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Labor-Staat im heißen Wüstensand

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„Jetzt ist’s aber genug… “, faucht der neben mir sitzende Kollege den Fahrer unseres Land-Rovers wutentbrannt an, nachdem er mit seinem Kopf schon zum x-ten Mal auf dieser mehrstündigen Fahrt quer durch die Wüste gegen die Fahrzeugdek- ke gedonnert ist. Der freilich läßt sich durch unser wiederholtes Aufschreien nicht beirren. Verwegen und ohne vom Gas herunterzugehen, setzt er die Höllenfahrt fort: über Bodenwellen, Geröll und Treibsand.

Wir - Vertreter des SPÖ-Wohlfahrtsverbandes „Volkshilfe“, Firmenrepräsentanten, gut zwei Dutzend österreichische Journalisten und unsere Begleiter von der Befreiungsbewegung „Frente Polisario“ (Volksfront zur Befreiung von Saguiat-el-Hamra und Rio des Oro) - sind unterwegs nach Dakhla, einem Flüchtlingslager der Saharauis südöstlich der algerischen Garnisonsstadt Tindouf im Dreiländereck Algerien-Marokko-Mauretanien, mitten in der Sahara.

Zweck der Reise: die Übergabe von sechs Schulhäusern mit je drei Klassen an die saharauischen Flüchtlinge - ein Entwicklungshilfeprojekt der österreichischen „Volkshilfe“.

Endlich, nach einer stundenlangen Fahrt, die durchrüttelt und durchschüttelt, tauchen die Silhouetten einer Zeltstadt auf. Ein Empfangskomitee, vermummte Wüstenkrieger auf Dromedaren und Pferden, heißt uns willkommen und geleitet den Land-Ro- ver-Konvoi nach Dakhla. Rotweiß-rote Fahnen flattern neben der schwarz-weiß-grünen mit rotem Dreieck an der Basis sowie Stern und Halbmond in der Mitte,

der Flagge der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS), im Wüstenwind.

Dakhla (span.: Villa Cisneros) ist eigentlich eine Stadt an der westafrikanischen Atlantikküste in der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara — ein Gebiet, das insgesamt 284.000 Quadratkilometer umfaßt (etwa so groß wie die Bundesrepublik Deutschland) und von der „Frente Polisario“ zur Demokratischen Arabischen

Republik Sahara erklärt worden ist - eine Republik allerdings, von der das Königreich Marokko nichts will und deren Gebiete — zumindest deren Städte - König Hassans Truppen seit dem Rückzug der spanischen Kolonialmacht (1975/76) beziehungsweise seit dem Friedensvertrag zwischen der DARS und Mauretanien (1979) besetzt halten.

. Hier, auf algerischem Boden, ist Dakhla ein riesiges Zeltlager für die saharauischen Flüchtlinge — eine Wilaya (Provinz), ebenso wie noch zwei weitere Zeltstädte, die den Namen von großen Städten der Westsahara tragen: El Aioun (Hauptstadt) und Smara.

Die Flüchtlingsstädte in dem von Algerien der Frente Polisario zur Selbstverwaltung übergebenen Territorium sind zu einer Experimentierstation für den von den Saharauis angestrebten eigenen Staat geworden.

Was sind überhaupt die Saharauis und wie viele gibt es? Fragen, über die seit Jahren zwischen den Konfliktparteien Marokko

und der Frente Polisario (im Hintergrund Algerien) gestritten wird.

Mittlerweile hat auch die Frente Polisario ihre Zahlenangaben auf ein realistisches Maß reduziert, nachdem sie früher weit übertriebene Angaben (rund eine Million) gemacht hatte. Experten siedeln die wirkliche Zahl der Nomaden- und Halbnomadenstämme der Westsahara, die zusammen die Saharauis ausmachen, zwischen 250.000 und 300.000 an.

Was in den Flüchtlingsstädten (in jeder der drei Wilayas leben über 40.000 Flüchtlinge) sofort ins Auge sticht, ist die fast völlige Absenz von jungen Männern zwischen 15 und 45 Jahren. Sie alle kämpfen offensichtlich in der Westsahara. Das Bild in den Zeltstädten im algerischen Exil prägen vor allem Kleinkinder, Frauen und ältere Menschen.

Sie waren und sind es auch, die eine Hauptlast dieses Wüstenkrieges zu tragen haben. Als die’ Kolonialmacht Spanien das Land verließ, kam die Besatzermacht Marokko, bis 1979 auch Mauretanien. Und dann regnete es Napalm vom Himmel, fand sich in den wenigen Brunnen vergiftetes Wasser, wurden die Kamel-, Ziegen- und Schafherden der Saharauis abgeschlachtet, Frauen vergewaltigt, der Zusammenarbeit mit der Polisario verdächtigte Männer inhaftiert, Familien deponiert.

Mag auch vieles bei der Schilderung ihrer Vertreibung von der Polisario-Propaganda gefärbt sein — sicher ist: Zimperlich sind die Truppen Hassans II. gewiß nicht vorgegangen, als sie vor rund sechs Jahren in die Westsahara einmarschierten, um das an Bodenschätzen reiche Gebiet

(Phosphate, Erdöl, Erdgas, Kupfer, Uran, Eisenerz) mit einer riesigen Fischbank an der Atlantikküste in Besitz zu nehmen.

Ohne Hab und Gut kamen die saharauischen Nomaden und Halbnomaden damals nach Algerien, ihre Lage war katastrophal. Inzwischen hat sich aufgrund der Hilfe von Algerien sowie nationalen und internationalen Hilfsorganisationen vieles in den Lagern gebessert.

Es überrascht die Disziplin bei der Lagerbevölkerung; offensichtlich funktioniert auch das Erziehungs- und Gesundheitswesen den Umständen entsprechend gut, niemand scheint verhungern zu müssen.

Als der stellvertretende SPÖ- Vorsitzende Karl Blecha und „Volkshilfe“-Präsident Fritz Hoffmann den saharauischen Flüchtlingen die sechs Schulgebäude, Fertighäuser im Wert von rund achteinhalb Millionen Schilling, übergeben, schwillt ein ohrenbetäubendes Schrillen an. Die Frauen und Kinder geben ihrer Freude Ausdruck, indem sie ihre Zungen in der Mundhöhle hin- und herschlagen.

Und soviel scheint sicher: In ihrem Exil haben sie — die bei ihrer Flucht noch zum Großteil Analphabeten waren — erkennen gelernt oder auch erkennen lernen müssen, wie wertvoll das Gut Bildung gerade in ihrer Situation ist. Die „Volkshilfe“ will den Saharauis in dieser Hinsicht weitere Hilfe zur Selbsthilfe zukommen lassen. Karl Blecha versprach den saharauischen Flüchtlingen in der Wilaya Smara ebenfalls eine Schule…

(Mit der Befreiungsbewegung Frente Polisario wird sich ein weiterer Bericht beschäftigen.)

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