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Labour regiert gegen konservative Wählermehrheit

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Die Schlüsselfrage der britischen Innenpolitik bleibt weiterhin: Wie lange kann sich Premierminister James Callaghan’s Regierung noch an der Macht halten? Die gegenwärtige Regierung ist inzwischen auf eine parlamentarische Mehrheit von elf Sitzen zusammengeschrumpft und führt die Regierungsgeschäfte mit einer Koalition von 13 liberalen Abgeordneten und mit Unterstützung parlamentarischer Einzelgänger aus Schottland und Ulster. Die Liberalen, die bis jetzt noch nie Regierungsverantwortung mitgetragen haben, sind schon jetzt mit der eingegangenen Koalition nicht mehr glücklich und scheinen jeden Augenblick abspringen zu wollen. Wenn das geschieht, kann Labour allein keine größeren Gesetze mehr durchbringen und die Krone wird frühzeitig neue Wahlen ausschreiben müssen. (Die nächsten regulären Wahlen wären erst in zwei Jahren.) Niemand hegt Zweifel darüber - auch keiner in der gegenwärtigen Regierung -, daß eine Wahl zum jetzigen Zeitpunkt mit einem überwältigenden Triumph der Konservativen enden würde.

Bis auf wenige Parteüdeologen war niemand überrascht, als Callaghan zu Beginn dieses Jahres einen Pakt mit dem Führer der Liberalen, David Steel, schloß. Für Callaghan haben sich seither dieselben Schwierigkeiten ergeben wie für seinen Amtskollegen in der Bundesrepublik, Helmut Schmidt: Die Koalition einer mächtigen und dominierenden Partei mit einem kleineren Partner bringt immer die Gefahr mit sich, daß der „Schwanz mit dem Hund wedelt”. Diese Versuchung ist für die Liberalen nach den letzten parlamentarischen Nachwahlen größer geworden, nachdem das Zusammengehen mit der Labour-Re- gierung von den liberalen Wählern nicht im geringsten honoriert worden ist.

So hat Steel erst kürzlich angedeutet, daß seine Fraktion der geplanten Benzinpreiserhöhung auf keinen Fall zustimmen werde. Er hat seine Gründe dafür: Die liberalen Wähler rekrutieren sich hauptsächlich aus Vorstadtbewohnem, die von ihren Autos abhängig sind. Die Reaktion Labours auf die Absage der Liberalen: Die fehlenden öffentlichen Einnahmen müßten dann durch höhere Besteuerung des Biers eingetrieben werden. Das wiederum brachte Unmut in die eigenen Reihen. Labour-Dele- gierte warnten davor, daß nichts die Empörung der Stammwähler besser heraufbeschwören könnte. Schließlich fanden die Koalitionspartner einen Kompromiß. Die Steuerschraube soll jetzt dort angesetzt werden, wo sie die konservative Wählerschaft trifft.

Steuererhöhungen, die die Last der Sozialbeihilfen und die Einsteigende Inflation (13 bis 16 Prozent vermutlich in diesem Jahr) auffangen sollen, erweisen sich aber immer mehr als selbstgeschriebenes Todesurteil für Labour. Bis jetzt konnten die Linken stets auf die feste Unterstützung der Arbeiterschaft zählen. Die jüngsten Wahlergebnisse haben aber nur allzu deutlich gezeigt, daß es mit dieser Loyalität zu Ende ist.

Beweise dafür sind die parlamentarischen Nachwahlen in Ashfield und die Kommunalwahlen in Schottland. Ashfield galt als uneinnehmbare Festung der Labour-Partei, sie ist bei den Nachwahlen gefallen; Glasgow war ebenfalls eine Hochburg der Linken, die absolute Mehrheit schmolz in der letzten Woche dahin. Die Wahlen zu den schottischen Städtewahlen uhd Kreistagen bedeuteten für die Labour-Partei eine furchtbare Schlappe: In den 53 lokalen Körperschaften verlor die Regierungspartei rund 121 Mandate. Die Arbeiterschaft strömte in Scharen zu den schottischen Nationalisten und zu den Konservativen.

Die Ergebnisse aus Groß-London endlich veranlsißten Mrs. Thatcher zu der Feststellung, die Wähler hätten nun das Signal zum Rücktritt der Regierung gegeben.

Symptomatisch für die Lage in Großbritannien scheint die Wahl in Ashfield. Den klaren Sieg hatten die Tories keinesfalls eingeplant, und er kann unmöglich dem politischen Fingerspitzengefühl des Siegers, Timothy Smith, zugeschrieben werden. Smith war über seinen Sieg am meisten überrascht. Als Universitätsabsolvent mit markantem Schulakzent und beruflich als Wirtschaftsprüfer tätig, zählt er nicht zu jenen Politikern, die an das Klassenbewußtsein der britischen Bergleute appellieren könnten.

Warum aber klammert sich Labour so verzweifelt an die Macht und warum fühlt sich Mrs. Thatcher in ihrer Wartestellung so wohl? Die Antwort ist einfach: Beide Parteien warten auf das baldige Wiederaufblühen der britischen Wirtschaft Das Nordseeöl ist bereits Eingezapft und wartet nur darauf, aus dem Meeresboden gepumpt zu werden. WirtschEiftsexper- ten betonen, das Geschäft mit Nordseeöl werde der Schlüssel zur Sanierung des britischen Energieproblems sein.

Mrs. Thatcher und die Tories haben also allen Grund, die richtige Gelegenheit abzuwarten: das öl fließt zwar schon, aber eben langsamer, als ursprünglich angenommen wurde. Labour konnte die entscheidenden Vor- teüe aus dem Ölgeschäft also noch nicht ausnützen. Mr. Cctllaghans Autorität zerbröckelt inzwischen zusehends, und die Wählerschaft der Partei zerfallt Die Konservativen aber könnten bei den nächsten Wahlen in West minster mit einer Mehrheit einziehen, wie sie bisher noch keine Partei in Großbritannien besessen hat

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