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Kurs-Hochstapelei

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Das Währungsgeschehen wird immer surrealer: Da verliert der Schilling tagtäglich an Wert, schrumpft uns buchstäblich in der Hand — und alle paar Monate wird hochoffiziell verkündet, der Schilling sei “wieder „größer“ geworden, sein Außenwert sei gestiegen. „So hart war der Schilling noch nie“, posaunen — von den steigenden Inflationsraten ungerührt — die regierungsfrommen Zeitungen aus. Wie gut, daß Druckerschwärze nicht erröten kann.

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Das Währungsgeschehen wird immer surrealer: Da verliert der Schilling tagtäglich an Wert, schrumpft uns buchstäblich in der Hand — und alle paar Monate wird hochoffiziell verkündet, der Schilling sei “wieder „größer“ geworden, sein Außenwert sei gestiegen. „So hart war der Schilling noch nie“, posaunen — von den steigenden Inflationsraten ungerührt — die regierungsfrommen Zeitungen aus. Wie gut, daß Druckerschwärze nicht erröten kann.

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Wie aber erklärt sich wirklich das paradoxe Phänomen der sinkenden Kaufkraft bei gleichzeitig steigendem Außenwert? An der vielgepriesenen „relativen Stabilität“ kann es nicht liegen, denn der Schilling — und ebenso die D-Mark — rangieren heute ziemlich weit vorn im Feld der Inflation, sie entwerten viel stärker als der Dollar. Wären die internen Kaufkraftverluste der unmittelbaren Vergangenheit entscheidend, Schilling und D-Mark müßten ab-, der Dollar hingegen aufgewertet werden.

Es ist eher so, daß der Kaufkraftvorsprung, der in den beiden vorhergegangenen Dezennien erworben wurde, nun sehr rasch abgebaut wird, da er der Inflationspolitik in Deutschland und in Österreich als Alibi für angebliche Stabilisierungs-bemühungen dienen muß. Sicher war die allzu zögernde und unzulängliche Anpassung der Paritäten an die veränderten Kaufkraftrelationen in den vergangenen Dekaden ein Fehler, begangen aus einer einseitigen, geradezu merkantilistischen Exportgesinnung. Aber die allzu schneidige Anpassung von heute schießt wieder weit übers Ziel.

Besonders im Falle Österreich war die letzte Wechselkurserhöhung reine Hochstapelei. Der Kaufkraftvorsprung ist — wenn wir von den künstlich niedrig gehaltenen Mieten und den subventionierten Grundnahrungsmitteln absehen — schon weitgehend abgebaut. Die stark passive Handelsbilanz und der heuer etwas brustschwaohe Devisenbringer Fremdenverkehr sind gleichfalls keine Indikatoren für eine Aufwertung. Es waren rein propagandistische und stabilitätspolitische Überlegungen, aus denen heraus der österreichischen Wirtschaft die neueste Roßkur verordnet wurde.

Es ist aber sehr die Frage, ob der Wechselkursgewinn etwa gegenüber der Lira den Italienurlaub wirklich fühlbar verbilligt, und ob derlei Show-Effekte ausreichen, um den Österreicher in der Illusion zu wiegen, der Schilling sei eine stabile Währung. Und wie wenig stabilitätswirksam Aufwertungen sind, haben wir schon zur Genüge erlebt: Die Inflation ist eben doch nur zum geringsten Teil importiert und das inländische Preisniveau bietet heute für den Importeur wenig Anlaß, seine Preise zu ermäßigen.

Aber auch für Deutschland ist die Aufwertung eine wirtschaftspolitisch dubiose Angelegenheit. Die Devisenschwemme bei der Bundesbank ist nur in bescheidenem Umfang Folge der Exportüberschüsse. In viel höherem Maß macht ihr der Zustrom spekulativer Gelder zu schaffen. Bei aller Achtung für einen freizügigen Zahlungsverkehr fragt es sich doch, wie lange es sich die Bundesrepublik noch leisten kann, sich das Gesetz des Handelns von der internationalen Spekulation vorschreiben und unter ihrem Druck den Kurs der D-Mark-Parität ständig hinauftreiben zu lassen, wodurch jeweils Milliarden vom deutschen Steuerzahler zu internationalen Spekulanten „umverteilt“ werden.

Es fragt sich, im Interesse welcher Gesellschaftspolitik eine solche Umverteilung liegt. Ist der deutschen Regierung der billige Ruhm, immer wieder aufwerten zu können, tatsächlich diese Milliarden wert?

Vor allem aber: Wie soll es weitergehen? Wie wenig wirtschafts-poiitisch motiviert die letzte Abwertung war, beweist die Tatsache, daß sie nicht einmal eine kurzfristige Zäsur in der Talfahrt des Dollars herbeiführen konnte. Obwohl heute weder die D-Mark und schon gar nicht der Schilling gegenüber dem Dollar noch als überbewertet gelten können, findet ihr unfreiwilliger Höhenflug auf den Devisenbörsen kein Ende. Überläßt man weiterhin der Spekulation die Initiative, so werden sich alle Volkswirtschaften, deren Währungen sie sich als Opfer erkoren hat, sehr bald aus der internationalen Konkurrenzfähigkeit herauskatapultiert sehen.

Dieses — vom nationalökonomischen Standpunkt aus — irrationale Geschehen ist eine Folge des Bankrotts des internationalen Währungssystems; obwohl dieses heute schon längst funktionsunfähig geworden ist, wird noch immer die Fiktion seiner Existenz beharrlich aufrechterhalten. Das System von Bretton Woods steht und fällt mit einer stabilen und international eher knappen Leitwährung. Seit der Dollar seinen Leitwährungsverpflichtungen nicht mehr nachkommt, ist das gesamte Währungssystem eine Leiche, die auch die Wiederbelebungsversuche durch die sogenannten Reformen nicht auf die Beine bringen können.

Die Schaffung eines neuen funktionsfähigen Währungssystems zeichnet sich nicht einmal noch auf dem Horizont ab. Wir müssen uns daher mit der Tatsache abfinden — so unangenehm sie auch sein mag —, daß wir ohne Währungssystem zu leben haben.

Die bisher übliche Mischung von Liberalismus und Dirigismus wird sich unter diesen Umständen nicht länger aufrechterhalten lassen. Entscheiden wir uns für den freien Kapitalverkehr, dann müssen wir auch die Wechselkursbildung freigeben — oder entscheiden wir uns für feste Wechselkurse, dann kann der freie Kapitalverkehr nicht aufrechterhalten bleiben. Beide Alternativen sind zugegebenermaßen saure Äpfel. Aber sie sind noch immer bekömmlicher als jenes fiktive System von heute, das feste Paritäten vortäuscht, obwohl die derzeit üblichen kurzfristigen Wechselkursänderungen schlimmer als freie Kursbildung sind.

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