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Labilität nach Maß

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Ein Alarmbericht aus dem Nahen Osten scheint den anderen, ein Hoffnungsstrählchen das andere zu jagen, aber, jedesmal pendelt sich die Nadel des politischen Barometers schnellstens wie gehabt wieder auf die Marke „Veränderlich” ein. Die Waffenruhe am Suezkanal, ein Waffenstillstand im Waffenstillstand nach dem Krieg im Kriege (der Junikrieg war ja kaum etwas anderes als eine Phase der Kampfhandlungen innerhalb eines bereits damals seit zwei Jahrzehnten bestehenden Kriegszustandes) lief ab, wurde verlängert und lief wieder ab, Ägyptens Präsident Sadat hielt einmal kriegerische und dann wieder beschwichtigende Reden und auch Israel gab sich einmal etwas kompromißbereiter, dann wieder intransigent.

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Ein Alarmbericht aus dem Nahen Osten scheint den anderen, ein Hoffnungsstrählchen das andere zu jagen, aber, jedesmal pendelt sich die Nadel des politischen Barometers schnellstens wie gehabt wieder auf die Marke „Veränderlich” ein. Die Waffenruhe am Suezkanal, ein Waffenstillstand im Waffenstillstand nach dem Krieg im Kriege (der Junikrieg war ja kaum etwas anderes als eine Phase der Kampfhandlungen innerhalb eines bereits damals seit zwei Jahrzehnten bestehenden Kriegszustandes) lief ab, wurde verlängert und lief wieder ab, Ägyptens Präsident Sadat hielt einmal kriegerische und dann wieder beschwichtigende Reden und auch Israel gab sich einmal etwas kompromißbereiter, dann wieder intransigent.

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Im Augenblick scheint keine Seite eine neue Phase der Kampfhandlungen zu wünschen, doch ob es unter den im Nahen Osten mitmischenden Mächten auch nur eine gibt, die tatsächlich den Frieden herbeisehnt, ist eine Frage, die glatt zu verneinen man sehr in Versuchung ist. Allenfalls die USA, aber auch sie nur dann, wenn der erreichte Friedenszustand nicht gleichbedeutend mit ihrer Ausschaltung als nahöstlicher Machtfaktor ist.

Die Sowjetunion liefert wieder einmal Waffen nach Kairo, diesmal die modernsten Düsenjäger, die Israels Mirages bisher gegenüberstamden, aber sie ist vorsichtig genug, sie wenigstens bis auf weiteres nicht aus der Hand zu geben.

Die Interessenlage der Sowjetunion im Nahen Osten ist am leichtesten zu analysieren. Sie kann nur daran interessiert sein, den Konflikt auf kleiner Flamme weiterzuschüren, aber jede direkte Konfrontation und damit eine neue Stunde der Wahrheit zu vermeiden.

Denn eine weitere ägyptische Niederlage würde für die Sowjetunion eine schwere außenpolitische Schlappe und eine neue Phase macht- politischer Labilität im Inneren bedeuten, während eine Situation, in der sich ein militärischer Sieg Ägyptens über Israel abzeichnet, die USA auf den Plan rufen müßte. Und wenn es etwas gibt, was die beiden Supermächte der Welt heute um jeden Preis zu vermeiden entschlossen sind, dann ist es das. Vermeidung jedes Schrittes, der zu einem militärischen Konflikt zwischen USA und Sowjetunion führen könnte, ist für beide Mächte längst zur Grundmaxime ihres Handelns geworden,

für die Sowjetunion dabei schon etwas länger als für die USA.

Nur eine haltbare Krise, auf die man sich langfristig verlassen kann, verschafft dem Kreml jenes Klima, in dem er seine Beschützerrolle im Nahen Osten ausbauen und seine Machtpositionen in diesem Teil der Welt verstärken kann.

Die Araber wiederum haben natürlich längst erkannt, daß eine Aussöhnung mit Israel eine einschneidende Abwertung ihrer weltpolitischen Bedeutung zur Folge hätte. Auch in einem befriedeten Nahen Osten könnte man zwischen sowjetischer und amerikanischer Patronanz wählen, aber das Gegeneinander- ausspielen zweier auf dem haarscharfen Grat zwischen Krieg und Frieden einerseits, Machtgewinn und Gesichtsverlust anderseits operierender Großmächte, die kaum noch vor oder zurück können, wäre dann ein kaum noch ad infinitum fortsetz- bares Spiel.

Was den Zeitungslesern der Welt als erbittertes Ringen serviert wird, ist in mancher Beziehung zum Scheingefecht geworden, in dem auch die Fedajin ihren Part spielen. Dank Arafat und Habasch läßt es sich für jeden ägyptischen Staatsmann leicht mit Friedenszweig und Säbel zugleich operieren und behaupten, auch auf die Guerillas müsse Rücksicht genommen werden, man selber sei ja zu Zugeständnissen bereit.

Freilich sind die Fedajin Geister, die sich leicht rufen, aber nicht so ohne weiteres wieder loswerden lassen. Sicher hat Hussein mit seinen Guerillamassakern ein bißchen auch Sadats Geschäfte besorgt.

Für die USA ist die Rolle als Friedensstifter die einzige Möglichkeit,

in den arabischen Ländern überhaupt irgendeine Rolle zu spielen, eine andere Politik kann Amerika in diesem Teil der Welt eben wegen seiner Verbundenheit mit Israel nicht verkaufen. Im großen nahöstlichen Tauziehen um Krieg und Frieden hat Nixon fast automatisch das freie End© des Seiles-ergriffen, und so lange an diesem Seil gezogen wird, ist Amerika als Macbtfaktor dm Spiel. Der Effekt eines Friedensschlusses ist für die USA schwer kalkulierbar. Der Fortfall des einzigen Elements, das die arabische Welt heute einigt, würde es erleichtern, in einer neuen Runde des mit allen nichtmilitärischen Mitteln geführten Teile-die- Welt-Spiels nach der Devise „Divide et impera” zu neuen Machtverteilungen zu gelangen, aber ein Frieden im Nahen Osten ist nur unter für Israel günstigen Bedingungen möglich und ein solcher Friede wiederum könnte in der arabischen Welt schwere Ressentiments gegen Israels Schutzmacht Amerika und damit eine schlechte Ausgangsposition für die neue Partie bedeuten.

Israel sieht offensichtlich ganz klar, daß ein Friedensschluß im Nahen Osten keineswegs Stabilität, sondern ein langwieriges Ringen um neue Machitverteilungen und Gleichgewichte bedeuten müßte. Wahrscheinlich ist hier ein Grund für Israels starre Haltung zu suchen, denn das politische Bild der arabischen Welt nach einem israelischen Einlenken und Abzug aus den besetzten Gebieten scheint völlig unkalkulierbar und voll der Gefahren. Und voll der Versuchungen für die Feinde von gestern, die sich, wieder erstarkt, angesichts eines geschwächten Israel leicht wieder in Feinde verwandeln könnten.

Da läßt offensichtlich auch (und gerade) Israel lieber alles so, wie es ist, in einem kleinen Gleichgewicht des Schreckens innerhalb des großen, internationalen Gleichgewichts des Schreckens. Zumal ein solches Verharren auch angesichts der israelischen Innenpolitik und angesichts der Israels Politik bestimmenden emotionellen Faktoren die bequemste, wenn nicht die einzig mögliche Politik ist.

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