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Läßt sich ein Unfall nachher abgelten?

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Das etwas provokant wirkende Thema, welches im Unterbewußtsein die Frage mitschwingen läßt, ob vielleicht die Gesundheit am Arbeitsplatz gefährdet sei oder zumindest zuwenig dafür getan wird, läßt Verwunderung außcommen, warum gerade ein Arzt aus einem Rehabilitationszentrum zu Wort kommen soll. Zur Erklärung ist daher zu erläutern, welcher Art die Arbeit im Rehabilitationszentrum Bad Hä-ring in Tirol, aus welchem der Verfasser kommt, ist. Dieses Rehabilitationszentrum der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt beschäftigt sich vorwiegend mit der Rehabilitation nach Arbeitsunfällen, welche den Stütz- und Bewegungsapparat betroffen haben.

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Das etwas provokant wirkende Thema, welches im Unterbewußtsein die Frage mitschwingen läßt, ob vielleicht die Gesundheit am Arbeitsplatz gefährdet sei oder zumindest zuwenig dafür getan wird, läßt Verwunderung außcommen, warum gerade ein Arzt aus einem Rehabilitationszentrum zu Wort kommen soll. Zur Erklärung ist daher zu erläutern, welcher Art die Arbeit im Rehabilitationszentrum Bad Hä-ring in Tirol, aus welchem der Verfasser kommt, ist. Dieses Rehabilitationszentrum der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt beschäftigt sich vorwiegend mit der Rehabilitation nach Arbeitsunfällen, welche den Stütz- und Bewegungsapparat betroffen haben.

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Wenn man zusätzlich bedenkt, daß eine steigende Anzahl von Menschen in Österreich durch dauerhafte gesundheitliche Schäden verschiedenster Art betroffen ist, wird verständlich, daß in zunehmendem Maße die Problematik Behinderter nicht nur aus humanitären Gründen interessant ist

Dazu einige orientierende Zahlen, welche vom Statistischen Zentralamt im Mikrozensus zum Thema Körperbehinderung im Dezember 1976 erhoben wurden. Im damaligen Sonderprogramm wurde mitgeteilt, daß in Österreich ungefähr 390.000 Personen leben, die an einer Behinderung am Haltungs- und Bewegungsapparat leiden. Aus der großen Zahl von Behinderten wurden folgende Gruppen besonders herausgehoben:

• 2900 Querschnittgelähmte; das sind Menschen, die entweder Beine allein oder Arme, Beine und Rumpfmuskulatur gelähmt haben, sowie das Gefühl für diese Regionen teilweise oder gänzlich verloren haben. Aus dem geht resultierend hervor, daß sie großteils an einen Rollstuhl gebunden sind.

• 9700 Menschen leiden an einer Halbseitenlähmung, ,

• 11.000 Menschen verloren ein Bein,

• 1700 Behinderte müssen ohne Beine leben,

• 4200 Patienten haben einen Arm verloren.

• Der Neuzugang an schweren Behinderungen des Stütz- und Bewegungsapparates nach Unfällen und Krankheiten beträgt pro Jahr 4500 bis 5000 Fälle.

Hinter dieser numerischen Aufstellung einer beträchtlichen Anzahl von Menschen - und das sollte immer bedacht werden - stehen ebenso viele, meist erschütternde Einzelschicksale.

Hier stellt sich eine entscheidende Frage: Läßt sich die schwere Behinderung, welche das Resultat eines schweren Arbeitsunfalles oder Arbeitswegunfalles ist, mit irgendeiner Leistung, sei sie ideell oder materiell, abgelten? Ich glaube, daß wir alle der Meinung sind, daß das nicht der Fall sein kann. Dazu eine Fallschilderung, ohne besondere Wertung der Gefahr dieser Arbeit

In einem metallverarbeitenden Betrieb erleidet ein junger Mann einen Arbeitsunfall Trotz sofortiger und sachkundiger Behandlung ist das Ergebnis des Arbeitsunfalles ein beidseitiger Beinverlust. Dieser junge Mann ist Familienvater und hat zwei Kinder.

Die Zäsur, welche ein solch gravierendes Ereignis darstellt, ist für Menschen, die sich der vollen Gesundheit erfreuen können, kaum vorstellbar. Welche Folgerungen so ein Unfall nicht nur für diesen Familienvater, sondern für die ganze Familie und den Lebenskreis, in dem er bisher lebte, entstehen läßt, ist ebenso schwer absehbar.

Am Beginn der Behandlung wird die Erhaltung des Lebens im Vordergrund stehen. Mit zunehmendem medizinischen Fortschritt kommen aber dann andere Probleme familiärer, beruflicher oder sozialer Natur zur Geltung. Hier stellt sich die zweite Frage:

Hat der junge Mann beim Arbeitsantritt seine Arbeitskraft bedingungslos an den Betrieb, und im weiteren Sinn gesehen, an die Gesellschaft verkauft? Auch hier muß die Antwort darauf ein klares Nein sein. Dann ist es die Aufgabe der Verantwortlichen, so ein Ereignis nach Möglichkeit auszuschalten.

Hierher gehört die Verpflichtung der Unfallverhütung, gefährliche Situationen immer wieder aufzuzeigen, durch entsprechende Vorrichtungen an Maschinen und Einrichtungen einem solchen Ereignis vorzubeugen, und wenn es zu so einem entsetzlichen Unfall kommt, die auslösenden Faktoren zu untersuchen und Abhilfe zu schaffen.

Vorbeugen ist noch immer besser als heilen. Eben hier ist die ganze Problematik des Arbeitsin-spektorates einzuordnen. Es kann jedoch nicht erwartet werden, daß ein einzelner Arbeitsinspektor die gesamte Palette der technologischen Vorgänge kennt und deren Gefahren für den einzelnen voll abschätzen kann.

Hier ist es eine besondere Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, daß man es nicht dabei bewenden lassen darf, für den einzelnen Arbeitnehmer oder eine bestimmte Gruppe eine besondere Gefahrenzulage zu erwirken. Die viel wichtigere Verpflichtung wäre es wohl, gesundheitsgefährdende Arbeitsplätze oder Arbeitsvorgänge so weit als möglich zu reduzieren sowie auf ihre medizinische Gefahr hinzuweisen, als diese Arbeitsplätze zu belassen und dafür eine Zulage zu zahlen...

Dieser Beitrag von Eckard Reiner, dem Leiter des Rehabilitationszentrums Bad Häring, ist auszugsweise der „Quartalszeitschrift des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform - Gesellschaft und Politik" entnommen.

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