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Kunststoffe werden umweltfreundlich sein

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Wie macht das die Natur? Gibt es funktionelle und materielle Analo- gien im Pflanzen- und Tierreich, die wir uns zunutze machen kön- nen ohne der Natur zu schaden? Welche Verfahren, Stoffe und Zubereitungen sind mit dem Wesen des Menschen vereinbar?

„Sanft" bedeutet doch, daß et- was langsam von innen heraus ent- steht, daß es behutsam und „orga- nisch" wächst - wie eine Pflanze zum Beispiel. In der Pflanze liegt deshalb das Urbild der „Sanften Technologie" • Die notwendige Pro- duktions-Energie liefert die Sonne frei Haus. Wasser, Kohlensäure und Mineralien bilden in den Gewäch- sen eine bisher noch unerforschte Vielfalt von Stoffen mit großer Komplexität auf hohem stofflichen Niveau.

Die stoffliche und energetische Ökobilanz einer Pflanze ist leicht überschaubar, ihre Wichtigkeit als „live-supporting-factor" gewinnt angesichts der rasant voran- schreitenden globalen Klima- katastrophe immer größere Bedeu- tung.

Pflanzenfarben zum Beispiel sind „typische Kulturprodukte". Kultur heißt Pflegen, Veredeln, Fördern, Entwickeln und Reifenlassen. Die Eigenkräfte der Dinge können hier Gestalt annehmen.

Sanfte Chemiker verwenden Rohstoffe, „deren Herkunft wir kennen und bei deren Entstehung wir anwesend sein können". Die in der Umweltdiskussion oft ge- brauchten Begriffe „autark, de- zentral und energiesparend" sind in der Pflanzenproduktion dann einsichtig nachvollziehbar, wenn Anbau, Gewinnung und Vermark- tung den bekannten ökologischen Kriterien genügen. Alternative Farbenhersteller nehmen für sich in Anspruch, ihre Produktion wei- testgehend aus natürlichen und deshalb in aller Regel aus körper- freundlichen, nachwachsenden Rohstoffen zu fertigen.

„Sanft" heißt diese Chemie auch deshalb, weil es nur wenige (zu- meist kompostierbare) Abfälle gibt, die keine Hypothek für die Zukunft darstellen. Die Zielvorstellung vom geschlossenen Kreislauf wird hier in nahezu idealer Weise verwirk- licht.

Im Lauf der Evolution schuf die Biosphäre Millionen von Ökosyste- men und mehrere 100 Millionen Tier- und Pflanzenarten. Der Mensch begann vor rund 150 Jah- ren industriell zu wirtschaften. Mit Hilfe der modernen Chemie schaff- te er es in wenigen Jahrzehnten, sich selbst und die Natur an den Rand des Ruins zu treiben.Nur was nachwächst, ist wirklich kalkulier- bar. Von den Leistungen der Photo- synthese macht man sich kaum die richtigen Vorstellungen:

Es ist keineswegs der Mangel an Biomasse oder an realisierbaren Ideen, der das organische Wachs- tum der Sanften Chemie heute noch unterdrückt (zum Beispiel gibt es bereits abbaubare Kunststoffe auf Stärkebasis statt PVC für viele An- wendungen, ungiftige Farben, Lacke und Holzschutzmittel aus pflanzlichen und mineralischen Rohstoffen für den Wohnbereich statt „ausgasender Wunderkinder aus der Retorte", für Menschen und Säugetiere ungefährliche Extrakte aus den Samen des Niem-Baumes als sanfte und dennoch wirksame Pflanzenschutzmittel statt „chemi- scher Keulen" und vieles andere mehr) - den meisten Politikern mangelt es neben der nötigen Über- sicht am Willen zur sanften Wende.

Unbegreiflich ist auch, daß sich Manager und Unternehmer noch immer unfähig zeigen zu echter umweltverträglicher Innovation. Gefragt sind nicht irgendwelche „Bio"-PR-Gags oder flotte Werbe- sprüche (zum Beispiel „Österrei- cher Mit Verantwortung"), sondern ökologisches Produktmanagement in der harten betrieblichen Praxis (zum Beispiel „Römerquelle").

