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Ländlicher Raum hat Zukunft

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Streß, Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung sind zu selbstverständlichen Charakteristika der Stadt geworden. Die Konzentration in den Ballungszentren hat zur ,, Unwirtlichkeit der Städte“ geführt. Die Landschaft und damit der ländliche Raum werden mit Hütten und Kleingärten zersiedelt, weil sich die Stadt über die primitivsten Grundbedürfnisse des Menschen hinweggesetzt hat.

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Streß, Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung sind zu selbstverständlichen Charakteristika der Stadt geworden. Die Konzentration in den Ballungszentren hat zur ,, Unwirtlichkeit der Städte“ geführt. Die Landschaft und damit der ländliche Raum werden mit Hütten und Kleingärten zersiedelt, weil sich die Stadt über die primitivsten Grundbedürfnisse des Menschen hinweggesetzt hat.

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Das hat weitreichende Folgen:

• Einerseits das Phänomen des „Masseneremiten“, der Mensch, der sich in der Stadt kaum mehr auf die Straße wagt.

• Andererseits - und daher für den ländlichen Raum besonders relevant - ein immer stärker werdender Drang der Städter auf das Land, das als Inbegriff intakter Umwelt einen Ausgleich für den Städter bieten sollte.

Und die Situation im ländlichen Raum? Sie ist heute grundsätzlich von drei Strömungen gekennzeichnet:

• Nach wie vor zeigt sich eine einseitige Entwicklung zugunsten der Ballungsgebiete. Warum? Weil die Industrialisierung mit einer starken räumlichen Konzentration der Arbeitsplätze in den Ballungsräumen verbunden war und ist.

• Auch der ländliche Raum war seit den 50er Jahren gekennzeichnet durch die einseitige Wertorientierung des Menschen auf materiellen Wohlstand und Konsum. Man glaubte an den bedingungslosen Fortschritt, an ein grenzenloses Wirtschaftswachstum und an die technische Lösbarkeit aller anstehenden Probleme. Die kleine überschaubare örtliche Gemeinschaft wurde in ihrer Funktion zusehends abgewertet.

• Der Bauer gerät in seinem Kampf um das Einkommen immer mehr in eine teuflische Spirale. Er scheint verdammt zur permanenten Rationalisierung. Das bedeutet auf der einen Seite immer größere Maschinen. Andererseits muß er zur Intensivierung der Erträge einen immer höheren spezifischen Energie- und Betriebsmitteleinsatz in Kauf nehmen.

Mit dem Abwandern der Bevölkerung vom ländlichen Raum in die Stadt verlagert sich auch die politische Entscheidungskraft. Dadurch verliert der ländliche Raum seine Eigenständigkeit und unterliegt immer stärkerer Fremdbestimmung.

Demgegenüber bringen aber die ungeordnete Beanspruchung des ländlichen Raumes durch den Städter - Werner Pevetz bezeichnet ihn als Usurpator - und das Aufbrechen bewährter Strukturen im ländlichen Raum für das Land große Gefahren mit sich.

Der ländliche Raum kommt also mehr und mehr in ökonomische und ökologische Zielkonflikte. Um ihn jedoch als Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum für die Zukunft zu gestalten, ist ein Umdenken notwendig.

Aufgerufen sind die Politiker, die Verantwortung für die Entwicklung des ländlichen Raumes tragen. Aufgerufen sind aber genauso jene Politiker, die für die Entwicklung der Städte arbeiten, denn, die Entwicklung des ländlichen

Raumes wird sehr stark von der Entwicklung der Stadt bestimmt.

Der Appell geht aber auch an jeden einzelnen, der im ländlichen Raum lebt, aber auch an den Städter, der am ländlichen Raum Interesse hat.

Die Politik ist aufgerufen, eine Neuorientierung in der Regionalpolitik vorzunehmen. An die Adresse der Bun-' desregierung: In der Vergangenheit hat es zwar viele Bekenntnisse zur Regionalpolitik für den ländlichen Raum gegeben. Die Fakten allerdings - ob im Bereich der Betriebsansiedlung oder der Investitionspolitik - sprechen eine andere Sprache.

