erwähnt) berühren ebenso wie das Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Zimmer mit Originalmöbeln und -gegenständen. (Er richtete 1843 in Leipzig das erste „Konservatorium“ als Ausbildungsstätte für junge Musiker ein.) Richard Wagners „Ring“ war 1883 - erstmals außerhalb von Bayreuth - in seiner Vaterstadt zu sehen, Gustav Mahler schrieb als Leipziger Theaterdirigent seine erste Sinfonie, die Uraufführung von Emst Kreneks Oper „Johnny spielt auf“ fand 1927 in Leipzig statt. Für Musikfreunde eine wertvolle Dokumentation.

Der Buchstadt zollen nicht nur der Codex Sinaiticus aus dem vierten Jahrhundert, mittelalterliche Handschriften und eine der zwölf erhaltenen Gutenberg-Bibeln Tribut. Von Goethe-Handschriften und -Zeichnungen, ersten deutschen Ubersetzungen von Jean Jacques Rousseau und Montesquieu bis zum im Bild festgehaltenen Setzer- und Maschinensaal der Firma Brockhaus aus dem Jahr 1872, den orangegelben Reclam-Textbüchern und der in Leipzig im Verlag E. A. Seemann verlegten Zeitschrift „Ver Sacrum“ wird der Ausstellungsbesucher Zeuge regen geistigen Lebens einer Stadt.

Nach dem Ende von Napoleons bedrückender Fremdherrschaft (in der Völkerschlacht von 1813) wird die Stadt auch zur Hochburg freiheitlichen Geistes, trotz Metternichscher Zensurmaßnahmen, das Verlags- und Pressewesen nahm einen Aufschwung.

Mit der Eröffnung der ersten deutschen Ferneisenbahn zwischen Leipzig und Dresden blühten Handel und frühe Industrialisierung neu auf, daneben entstand eine früh erstarkende Arbeiterbewegung.

Für den zweiten Ausstellungsteil stellten Antikenmuseum und Ägyptisches Museum wertvolle Stücke zur Verfügung, einen eigenen Raum nehmen bemerkenswerte Objekte aus dem Völkerkunde-Museum ein, das zu den ältesten und wissenschaftlich bedeutendsten in Europa zählt.

Hohes kunsthandwerkliches Können belegen Porzellankrüge und -schalen aus Meißen und Hanau, Deckelhumpen und Prunkpokale des Barock und Rokoko.

Lukas Cranachs d. Ä. Federzeichnungen („David und Bathseba“), Studienblätter von Gianlorenzo Bernini („Daniel“) und Salvatore Rosa („Auferweckung des Lazarus“) atmen meisterliche Leichtigkeit. Mit seinem Luther-Bildnis, „Adam“ und „Eva“ und dem allen Fährnissen christlicher Höllendrohung ausgesetzten „Sterbenden“ setzt Cranach einen Schwerpunkt des malerischen Werkes der Schau.

Akzente anderer Art markieren Caspar David Friedrichs „Lebensstufen“ voll berührender Melancholie, sein „Friedhof im Schnee“ oder Arnold Böcklins vielfach reproduzierte „Toteninsel“ im Original Max Klinger, Edvard Münch, frühe Werke des Impressionismus beeindrucken. Wilhelm Leibi hält in seiner „Spinnerin“ die geduldige Mühe zweier Frauen in scheinbarer bürgerlicher Idylle fest, Max Liebermann bleibt in den „Konservenmacherinnen“ mit unruhigem Pinselstrich und herber Expressivität aufkeimender Empörung auf der Spur.

P. S.: Daß an den Objekten aus der Antike in der Beschriftung nicht wie gewohnt „v. Chr.“ sondern „v. u. Z.“ - „vor unserer Zeitrechnung“ - zu lesen ist, sollte unsere Freude am Zustandekommen der Ausstellung nicht trüben.

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