Selbstverständlich müssen alle „ökologischen Umbauten" für kri- tische Geister und initiative Bür- ger/innen transparent, über- schaubar und nachvollziehbar sein. „Unternehmen, die heute nicht mit sich reden lassen, werden morgen nichts mehr zu sagen haben", die- ser kluge Satz eines Managers wird sich im letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende wohl noch häu- fig bewahrheiten.

Wer sich für Sanfte Chemie stark macht, wird sich auch unerbittlich für mehr Demokratie einsetzen. Wer sich aus dem Bann der herrschen- den Meinung löst, kann und will nicht mehr an die angeblich unent- rinnbaren Sachzwänge glauben, die zur monströsen Ausdehnung der großen Chemie-Apparate in Wirt- schaft, Staat und Gesellschaft ge- führt haben.

Hanswerner Mackwitz ist Wissenschaftspu- blizist (u.a. Autor des Buches „Zeitbombe Che- mie") und wissenschaftlicher Berater des Grü- nen Klubs im Nationalrat.

Am Beginn des dritten Jahrtau- sends wird der Kohlenstoff als das entscheidende Element zur Bildung von „organischen" Werkstoffen, das sich in Pflanzen und Tieren zu groß- artigen Polymerstrukturen fügt, zur Bildung von „organischen" Werk- stoffen neu erkannt sein. Holz, Bambus und Schafwolle werden wieder als Meisterwerke der Natur bestaunt.

Die Kunststofftechnik wird die Polemik des ausklingenden Jahr- tausends überstanden haben. Auch die Gegner werden ihr das weitge- hend erfolgreiche Bemühen zubil- ligen, die Lebensdauer organischer Werkstoffe mit Hilfe der chemi- schen Möglichkeiten des Kohlen- stoffs zu erhöhen. Sie werden den Vorteilen der „künstlich" herge- stellten, vielfältigen Werkstoffe mit geringer Dichte, guter mechani- scher Belastbarkeit, ausgezeichne- ter Beständigkeit und leichter Ver- arbeitbarkeit die Nachteile gerin- ger Wärmebeständigkeit, der Brennbarkeit und mancher Schad- stoffkonzentrationen nüch- tern gegenüberstellen.

Heute lehnen manche den Ein- griff in die Molekularstruktur als unnatürlich ab. So kritisch sie aber gegenüber dem „Plastik" und einer „Plastikkultur" sind, so unkritisch übernehmen sie oft pseudo-sachli- che Argumente.

Demgegenüber bemühen sich manche Kunststofftechniker im Gegenzug um eine „Versachli- chimg" der Diskussion. Sie überse- hen aber, daß die Kritik ja gar nicht auf die Sache zielt, sondern auf die Ungewißheiten der vielen che- misch-technischen Eingriffe. Statt aber Unsicherheiten zuzugeben, berufen sie sich auf die „Sachzwän- ge" des „technischen Fortschritts". So empfindlich sie gegenüber Kri- tik sind, so unempfindlich mißach- ten sie ihre engen methodischen Grenzen.

Seit Jahrtausenden haben die Menschen gelernt, organische, mineralische und metallische Roh- stoffe durch chemische Verände- rung zu veredeln (!). Werden es einige konfliktfähige Ingenieure erst an der Schwelle des Jahres 2000 wieder wagen, auch bei den „Kunst"-Stof f en von einer Verede- lung des Kohlenstoffes zu sprechen?

Im Jahre 1990 ist dieser Spruch aus drei Gründen sehr unpopulär. Erstens treten alle Werkstoffe - auch Kunststoffe - in derartigen Massen auf, daß sie den Menschen eine Fülle von ungelösten Entsor- gungsproblemen bescheren. Zwei- tens laufen die technischen Prozes- se und die durch sie bedingten Umweltveränderungen viel zu rasch ab. Der „Zeitfaktor ist das Schlüs- selproblem der Überlebenskrise unserer Zivilisation" (Hanswerner Mackwitz). Drittens haben viele Techniker durch Überheblichkeit und Einseitigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren. Heute wer- den nahezu alle Kunststoffe aus Erdöl und Erdgas gewonnen, aber nur etwa fünf Prozent dieser nicht erneuerbaren Rohstoffe zu Kunst- stoffen veredelt. Der Rest wird als Benzin oder Heizöl zum „Plünde- rungstarif" (Heinrich Wohlmeyer) gewissenlos verbrannt. Da schon jetzt ein Großteil der Kunststoffe überwiegend rückstandsfrei ver- brennbar ist, wäre es sinnvoll, Erdöl vor der Verbrennung als Werk- (Kunst-)stoff besser zu nützen.