Der ländliche Raum muß für eine beispiellose Fehlleistung in der Regionalpolitik, wie zum Beispiel die Ansiedlung von General Motors in Aspern, mit einem verstärkten Absaugeffekt bei den Arbeitskräften büßen.

In Zahlen ausgedrückt: Mit den 70 Milliarden Schilling für Wiener U- Bahn, General Motors, AKH und Kongreßzentrum könnten Struktur- und wirtschaftsschwache Regionen in Österreich auf Jahrzehnte hinaus saniert werden.

Was wir brauchen, ist eine aktive Sanierung der peripheren, wirtschafts- und strukturschwachen Regionen. Wir brauchen eine finanzielle Besserstellung des ländlichen Raumes durch einen gerechteren Finanzausgleich und eine bessere Nutzung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der ländlichen Region.

An die Adresse der Politik richtet sich auch die Forderung, die Förderung der mittelständischen Wirtschaftsstruktur zu verbessern. Die offizielle Agrar- und Wirtschaftspolitik muß so konzipiert sein, daß auch der bäuerlich strukturierte Familienbetrieb wirtschaftlich bestehen kann und mittelständische Strukturen in den nichtlandwirtschaftlichen Wirtschaftsbereichen verstärkt abgesichert werden.

Das „Verdienen im Grünen“ muß Vorrang vor dem „Verdienen am Grünen“ haben.

Der Auftrag ergeht aber auch an jeden einzelnen im ländlichen Raum. Jb- der einzelne braucht eine richtige Einstellung zur Umwelt. Sie beginnt bei der Abfallbeseitigung, setzt sich fort über die Wertschätzung des Traditionellen (etwa bei der Gestaltung des Ortsbildes) und schlägt sich nieder in der Wertschätzung des einzelnen gegenüber seiner Heimat. Sie manifestiert sich in einem Selbstwertgefühl, ja sogar in einem gesunden Stolz.

Kurz gesagt geht es einfach darum, daß der einzelne letztlich von der allgemeinen Wegwerfideologie der 70er Jahre wegkommen und sich einer Vorratsideologie der 80er Jahre zuwenden muß. Der Mensch im ländlichen Raum muß aber auch jederzeit Bereitschaft zur Selbsthilfe zeigen.

Gerade der Mensch im ländlichen Raum darf sich nicht - dem Beispiel der Städter folgend - in die Anonymität zurückziehen. Der einzelne muß die Bereitschaft zeigen, sich in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen und für die künftige Entwicklung des ländlichen Raumes auch bereit sein, öffentlich zu arbeiten und sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung kritisch auseinanderzusetzen.

Der Städter, der im ländlichen Raum Erholung sucht, muß jedoch wissen, daß die Belastbarkeit einer Region Grenzen hat. Er muß auch anerkennen, daß die Kultur- und Erholungslandschaft des ländlichen Raumes nur dann auf Dauer für ihn gepflegt und von ihm beansprucht werden kann, wenn die Bauern auch wirtschaftlich in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben weiterhin gerecht zu werden.

Der Städter muß in Rechnung stellen, daß Agrarfabriken und Monokulturen nur Scheinerfolge zeitigen, daß diese Produktionsweisen letztlich zu Lasten der Umwelt und damit zu seinen eigenen Lasten gehen.

Klar muß der Städter aber auch erkennen, daß er nicht städtische Lebensformen aufs Land verpflanzen kann, sondern die eigenständigen Lebensformen des ländlichen Raumes akzeptieren muß,

Konrad Lorenz sagt: „Ausgleichend wirken kann auf Dauer nur, was andersartig ist“.

Resümierend darf ich feststellen, daß ich absolut nichts von den Utopien einer „neuen Integration von Stadt und Land“ halte, aus der eine verwandelte ländliche Gesellschaft hervorgehen könnte.

Verstädterung ist einfach ein irreversibler Vorgang. Anzustreben ist vielmehr eine partnerschaftliche Regelung zwischen Stadt und Land. Eine Regelung, die jedoch die Eigenständigkeit der einzelnen Partner voraussetzt.

Dr. Erwin Pröll ist Finanz- und Raumordnungsreferent in der Niederösterreichischen Landesregierung und Präsident des „Club Niederösterreich".

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