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Labour ringt um Einheit

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Mit einem eindringlichen Appell zur Einigkeit hat vergangenen Sonntag Neil Kinnock als Jüngster in der Geschichte die Führung der Labourpartei ange- .treten. Eine überwältigende Mehrheit hat den gebürtigen Waliser mit der Leitung der tief zerstrittenen Partei betraut, nicht minder deutlich fiel die Wahl des neuen Stellvertreters Roy Hat- tersley aus.

Beide Männer gehen mit besten Voraussetzungen in ein neues Kapitel der britischen Arbeiterpartei, die ihre Verbindung mit jenen, als deren Anwalt sie sich fühlt, so verhängnisvoll abreißen ließ. Ob es ein erfolgreicher Abschnitt in der Parteigeschichte wird, steht vorderhand noch in den Sternen. Stärker im Blickfeld sind zur Zeit noch die Anzeichen, daß’Labour auch unter dem neuen Führungsgespann ihre Probleme nicht überwinden kann und in die Bedeutungslosigkeit absinkt.

Die Existenzfrage besteht darin, wieweit die „breite Kirche“ Labour die Lehren aus der vernichtenden Niederlage am 9. Juni dieses Jahres zieht.

Der Schock der letzten Parlamentswahlen liegt den Parteidelegierten in Brighton an der Parteikonferenz 1983 noch sichtlich in den Knochen. Die eindeutige Kü- rung Kinnocks ist ein neuer Anfang, ein Zug zu realistischer Einschätzung der Situation, ein Anzeichen, daß die Lehren aus der jüngsten Vergangenheit mit ihrer katastrophalen Schlappe gezogen werden.

Kinnock vermag in seinen Reden Leidenschaften zu wecken und die Probleme packend anzugehen. Was ihm an Erfahrung fehlt - er bekleidete weder unter Harold Wilson noch unter James Callaghan Ministerposten, unter Michael Foot war er Parteisprecher in Erziehungsfragen —, das macht er durch Energie und Entschlossenheit nahezu wett. Am Beginn seiner Führerschaft genießt er die besten Vorschußlorbeeren, und er scheint Manns genug zu sein, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen.

Die Zeit des professionellen Zauderers Foot scheint ein für allemal vorbei.

Nach den Flitterwochen, die Kinnock von der widerspenstigen Linken gegönnt werden, steht der neue Parteiführer vor den alten Problemen der Oppositionspartei. Die Partei ist gespalteruund vermochte die Kluft zwischen den Flügeln auch im Wahlkampf nur ungenügend zu überdecken.

Der fatale Abstieg kulminierte in den Stationen nach Callaghans Niederlage von 1979.1980 erzwang die Linke konstitutionelle Änderungen, die den Parteiaktivisten die Oberhand über ihre gewählten Volksvertreter gab. Die Konferenz von Wembley im Jänner 1981 mit der Durchsetzung des von der Linken verfochtenen Wahlverfahrens, das den Gewerkschaften das größte Sagen einräumte, löste den Exodus eines Teils der gemäßigten Rechten aus.

Zwei Monate später konstituierte sich die Sozialdemokratische Partei (SDP), die sich sodann mit den Liberalen zur Mitte- Allianz formte und bei den letzten Wahlen fast so viele Stimmen erreichte wie Labour.

Bei der folgenden Wahl des stellvertretenden Parteiführers kam es zum erbitterten Duell zwischen den Hauptvertretern der Flügel Denis Healey und Tony Benn, ersterer siegte knapp — ohne dadurch die Spaltung zu mindern oder gar aufzuheben. Das angekündigte Großreinemachen mit dem linken Extrem, das trotzkistische Lehren verficht, ist bis heute nicht im vorgesehenen Ausmaß vollzogen.

Der interne Zwist triumphiert bis heute über Selbsterkenntnis und Einsicht in die wahren Gründe des Verlustes der Wählerschaft und des Anhanges. Das Wahlmanifest war durch die Linke diktiert, die bis zur Stunde dabei bleibt, obwohl der Stimmbürger den politischen Grundlinien Labours eine eindeutige Absage erteilt hat.

Damals genoß das Manifest freilich auch die Billigung von Kinnock: Befreiung des Landes von allen Nuklearwaffen; Auszug aus der Europäischen Gemeinschaft; ausgedehnte Verstaatlichung als Gegenzug zu Thatchers Reprivatisierung; großzügige Staatsausgaben mit eindeutig inflationärer Auswirkung, da die Verbände sich gegen jede Art von Einkommenspolitik zur Wehr setzen; Aufstellung von Importkontrollen und Abschaffung der Privatschulen, dadurch eine Minderung des Erziehungsniveaus auslösend.

Kinnock wird der „sanften Linken“ zugeschrieben, ohnedies beeindruckt seine Fähigkeit, sich über die Schranken der Sektionen und Plattformen hinwegzusetzen, ideologische Scheuklappen abzustreifen. Mittlerweile hat der neue Labourführer viele grundsätzliche Forderungen des Manifestes, das heißt der Linken, wenn schon nicht verworfen, so doch verwässert.

Vor Duell mit Linken

Vom Auszug aus der EG ist nicht mehr die Rede. An die Stelle rigoroser Nationalisierung tritt nach seinen Vorstellungen eine Kontrolle der öffentlichen Hand über die private Wirtschaft, nichts mehr von der Verbreitung des öffentlichen Sektors im Stile der unmittelbaren Nachkriegsjahre.

Verzicht auf Nuklearwaffen mit Einschränkungen: Kinnock scheint seinem Stellvertreter Hat- tersley nachzugeben: Die landeseigene Atomwaffe Polaris soll solange intakt bleiben, als sie im Paket der Abrüstungsverhandlungen als Verhandlungsobjekt wirken kann.

Allein die Parteilinke ist nicht gewillt, auf bisher verfochtene Postulate um des Friedens und damit des Anhanges bei der Bevölkerung Willen zu verzichten. Die nächsten vier Jahre werden das erbitterte Duell Kinnocks mit der Linken -bringen, aus der er — wie übrigens vor ihm Foot und Wilson auch — hervorgegangen ist.

Die großen Worte vom Wahlsieg bei der nächsten Gelegenheit bleiben so lange die berühmten Trauben, die dem Fuchs zu hoch hängen, als die Einheit nicht hergestellt ist. Das aber heißt Verzicht auf alte marxistische Grundlagen und das Gesicht einer Partei, das den sozialdemokratischen Parteien in Deutschland oder Österreich gleicht.

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