Endlich zeichnet sich das Kreis- laufdenken auch in der Kunststoff- technik ab. Nach dem Vorbild der Natur wird künftig der nachwach- sende pflanzliche Kohlenstoff aus Sonneneinstrahlung gewonnen, verwendet und durch Stoffrecyc- ling sowie sorgfältige Verbren- nung mit Wärmenutzung wieder verwertet werden.

Die Ingenieure werden unter dem Druck der Erfahrung die von ihnen aufgestellten Naturgesetze schließ- lich auch dort ernst nehmen, wo sie sich aus technokratischen Grün- den noch dagegen wehren. Sie werden lokal angepaßte Sonnen- energie und nachwachsende Roh- stoffe akzeptieren müssen.

Die Kunstsstoff techniker werden die Vorschläge zur „Sanften Che- mie" (Mackwitz) und zur „Ange- paßten Technologie" (Pierre For- nallaz), die bekannten Hinweise zahlreicher Wissenschaftler auf Kohlenhydrate, Pflanzenöle, Lig- nin, Chitin, Cellulose und Stärke als erneuerbare Rohstoffquellen für technische Werkstoffe nach hefti- gen Auseinandersetzungen aufgrei- fen.

Das Schlagwort von den „Werk- stoffen nach Maß" wird sich in Zukunft nicht nur auf die Eigen- schaften, sondern auch auf die Entsorgbarkeit der Kunststoffe beziehen. „Entsorgung" ist hier allgemein als Umkehrung des Vor- ganges der „Versorgung" zu ver- stehen. Sie umfaßt Abfallvermei- dung, -Verminderung, -Verwertung, -aufbereitung und -beseitigung. Konstruktion und qualitätsgesi- cherte Kunststoffverarbeitung werden von Anfang an Abfälle verringern. Das seit Jahrzehnten bewährte innerbetriebliche Recyc- ling sortenreiner und sauberer Kunststoffabfälle wird durch ent- sprechende Sammelsysteme auch auf überbetriebliche Bereiche aus- gedehnt werden.

Schon bei der Herstellung wird auf Schadstoffe weitgehend ver- zichtet werden können. Bei langle- bigen Gütern - Rohre, Dachfolien, Fensterprofile - kommen die be- kannten Beständigkeitseigenschaf- ten der Kunststoffe voll zum Tra- gen. Für kurzlebige Anwendungen - vor allem in der Verpackung - wird es Kunststoffe geben, die in entsprechender bakterieller Umge- bung (Kompostierung) biologisch schadlos abgebaut werden können.

Die künftigen Kunststoffinge- nieure werden sich ihrer Verant- wortung bewußt sein. Sie werden * vom Künstlichen der rücksichtslo- sen Vergewaltigung der Natur zum Künstlerischen der einfühlsamen Mitwirkung an der Schöpfung fin- den.

Viele haben sich schon heute ih- rem Glauben neu zugewendet. Sie lassen sich den Aus-weg zeigen von dem, der sich immer schon als der Weg, dieWahrheit und das Leben verstand. Das wird eine völlige Umstellung ihres Verhaltens bewir- ken: nicht mehr Analyse und mehr Aktion, sondern mehr Stille und innere Ruhe. Sie werden erkennen, daß „der Fortschritt des Menschen erst einmal innere Wandlung und nicht das pragmatische Umsetzen irgendwelcher neuer Ideen bedeu- tet" (N. Rössner). Aus dieser Hal- tung werden sie mit ihren Sach- kenntnissen die Welt mitgestalten. Sie werden sich zu ihrer Verant- wortung vor dem Schöpfer beken- nen, ohne die es letztlich keine Verantwortung für die Schöpfung gibt.

Der Autor ist Vorstand der TGM-Kunststoff- technik in Wien.

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