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Kunstszene wird lebendiger

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Inzucht und In-der-eigenen-Suppe-Kochen — das bestimmt eigentlich jahrein, jahraus die Wiener Kunstszene. Wie auch das Wiener Publikum in Galerien und auf Kunstauktionen viel lieber Markteigenes, Wienerisches kauft, als sich auf ihm wenig Bekanntes, auf Arbeiten ausländischer Künstler einzulassen. Es hat jahrelange Bemühungen gebraucht, um heute hier wenigstens ein paar internationale Künstler absetzen zu können. Erst jetzt, nach der halbwegs aufgefangenen Wirtschaftsrezession, bahnt sich allmählich eine Wendung an: Die Wiener Kunstszene wirkt lebendiger, reagiert „gesund“. So wie Galerien in anderen Großstädten reagieren würden ...

Dazu gehören natürlich auch Pleiten, ständige Umschichtungen in Kapital- und Eigentumsverhältnissen, internationale Verbindungen. George McGuires Galerie „Ariadne“ (Wien-Köln-New York), die für viele junge Österreicher wie Wukounig, Sengl, Korab, aber auch für Stars wie Allen Jones in Wien vermittelnd arbeitete, hat zwar Bankrott gemacht. Mit 16 ungedeckten Millionen, wie man hört. Ein Garagenbesitzer soll jetzt rettend einspringen.

Auch die renommierte Galerie „Grünangergasse 12“ mußte schließen: Ihre besten Pferde, die verschworene Gemeinschaft Walter Pichler, Bruno Gironcoli, Arnulf Rainer und Attersee, haben sich getrennt. Pichler, durch Ausstellungsehren im New-Yorker Museum of Modern Art und seine bevorstehende Kasseler „documenta“-Personale enorm hochlizitiert, ist mit seinem Freund Gironcoli in eine neue Galerie übersiedelt: zu Schapira & Beck (Ballgasse 6). Grünangergassenchef Kalb ist mit dem früheren Aktioni-sten und mittlerweise als Zeichner reüssierten Günter Brus, mit Rühm, Diether Rot u. a. in die Prinz-Eugen-Straße übergewechselt. Und „Grünangergasse 12“ ist die neue Heimstatt einer deutschen Galeriechefin, Heike Curtze: Sie eröffnete ihr Unternehmen soeben mit einem der wichtigsten Vertreter des deutschen Polit-Realismus, Johannes Grützke.

Soviel Bewegung heißt aber: die anderen müssen nachziehen, Ungewöhnliches holen, ins Konkurrenzspiel einsteigen. „Ulysses“ (Hanuschgasse 3) zeigt eine bedeutende Lyo-nel-Feininger-Ausstellung (Zeichnungen und Aquarelle von erlesener Qualität) und in der Johannes-Gas-sen-Dependance Tapies, die „Stadtgalerie“ hat in der Führichgasse britische Pop-Plastik und -Graphik geholt. Gras in der Grünangergasse und Konstruktivismus-Experte Kle-wan in der Dorotheergasse zeigen Werke von Joseph Beuys, dem Ver 'treter der BRD auf der heurige] Biennale von Venedig. Die Impulse haben sich also offenbar gelohnt.

Im Detail: Pichler, 40, zählt seit Jahren zu den Stars der österreichischen Kunst. Seine Zeichnungen sind besonders gefragt. Zart getönte Blätter, Skizzenhaftes, in dem er Geräte-schaften seines Landhauses im Burgenland, eine archaisch-sakrale Umwelt, Architektonisches in enger Verknüpfung mit seiner Privatmythologie zeichnerisch zu analysieren versucht. Pichler ist durch und durch Plastiker. Schapira & Beck zeigte seine schön geformten schlanken Metallstelen, Giacometti nahestehende Arbeiten von starker formaler Geschlossenheit.

Aboslutes Muß für jeden Freund und Kritiker moderner Kunst: Beuys bei Gras und Klewan. Schrittmacher oder Scharlatan, fragen sich viele. Die Antwort ist komplex. Schockierende Aktionen des Düsseldorfer Ex-Professors, Superindividualisten und aggressiven Gesellschaftskritikers („Die Revolution sind wir“, „Jeder Mensch ist sein Künstler“) stehen neben bemerkenswerten Versuchen, Zusammenhänge zwischen Material, mystischen Formfragen, symbolischen Aktionen aufzudecken. Und Beuys selbst ist für mich eigentlich die letzte mögliche Verwirklichung des individualistischen Künstlertypus des 19. Jahrhunderts. Ein Phänomen moderner Kunst, in wichtigen Arbeiten mit hohen sechsstelligen Schillingpreisen bezahlt. Ein Fall, den jeder Kunstfreund studieren und überdenken sollte.

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